Eine Komödie: ... und ward nicht mehr gesehen

Geschwurbel von Daniel Schwamm (14.08.1993-15.08.1993)

Inhalt

1. Personen

AM, ein maulfauler Schlosser

AS, ein kleines Energiebündel

BH, eine gesellige Seele

Claudia, ein feiner Traum zu Mannheim

DS, ein Frauenlob und Dichterfürst

GS, eine von der Muse geküsste Mutter

NB, ein studentischer Philosoph

PM, eine ferne Hoffnung zu Paris

OS, ein Freund des runden Leders

VS, ein studentischer Philanthrop

WW, ein feister Versicherungsmensch

und andere mehr

und natürlich MB, der göttliche Mittelpunkt der Geschichte

Der Schauplatz ist in der deutschen Kurpfalz

2. Erster Akt

2.1. Erste Szene

Im Hause des WW.

WW.VS.

WW (am Telefon stehend, eine Nummer wählend). Hi, ich bin 's, de Wink. - A gut so. - Ne, bin noch dahäm. - Jo, aber de Schurk is bei mir. - Was? - Hä? - Net verstanne, nochemol! - Nö, des net, aber dei Kind is so laut. - Ach so, des is die Gabi ...

VS (zieht eine Grimasse). Hö? TV?

WW (grinst). Kumm! Hör dir des mal an! Des is die Gabi ...

VS (nimmt Hörer, horcht hinein, gibt ihn wieder zurück). Was macht 'n die da? Das hört sich ja schrecklich an.

WW. Des wees ich ach net. - Hä? - Ehrlich? - Die dichtet, meint der Olli eben. - Und macht dei Frau des öfters oder erst seit dem sie dich kennt? - Aha, schun immer also.

VS. Bestimmt nicht. Denn die Gabi ist in Ordnung.

WW (Kopf schief gelegt). Und der Mill is super.

VS. Stimmt, der Mill ist super.

WW. Oh, Schurk, der Olli sacht grad: Der Mill is super.

VS. Da hat er recht.

VS, WW (im Chor). Der Mill ist super.

WW (wieder ins Telefon). Weswegen ich anrufe: haste Zeit heut Abend? - Ja, wollen uns treffen wegem Bohn.

VS (laut). Scheiss Bohn!

WW. In 'ner Kneipe. - Eijo, der Bohn muss zahle, des is klar ... Ah, so billig kummt der uns net davun, oder? - Die Studente könne ruhig auch mal was springe lasse, wenn se schun nichts schaffe müsse, gell?

VS. Ich schaffe was, obwohl ich studiere. Ich bin ein schwer arbeitender Student. Ich fühle mich der arbeitenden Klasse sehr verbunden.

WW. Was? - Des war bloss der Schurk eben; wescht, Uffstand der Zwerge ...?

VS (reisst WW den Hörer aus der Hand). Scheiss Olli! Scheiss Düsseldorf!

WW (nimmt Hörer wieder entgegen). - Ja, ja, heute Abend schun. - Ah, dacht ich mir doch gleich, dass du dir net so einfach ä gutes, kühles Bier entgehen läscht. - Ja, da kumme noch mehr: de Schwamm, de Alex, ...

VS (dazwischenrufend). Der Norbert auch, hat er gesagt. Wenn er 's bis dahin scha-afft. Und du bring bitte die Gabie mit! Und die Ann-Katrien!

WW (seelig guckend). Ho! Des wird 'n gemütlicher Abend, denk ich. Wenn nur net die Gabi zu dichten anfängt.

VS. Die Gabi ist in Ordnung.

WW. - Jou, alles klar, so mache wir 's. - Also, wir treffe uns um halber acht bei mir, und de Bohn will dann später nachkomme.

VS. Scheiss Bohn!

WW. Okay, Olli, bis dann. - Tschö!

2.2. Zweite Szene

Bei Müllers.

AM.DS.

AM (die Türe öffnend, seinen Gast begrüssend). Hi!

DS. Hi, Alex, da bin ich. Bist du fertig? - Nein, wie ich sehe bist du noch nicht fertig. Wie immer.

AM (in Turnhosen, zuckt ungerührt die Schultern).

DS. Okay, dann warte ich halt. Aber beeile dich, wir sind schon spät dran!

AM. Ich gehe noch mal in 's Bad. Dauert nur 'ne Stunde.

DS (zu sich selbst). Aristoteles sagte: Gott ist der erste Beweger gewesen, seitdem bewegt sich alles. - Alles, ausser Alex. Ts, ts, der hatte keine Ahnung, dieser Aristoteles.

Frau Müller. Ah, der Herr Schwamm besucht uns mal wieder.

DS. Tach, Frau Müller. Ich stehe hier und warte wieder mal auf ihren ungeratenen Sohn.

Frau Müller (winkt ab). Ach der. Der ist schon seit 'ner Stunde im Bad. - Wo geht ihr denn heute Abend hin? Wieder in diesen komischen Amischuppen davorne?

DS. In 's Skyline? Nein. Wir verabschieden heute einen guten Freund, der sich nach Amerika verzieht. Den Markus Bohn. Kennen Sie den?

Frau Müller (grüblerisch). Bohn? Bohn? Ist das so ein kleinerer ...

DS. Ja.

Frau Müller. ... mit Brille ...

DS. Ja.

Frau Müller. ... auch ein Student, glaube ich ...

DS. Ja.

Frau Müller. ... der immer so hochgestochen spricht ...

DS. Ja. Ja.

Frau Müller. ... immer mit Jeans rumrennt ...

DS. Mh, ja ...

Frau Müller. ... der sogar im Hochsommer eine Jacke trägt ...

DS. Öh ...

Frau Müller. ... eine Zigarette nach der anderen raucht ...

DS. Öh ...

Frau Müller. ... und sich wie der Alex dieses komische Hardrock-gedudel anhört?

DS. Nein, nein, Sie beschreiben mir den Volker Schurk, glaube ich. Der Böhni ist ein anderer. So ein kräftiger Bursche, mit mächtigen Bizeps, breitem Kreuz, kantigem Kinn, Supermann im Kleinformat, der Mannheimer Clark Kent ...

Frau Müller (kopfschüttelnd). Nein, den kenne ich nicht. Supermänner gibt es ausserdem gar nicht.

DS (traurig). Hach, welch Schmach für den armen Bohn. So verlässt er denn diese seine Heimat, den Ort seiner Geburt, die Stätte seiner Menschwerdung, ohne irgendwelche - und seien sie auch noch so klein - Spuren hinterlassen zu haben in den grauen Zellen, den Neuronensträngen, den Schwannschen Zellen ihres Kopfes, Frau Müller. Ist er damit nicht unendlich zu bemitleiden, der arme, arme Kerl?

Frau Müller (sagt gar nichts, macht nur Fernseher lauter).

(etwas später)

AM (voll Tatendrang, nach Parfüm stinkend). Da bin ich. Ging doch ziemlich schnell, oder?

DS (drückt seine fünfte Zigarette aus). Das 'ziemlich' scheint mir reichlich deplatziert. Aber nun denn, ich will nicht kleinlich sein, nicht päpstlicher als der Papst, um Frau Gehrmann zu zitieren: lass uns also von dannen schreiten!

AM (guckt schlau). Oh, wir könnten aber auch von dannen schreiten.

DS (macht sofort mit). Oder von dannen schreiten.

AM (mit erhobenem Zeigefinger). Aber wir könnten auch von dannen schreiten.

DS. Und dann von dannen schreiten.

AM. Ja, ja, doch jetzt sollten wir erst einmal von dannen ...

Frau Müller (ungeduldig). Hergott! Gleich schaffe ich euch von dannen, und dann schaut ihr euch Morgen aber im Spiegel an wie die Jungfrau ihr Kind, das kann ich euch sagen. Schafft euch endlich raus aus meiner Wohnung!

AM, DS (der Gefahr bewusst im Chor). Und tschüss!

2.3. Dritte Szene

Bei Winklers.

AM. DS. WW.

DS. Hast du alle so benachrichtigt wie ich es dir aufgetragen habe, Winkler?

WW (stellt sein Bier ab). Ja, du Geizkragen, habe ich.

DS (selbstzufrieden). Ha, es hat mal wieder geklappt. Ohne einen einzigen Anruf zu tätigen, gelang es mir, eine Idee - in meinem genialem Kopfe geboren - Realität und Wahrheit in dieser schönsten Welt werden zu lassen: Das gemeinsame Treffen mit der Bohne kommt zustande.

WW. Du hascht nirgends angerufen?

DS. Nein, es gelang mir, dies zu umgehen. Du riefest mich an, als ich den Vorschlag machte. Du erinnerts dich?

WW (nickt, trinkt einen weiteren Schluck Bier).

DS. Du benachrichtigstest dann den Schurk und natürlich die holde Birgit. Volker sagte Norbert Bescheid und rief auch bei Gabi an, die daraufhin selbstredend ihren Manne Oliver nebst Ann-Kathrin instruierte. Dem Bohne bin ich schliesslich selbst in persona im Zentrum begegnet, um es ihm mitzuteilen. Und da bat ich ihn, den Alex noch zu benachrichtigen, was er stante pede auch tat. Ergo: Ich benutzte das Telefon nicht. Noch einmal ergo: Ich bin toll, einfach toll.

WW (geringschätzig). Du bist geizig.

DS. Aber toll.

WW. Ne, geizig. Oder Alex? Der Schwamm is der gröschte Geizkragen uff de gonze Welt. Der tät glatt erschticke, wenn 's uff Luft Steuern gäbe tät.

AM (prostet WW zu). Jou.

DS (weise). Nichts ist sicher auf dieser Welt. Ausser dem Tod und den Steuern. Sagt zumindest Franklin.

WW. Ts, kann man den auch ausschalten?

AM. Der Böhni könnte es. Ach Gott, könnte der das, und wie. Mit seinen Muskeln kein Problem ... (macht wüste Verrenkungen).

DS. Apropos Bohn. Lasst uns doch die Tassen heben und einen Toast aussprechen, auf ihn, auf den Bohn, dem Manne, der mich in Deutsch schlug, den wir alle lieben und schätzen, auf dem seinem Grab wir tanzen wollen, den wir - so ach so fern der Heimat im unbekanntem Amerika - schmerzlich vermissen werden ... Oh ja, nachts, wenn 's dunkel ist, werden wir uns sicher bald jedes Mal in den Schlaf weinen, doch das bohrende Gefühl des Verlustes, diese Höllenqual, wird sich davon nicht Milde stimmen lassen ... Mein Gott, was soll bloss aus uns werden ohne ihn, ihn, dem Bohn?

WW (cool). Bessere Menschen?

AM. Prost. Auf den Böhni und seine Muskeln.

(alle) Prost.

AM. Und auf meine Landschaft, die viel besser war als seine Kirche.

(alle) Prost.

(in diesem Moment klingelt es.)

DS. Ah, das ist sicher Birgit.

WW (legt förmlich die Ohren an). Oh, jetzt schon? Hört zu: Das ist mein erstes Bier, okay?

DS, AM (sehen sich an, nicken).

WW. Machst du mal die Türe auf, Alex? Ich verstecke so lange die leeren Flaschen (er springt hektisch auf).

DS. Tja, einst trennten die Götter Mann und Frau, die einmal eins gleich eins waren, und seitdem wieder zusammenkommen wollen. Doch das Wiedervereinigen kann auch offenbar Probleme mit sich bringen, politisch wie privat ... Gelobt sei also das Junggesellentum, nicht wahr, oh du mein alter, bald amerikanischer Freund? (prostet im Geiste dem Bohne zu)

2.4. Vierte Szene

In Norberts Stube.

NS.

(NS sitzt am Schreibtisch, das Tintenfass und einen Bogen beschriebenes Papier vor sich. Im Radio spielt eine leise Melodie.)

NS (aufseufzend). So, das wäre geschafft. Genug des appolonischen Fleisses, Dionysos ist wieder angesagt (steht auf, betrachtet kurz das Portrait Nietzsches an der Wand). Ja, das rauschhafte Leben mag wieder beginnen, Meister, ganz wie in deinem Sinne. Doch zuerst höre dir an, was ich da eben geschrieben. (Schaltet das Radio ab und stellt sich theatralisch in Positur) Das marx'sche Manifest im Spiegel der hegel'schen Geschichtsphilosophie. Vorgelegt am Lehrstuhl für Soziologie, Professor Dr. Max Weber, im Wintersemester 1993/94 von Willy Brandt aus Eiguckemoldohie. Inhaltsverzeichnis ... (blättert die Seite um, wirft dabei einen Blick auf seine Uhr und zuckt zusammen). Oh Schreck! So spät ist 's schon? Muss fort, muss gehen, im raschen Schritt; einen Schurken lässt man nicht warten. Sonst vergisst der Genosse Freund noch ganz seine pazifistische Gesinnung (rennt ins angrenzende Zimmer, aus dem sogleich Geräusche des Zähneputzens klingen).

2.5. Fünfte Szene

Bei den Schults im Wohnzimmer.

AS.GS.OS.

GS. Olli, mein angetrauter Gatte, hoffentlich stehst du bald auf der Matte. Wir sind doch verabredet heut, treffen uns mit deinen alten Leut. Geschwind denn nun und springe auf, sonst wirst du die Planung noch über Hauf.

OS (gequält). Ich komme ja gleich, Gabi. Nur noch fünf Minuten bis zur Halbzeit, dann können wir gehen. Bitte, bitte. Nur noch ein Tor ...

GS (stellt sich vor den Fernseher). Fünf Minuten, die haben wir nicht, d'rum verstell ich dir hier nun die Sicht. Doch einen Videorecorder, den haben wir, zeiche das Spiel also auf und folge mir (geht ab).

OS (brummend). Und das alles nur wegen Markus. Hat der Kerl das verdient? Hat er es? Wo er doch schneller Fahradfahren kann als ich? Als ich!

(Gabi kommt zurück, Ann-Kathrin im Arme tragend). Nun, Olli, wie sieht es aus? Kommen wir noch heute abend aus dem Haus?

OS. Ja, ja, ja, ja (läuft rückwärts vom Fernseher weg, das Spiel nicht aus den Augen lassend).

GS (resolut). Halt mal eben dein Töchterlein oder mache ich hier alles allein!

OS (erst unwillig, aber beim Anblick seiner Tochter sofort ganz liebender Vater). Komm her zu mir, mein kleiner Schatz, komm zu Papa. Wir zeigen dir jetzt die grosse, weite Welt. Mama und Papa gehen heute mit ihrer kleinen Prinzessin aus. Pass nur auf!

GS (gibt ihm Ann-Kathrin und schaltet den Ferseher aus, sieht der Tochter dann lächelnd ins Gesicht). Jo, jo, jo, jetzt freue dich, bekommst gleich Onkel Markus völliglich. Darst mit ihm Lachen, Weinen und gar ihn ein letztesmal ziehen an seinem schütteren Haar. Die Brille darfst du ihm betatschen und ihm mit hellem Gelalle ein Ohr abquatschen. Und in seinen Arm, da petzt du ihn rein, nur so zum Spass, ist das nicht fein? Jo, jo, jo, jetzt freue dich, bekommst gleich Onkel Markus völliglich.

3. Zweiter Akt

3.1. Erste Szene

In der Höhle.

(Hinter den Tresen steht der Wirt und putzt Gläser. Ein Gast sitzt alleine an seinem Tisch. AM, BH, DS und WW treten polternd ein.)

DS (laut). Ah, sieh an, wir sind die ersten hier. Wie immer. Wie im Leben, so in der Kneipe, sage ich da nur.

WW. Beim Bezahlen bischt aber nie der erschte, oder?

DS (geduldig). Also Wolfgang noch einmal: Ich bin nicht geizig, sondern sparsam. Das ist ein Unterschied.

WW (macht wegwerfende Handbewegung).

DS. Nein, nein, das will ich geklärt haben. Ein geiziger Mensch ist anal fixiert ...

AM (warnend). Hey, hey!

DS. Oh, entschuldige bitte, Alex; ich vergass dein empfindsames Gemüt und unschuldige Seele. Trotzdem - Geizkragen wurden in der Kindheit in ihrer Kreativität behindert: man verbot ihnen das Kneten der eigenen Exkremente ...

AM. Hey, hey!

DS. Ja, ja, schon gut, Alex, ab jetzt bleibt es Stubenrein. Also, worauf ich hinaus will, ist, dass das Geizigsein sich als infantile Fehlentwicklung im Unterbewusstsein abspielt, während die Sparsamkeit ein Akt des bewussten Denkens darstellt. Du verstehst? Unbewusstes versus Bewusstes, Es versus Vernunft ...

BH (laut dazwischen). Oh, Daniel. Du bischt geizig, da kannscht schwätze, so lange du willscht, des ännert ach nichts. Aber besser isses, wenn de nix mehr schwätzt.

(Sie setzen sich an den Tisch neben dem Gast, der sie bei ihrem Eintreten nur kurz gemustert hat. Der Wirt kommt zu ihnen.)

WW. Hi, Toni, alter Kumpane.

Tonie (lächelnd). Hallo Leute, ist schön zu sehen euch. Ward lange nix mehr hier gewesen.

WW. Ah ja, wescht, wir habbe halt viel zu schaffe gehabt in der letzte Zeit. In der Versicherung und so. Is viel los im Moment, da kannscht abends net weggehe. Und dann noch die Birgit hier - des is 'n Stress.

BH (haut WW auf den Arm). Der einzige, der hier Stress macht, des bischt du, Freund.

Toni (in die Runde blickend). Was darf es sein? Was soll ich bringe?

DS. Ich bekomme ein Export. Alex, du auch?

AM. Jou.

WW. Und ich krieg 'n Pils und mein Schatz nimmt 'n Colarot.

Toni. Okeydokey, ich bringen (geht hinter Tresen).

DS (unsicher). Hoffentlich kommt der Markus auch, sonst muss ich am Ende noch selbst zahlen. Fürchterliche Vorstellung, geradezu apokalyptisch.

BH, WW (im Chor). Geizkragen.

DS. Sparsamer Mensch. (Bevor sich Widerspruch regt, ablenkend) Oh, Alex, sieh mal, da hängen Spielautomaten. Willst du nicht einmal die Göttin Fortuna für dich schaffen lassen?

AM (entrüstet). Ich? Und spielen? An Glücksspielautomaten? (sehr laut und ordinär) Äch! Äch! Weg mit dir! Äch!

BH. Genau, den Schwamm werfe mir raus, es sei denn, er schpendiert uns jetzt ä Rund Tequila, dann kanna bleibe.

DS. Ich spendiere gar nichts. Ausserdem werde ich doch nicht auch noch die Trunksucht meiner Freunde unterstützen wollen. Das wäre ethisch-moralisch verwerflich. (Dreht sich zu Alex herum) Ey, Langer, gib mir mal 'ne Zig!

AM. Nö.

DS. Mach!

AM. Alla gut (reicht ihm eine Zigarette).

WW. Langsam könnte die annere aber mal kumme, oder?

(Bevor jemand antworten kann, kommt Toni zurück.)

WW (sehlig). Aaaaah, das seh ich gerne.

Toni. So, Leute, was für Kehle. Einmal Pils hier, zweimal 'ne Exporte dorten und einmal die Colarote für Birgit. Prima (geht ab).

AM (hebt Glas an). Alla, auf den Markus.

WW. Ja, uff dass er net kummt.

DS (streng). Aber Wolfgang, welch unchristliche Gedanken entfleuchten da eben deinem Munde. Wir haben uns doch heut und hier versammelt, um einen Mann zu ehren, der diese Ehre verdient, der unsere aller Freund ist und der ...

WW (laut). Proscht Alex, proscht Birgit. Uff de Bohn und darauf, dass de Schwamm bald de Löffel abgibt.

(Obwohl verletzt, stösst auch DS mit an).

3.2. Zweite Szene

In der Höhle.

Die Freunde fast vollständig.

(AS, GS und OS sind inzwischen zu den anderen dazugestossen. Toni hat das Radio eingeschaltet. Der einsame Gast hat sich einen Krug Sancrier bestellt. AS schläft bei der Mutter.)

GS. Seht euch an mein klein Töchterlein, schwelgt in Morpheus Armen gar zu fein. Ist müd geworden über 's Warten hier, was der Bohn muss erklären mir, wenn er denn in bälde uns beehrt und uns nicht länger den Rücken kehrt. Jo, jo, jo, mein armes Tochterherz, überwältigt ist 's wohl vom Abschiedsschmerz. Deswegen floh es in den Schlaf hinein, um zu Vergessen des Onkel Bohnes Sein.

WW (setzt Bier ab, überlegt). Mh, sollte vieleicht auch schlafen. Wenn 's hilft, den Bohn zu vergessen ...

DS (schaut sich um). Sack und Asche! Dieser Gesichtswerner von einem Bohn kommt echt nicht bei. Hoffentlich habe ich überhaupt genug Geld dabei, meine Rechnung zu bezahlen. - Ey, Alex, du schuldest mir doch bestimmt noch 'n Bier, oder? Für irgendeine Wette oder so.

AM (an die Stirn tippend). Öhöh! Sehe ich so aus?

DS. Nicht? Also gut, dann halt nicht. Pah! Mein Geld wird schon noch genügen. Denke ich. Vermute ich. Hoffe ich. Oh Mann, ich bin doch passionierter Optimist, nur nicht schwarz sehen!

BH. Gell, Schwamm, net vergesse: Du wollscht noch ä Rund Tequila zahle.

DS. Niemals. Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr. - Alex, gib mir mal 'ne Zig!

AM. Nö.

DS. Mach!

AM. Alla gut (gibt ihm eine Zigarette).

OS (vernünftig). Wann hat er gesagt, dass er kommen würde?

BH. So um Halbneun herum, oder, Wolfgang?

WW. Ja, Schatz.

AM. Ah, der Böhni ist bestimmt noch beim Bodybuilding. Den Bizeps trimmen.

OS (mit kurzem Seitenblick auf Gabi). Oder er wollte noch das Spiel zu Ende sehen.

WW (interessiert). Oh, wie isses denn ausgegange? Hot Düsseldorf den Uffstieg in die zwote Liga geschafft?

OS. Weiss ich auch nicht.

DS. Na, hoffentlich nicht - dann hat sich der Böhne nämlich aufgehängt und ich kann endlich auf seinem Grab tanzen.

GS (erschrocken tadelnd). Aber Daniel, wie sprichst du denn, dass ich jetzt mit dir schenn? Also wirklich, das war nicht nett, denk nur, wenn Markus dies eben gehört hätt?

DS. Okay, ich bin vielleicht nicht unbedingt nett. Aber ich trinke dafür auch lieber Bier statt schöden Wassers, wie manche anderen hier an diesem Tisch.

GS (keineswegs schuldbewusst). Ich lobe mir dies Wasser mein, da ich als Mutter stets gesund muss sein, um zu sorgen für mein Kinde im Hier und Jetzt, dass ihm nichts passiert, dass es durch nichts verletzt.

DS. Na gut, das ist ein Argument. Respekt. Diesen Geist will ich sehen, würde Rousseau sagen. Frauen, die dem Alkohol frönen, planen demnach keinen Kindersegen ...

WW (fröhlich). Wow, da bin ich ja sicher.

BH (schlägt WW auf den Arm). Pass nur uff, du! Aber von dir bekumm ich ja eh kee Kinner. Du mit deiner blöden Al Bundy-Masche.

WW. Kein Sex!

OS (neugierig). Oh? Ehrlich? Erzähl!

WW. Gibt 's net viel zu verzähle. Bloss: Kein Sex!

BH (vorwurfsvoll). Aber Bier. Da sagscht du net nee, gell?

WW. Eio. Bier muss sein.

AM. Prost, Winkler (sie prosten sich zu).

(In diesem Moment betritt ein Mädchen die Höhle. Sie läuft zu Tresen und begrüsst Toni. Der einsame Gast bemerkt sie und springt erstaunt auf.)

Mädchen. Hi Tony, one water please!

Einsamer Gast (ihr unsicher auf die Schulter tippend). Claudia?

Mädchen (dreht sich um und begrüsst auch ihn erfreut. Sie unterhalten sich leise miteinander).

DS (einen englischen Spruch an der Wand lesend). Komisch, Alex, oder? Immer landen wir in Amiläden. Oder in Läden, in denen Amis verkehren.

AM (grübelnd). Ja, vielleicht liegt das ja daran, dass wir immer in Amiläden landen.

DS. Oder das wir in Läden landen, in denen Amis verkehren.

AM. Ja, oder weil wir immer in Läden landen, in denen Amis mit Amis verkehren, öh, ... ich meine ...

DS (sehr laut und obszön). Äch! Äch! Äch!

AM (noch lauter). Müh! Müh! Müh!

OS (dazwischen). Stille! Schweigt! Ich glaub', eben kommt der Volker. Ich habe seine Stimme gehört.

(Alle lauschen angestrengt.)

VS (von draussen, unglaublich laut). Scheiss Bohn!

3.3. Dritte Szene

In der Höhle.

Die Freunde vollständig.

VS (unglaublich laut). Scheiss Bohn!

OS. Wo bleibt er nur? Langsam müsste er aber wirklich auftauchen. Das Spiel ist doch lange vorbei.

WW. Wer wees, was der noch für Katze zu bürschte hot. De Böhni hat doch überall sei Finger drin.

AM. Also ich tippe auf Bodybuilding.

DS (eifersüchtig). Vielleicht ist aber auch zur Petra gefahren, um sich bei ihr standesgemäss zu verabschieden. Der Schuft. Will wahrscheinlich auf ihre mütterlichen Instinkte pochen: armer deutscher Junge muss ins grosse, fremde Amerika.

OS (neugierig). Petra?

WW (cool). Müller. Weinheimer Importware.

DS. Bester Qualität, muss man dazu sagen. Ja, bester Qualität.

AM. Kein Wunder bei dem Nachnamen.

NB. Ist das die, die das letztemal auf der Party vom Wolfgang gewesen war?

VS. Genau die ist es. Ich wusste allerdings nicht, dass der Markus auf die abfährt.

AM. Der? Oh, der Bohn packt sich doch jedem Rock, der sich nicht schnell genug auf die Bäume flüchten kann.

OS (immer neugieriger). Der Markus?

GS. Das klingt im Ohr wenig vertraut; ich dachte, er sucht in Amerika 'ne Braut. Nun soll er es bereits hier toll treiben? Müssen wir demnach den Umgang mit ihm meiden? Muss ich als Frau den Markus fürchten gar, krümmt er uns am Ende mehr als nur ein einzig Haar?

BH. Der Böhni doch net; der ist völlig harmlos. Ä Baby in 'ner Zwongsjack is uff jeden Fall wesentlich gefährlicher.

AM. Unterschätz den bloss nicht. Wo der doch sooooo (zeigt es) Muskeln hat.

OS. Vielleicht hat sich der Markus ja in letzter Zeit stark geändert.

NB (geheimnisvoll). Oder wir reden von verschiedenen Marküssen.

VS (völlig deplatziert). Scheiss Bohn!

DS. Ich kenne nur eine Bohnensuppe. Und wenn die zur Petra gefahren ist, dann ... dann ... Allerdings, vielleicht ist er dabei ja unter die Räder gekommen und nun platt wie eine Flunder. Wäre doch dann ideal zum Tanzen ...

NB (grinsend). Am Daniel ist wirklich ein Sadist verloren gegangen. Zu viel de Sade reingezogen, was?

DS (von oben herab). Mitnichten. Ich schmähe die Gewalt, ich bin überzeugter Pazifist.

VS. Moment. Ich bin hier der Pazifist, klar?

WW. Eio. Du bischt de Albert Schweizer vun de Voggelschtong.

DS. Richtig. Der Gandhi von Mannheim. Der Martin Luther King von der Pfalz.

VS. Und du bist ein geiziger Schwamm.

BH. Bravo!

DS (näselnd). Billige Retourkutsche, würde Böhni jetzt sagen. Aber nun denn, wem halt die Argumente ausgehen, der rettet sich gerne in billigsten Unflätigkeiten.

WW (angeekelt ob der gestelzten Ausdrucksweise). Billigste Unflätischkeite? Mein Schädel!

(Ein kicherndes, junges Pärchen betritt die Höhle, und ziehen damit das allgemeine Interesse auf sich. Sie lassen sich am Nachbartisch nieder und blicken sich tief in die Augen.)

GS. Seht hin und lernet 's just, so ist die Freundschaft eine reine Lust. Nur zusammen ist man wirklich stark, umschifft dadurch jeden drohenden Sarg. Wenn man den Freund wie das eigene innere kennt, ja, das schafft starke Bande, die keiner mehr trennt.

OS. Auch die gewaltige Strecke eines Atlantiks nicht.

NB (geheimnisvoll). Aber nur, wenn, wie Gabi gesagt hat, man den Freund, in diesem Fall also die Person des Markus Bohn, wie das eigene Innere kennt ...

4. Dritter Akt

4.1. Erste Szene

In der Höhle.

Die Freunde vollständig.

(Toni putzt Gläser. Der einsame Gast plaudert mit dem Mädchen, dabei immer wieder auf den Eingang blickend. Das junge Pärchen treibt es inzwischen fast auf dem Tisch. Die Freunde sitzen weiterhin verwirrt zusammen; auch sie blicken immer wieder zum Eingang der Höhle hin.)

VS (plötzlich). Der Norbert hat Recht.

DS. Womit?

VS. Na mit dem Kennen vom Böhni. Wer von uns kennt ihn eigentlich? Ich meine so richtig? Aber ... ich meine, kann man einen anderen Menschen überhaupt wirklich kennen.

NB (ernst). Ja, mehr noch, Volker. Denn: Kann man sich selbst wirklich kennen?

WW. Seid ihr jetzt alle besoffe oder was?

VS. Nee! Lass mal, Wölfi. Das was der Nobert vorhin gesagt hat: Wir reden alle von einem Menschen, dem Böhni, doch - meinen wir alle den gleichen Bohn? (Selbst verwirrt bricht er ab) Hä? TV? Ich höre mich ja schon an wie der Dummschwamm.

BH. Da bischt net zu beneide, Volker.

DS. Also bitte, mässigt euch!

OS (verwirrt). Also ich verstehe kein Wort mehr. Von was habt ihr es da eben gehabt?

NB. Nun, es ging hier eben um die Frage der Existenz, oder, anders ausgedrückt, um das Sein an sich.

WW (laut). Mein Schädel!

BH. Und wo ist da die Frage dabei? Entweder etwas ist oder etwas ist nix.

NB (listig) Wirklich?

BH. Eia, natürlich. Ist doch so: Dinge sind da oder sie existieren nicht. Fertig, Punkt, aus.

DS (kritisch). Moment, Birgit. Das entspräche ja einer digitalen Welt; es würden nur zwei Zustände im Universum existieren: Materie oder Vakuum bzw. Sein oder Nichtsein bzw. Atom oder Leere.

BH. Und was ist falsch daran?

DS. Nun, die Welt ist mehr. Denn wäre sie es nicht, dann wäre sie vollständig in einem Computer abbildbar, was sie aber nicht ist und auch niemals sein wird. Quod erat demonstrandum.

VS. Nö, das ist ein ungültiger Beweis. So darf man nicht argumentieren. Mann kann ja auch nicht behaupten, dass es niemals einen fünfbeinigen Hund geben wird, bloss weil bisher noch nie einer gesehen wurde.

WW (leidend). Mein Schädel!

DS. Na gut, dann halt anders: Wenn es nur Vakuum und Leere gibt, dann frage ich mich, wo da Gott bleibt.

NB (warnend). Kein Gott. Religion ist Opium für 's Volk. Reden wir doch lieber vom Hegel'schen Weltgeist.

DS. Na gut, reden wir vom göttlichem Funken in der Welt, von der beseelten Natur, von Goethes Pantheismus, vom Auftrag der Materie.

OS. Auftrag der Materie? Was soll denn das für eine Art Auftrag sein?

DS. Ganz einfach: Etwas auf die höchste Erkenntnisstufe zu befördern, ihm die absolute Erkenntnis zu verschaffen.

AM (im Brustton der Überzeugung). Jou, das hat 's in meiner Person bereits geschafft.

GS. Moment, Daniel, musst erklären dies genauer, dann werden wir daraus vielleicht alle schlauer.

NB. Was er sagen wollte, war: die Materie trägt den Keim des Lebens in sich. Im Universum musste zwangsläufig das Leben entstehen, weil die Materie von vorneherein darauf ausgelegt war, Leben hervorzubringen. Und genauso zwingt das Universum die Materie, sich ständig weiterzuentwickeln.

DS. Alles fliesst, wie Heraklit sagt. Nichts ist beständig ausser der Veränderung. Modern ausgedrückt: Die Evolution bringt ständig perfektere Lebensformen hervor. Der Mensch, die angebliche Krone der Schöpfung, ist noch lange nicht die Krone. Neue Lebensformen werden entstehen mit Fähigkeiten, die wir heute nur erahnen können.

VS (sanft). Die Menschheit, so wie sie ist, ist schlecht.

DS. Sie trägt aber auch das Gute in sich, Volker. Hätte es nämlich nie Krieg und Intrigen gegeben, nie den Überlebenskampf Mensch gegen Mensch, dann hätten wir noch heute ein Gehirn mit der Grösse einer Erbse.

BH. Des hascht du auch immer noch, glaub mir.

OS. Und was wollt ihr mit dem allem im Bezug auf den Böhni sagen? Das verstehe ich immer noch nicht.

VS. Das wir über den Markus reden und ihn dabei als existent annehmen, obwohl wir als Menschen nicht die absolute Erkenntnis besitzen, im Grunde also gar nicht wissen können, ob er real existent ist.

WW. Mein Schädel!

GS (langsam). Ihr glaubt also möglicherweise, Markus existiere in keiner Weise? Sei nur ein Produkt unserer Fantasie, ein kollektives Wunschgebilde und mehr nie? Nur weil er heute einmal verschwunden ist und diesem Treffen offenbar keine Bedeutung beimisst?

VS (laut und sehr, sehr ordinär). Scheiss Bohn!

(Und ergriffen hält alles schweigend inne.)

4.2. Zweite Szene

In der Höhle.

Die Freunde vollständig.

(Toni ist in der Küche. Das Pärchen in inniger Umarmung umschlungen. Der einsame Gast ist wieder einsam; seine Begleiterin folgte einem Ruf der Natur. Die Freunde sitzen nach wie vor nachdenklich beisammen.)

OS (vernünftig). Wir sollten das noch einmal überdenken. Markus soll bloss eine imaginäre Figur gewesen sein? Eine blosse Projektion unserer Gedanken? Also das scheint mir doch starker Tobak zu sein?

NB. Olli hat recht. Wir müssen dies alles im sokratischem Sinne hinterfragen.

BH (aufgebracht). Den Blödsinn? Ihr schpinnt doch alle.

VS (ernst). Ich als Soziologe bevorzuge in solchen Fällen den empirischen Weg. Wir wollen also einmal Fakten sammeln, um die These zu stützen, dass Markus Bohn in diesem Moment tatsächlich nicht mehr real ist für uns.

NB. Oder es niemals gewesen war.

VS. Oder es niemals gewesen war. Gut. Ich würde sagen, jeder von uns gibt uns hierzu einmal ein kurzes, polarisiertes Bild von dem zu untersuchendem Objekt. Fangen wir doch mit ... (guckt in die Runde) ... mit dir an, Olli. Was macht für dich Markus Bohn aus, im positivem wie im negativem Sinne; in einem Satz.

OS (überlegt). Mh, er ist ein guter Begleiter bei jeglichen aussergewöhnlichen Aktionen. Und negativ eine Ausnahme des eben gesagten: Er ist ein mieser Begleiter beim Fahrradfahren.

AM. Weil er mit seinen Muskeln schneller fährt als du?

OS (protestierend). Nein, das stört mich überhaupt nicht, dass er schneller ... dass er schneller ist als ich. Überhaupt nicht!

VS (Einhalt gebietend). Nicht doch. Wir wollen den Stoff nur ganz neutral sammeln, nicht ihn analysieren. - Gut, fahren wir mit dir fort, Gabi. Wie sprichst du über Markus?

GS (sicher). Ich finde seine Stimme genehm, aber seine Beine nicht schön.

(alles lacht.)

VS. Und du, Wölfi?

WW (trocken). Zum Fahradfahren konnscht du ihn super mitnemme, aber wenn du 'n ordentlichen Saufkumpane suchschst, dann konnscht 'n Böhni eigentlich nur uff 'n Harz kicke. (Stösst Birgit an) Und was mänscht du, Schatz?

BH. Also ich find sein Hintern knackig, der is echt net schlecht. Aber bei Fraue zeigt er mir zu wenig Schneid, find ich. Da müsst er noch an sich arbeite.

(bestätigendes Gemurmel.)

VS. Gut. Norbert?

NB (geheimnisvoll). Der Markus ist das Seil der Hoffnung zwischen Mensch und Gott; er ist also der nietz'sche Übermensch. Nur, was mir dabei überhaupt nicht gefällt: Er ist möglicherweise gar nicht existent ...

VS (kratzt sich am Kopf). Öhm, okay. Und du, Alex?

AM (ohne eine Sekunde zu Zögern). Also seine Muskeln finde ich toll, aber die von ihm gebaute Kirche ... Wäh!

(alles lacht.)

DS (als Volker auf ihn zeigt). Ich schätze seine Intelligenz, fälle jedoch das Beil über seine Impertinenz, immer noch am Leben zu sein, sodass ich nicht auf seinem Grab tanzen kann.

VS. Okay, und ich sage: Der Böhni spielt ein gutes Skat, doch er verliert misserabel. - Was haben wir da also eben gesammelt? Kurz und gut, ein äusserst heterogenes Bild einer an und für sich doch homogen zu denkenden Person, nicht wahr?

NB (listig). Woraus die Quintesenz verbleibt: Jeder von uns denkt anders über Markus, jeder von uns nimmt ihn anders war, jeder schätzt oder verachtet ihn aus einem anderen Grund. Was folgern wir daraus? Gewinnen wir daraus ein abgerundetes Bild des Markus Bohns wie er eventuell real vorhanden ist. Oder zeigt uns das nicht viel mehr, dass jeder von uns einen anderen Markus Bohn wahrnimmt, sodass es ihn etliche male zu geben scheint, aber unter den gegeben Umständen möglicherweise auch gar nicht?

WW. Hilfe, mein Schädel! Ich will hier raus!

BH. Kummt, des geht jetzt echt zu weit langsam. Des is doch alles Quatsch. Wir alle habbe de Böhni gesehe und wenn ich etwas sehe, dann ist das real, und wenn ich 's net seh', dann halt net.

DS (von oben herab). Eine reichlich positivistische Position. Dabei wissen wir doch, dass man die Realität, das wahre Sein, mit den durch Zeit und Raum determinierten menschlichen Fähigkeiten nicht wahrnehmen kann.

OS (interessiert). Ach ist das so? Oder meinst du das jetzt nur philosophisch gesehen?

DS. Nein, eigentlich nicht. Eher physikalisch, nein, genauer: Quantenphysikalisch. Denn die Gesetze der Mikrophysik sind die Gesetze der Wahrscheinlichkeitsrechnung. D.h., dass Aussehen, die Erscheinungsform der Materie lässt sich nicht mit absoluter Bestimmtheit voraussagen, zu keinem Zeitpunkt, einfach weil die Bewegung der Atome nicht berechenbar sind.

NB. Genau. Das sagt uns die heisenberg'sche Unschärferelation: Ort und Geschwindigkeit eines Teilchens lassen sich nie gleichzeitig bestimmen. Habe ich das eine, fehlt mir das andere.

WW (trocken). Hab'ich nix, is mir des ach wurscht.

DS (ungerührt). Was wir also sehen, sind immer nur ganz kurze, nur im Beobachtungszeitpunkt aktuelle Ausprägungsformen einer realen Gegebenheit. In unsere Gehirn schnellt also eine Folge von Ausprägungsformen hinein, und zwar mit der Frequenz, mit der das Gehirn diese Bilder bearbeiten kann.

NB. Nur wenn man von einer unendlich hohen Frequenz ausgehen könnte, dann würde der Mensch zumindest fast das wahre Sein der Dinge erkennen. Oder vielmehr nicht erkennen. Denn er würde nur eine Wolke sehen, jegliche Form wäre aufgelöst in einem vom Chaos und Zufall regiertem Mikrosystem.

DS. Und auch das wäre noch nicht das wirklich wahre, aktuelle Sein der Materie, weil ja das Licht Zeit braucht, bis es das Auge des Betrachters erreicht; wir können also machen was wir wollen, alles, was wir sehen ist im Grunde schon Vergangenheit. Nehmen wir ein Beispiel: Wenn wir mh, ... das Pärchen dahinten beobachten, sehen wir zwei Menschen, die jeden Moment eiligst losrennen werden, um sich bei nächst bester Gelegenheit ihrer Leiber zu erfreuen. Doch wenn wir nicht mehr hinsehen, dann nehmen die beiden eine für unsere Sinne unidentifizierbare Form an, vermutlich einer Wolke nicht unähnlich.

WW. Mein Schädel!

OS. Das ist ja alles recht interessant. Aber wo ist da wieder der Bezug zum Markus und seiner Existenz.

NB. Wir wollten damit nur eurer altes Wahrnehmungsgefühl erschüttern. Wir haben aufgezeigt, dass die Dinge zu sehen nicht bedeutet, sie in ihrer wahren Gestalt wahrzunehmen. Woraufhin sich weiterfragen lässt, ob Dinge, deren wahre Gestalt nicht wahrnehmbar sind, überhaupt existent sind oder nur da sind, wenn sie beobachtet werden.

AM (geringschätzig). Ach so. Das ist diese komische Ist-der-Baum-auch-auf-dem-Feld-wenn-keiner-hinguckt-Geschichte.

OS (gespannt). Ja, ja. Aber wie steht es mit einem selbst. Ihr seht mich und ich bin ja wohl existent, denn ich denke und fühle ja und das kann ein Gedankengebilde bestimmt nicht.

VS (überrascht). Bravo, Olli, du bist gerade in hohe philosophische Gefilde aufgestiegen. Den eben aus diesem Grunde konnte Descartes zu dem revolutionärem Schluss kommen: cogito ergo sum; ich denke, also bin ich. Unseren eigenen Existenz können wir uns sicherer sein wie der eines Stuhles im gleichen Zimmer.

(In diesem Moment springt das Paar plötzlich auf, lässt eine Banknote auf dem Tisch zurück und verlässt überstürzt, Arm in Arm, die Höhle. Die Freunde sehen ihnen mit geteilten Gefühlen hinterher.)

4.3. Dritte Szene

In der Höhle.

Die Freunde vollständig.

(Die Freunde erschüttert beisammen. Der einsame Gast unterhält sich wieder mit seiner Bekanntschaft. Toni bringt neues Bier, wundert sich über die Stille, sagt aber nichts und geht gleich wieder.)

BH (erschüttert). Sowas, den Markus, den gibt 's gar net. Des hätt ich ja nie gedacht. Tja ...

NB. Tja ...

DS. Tja ...

AM. Tja ...

OS. Tja ...

GS. Tja ...

WW. Tja ...

VS. Tja ...

Stimme. Irrtum.

NB (sieht erstaunt die anderen an). Bitte?

Stimme. Ich sagte: Irrtum, Markus Bohn existiert.

DS (die Augen zusammengekniffen). Wer spricht denn da?

Stimme. Das ist unwichtig.

AM (besorgt). Ich glaub', das ist 'n Spuk.

DS. Oder das gleiche kollektive Bewusstsein, mit dem wir den Bohn erschaffen haben.

BH (böse). Hör bloss auf mit dem Blödsinn!

DS. Aber vielleicht stimmt das ja, dass ...

Stimme (ruhig). Nein, ich kann euch beruhigen. Ich bin mein eigenes Bewusstsein.

OS. Aber woher sprichst du dann?

Stimme. Unwichtig. Wichtig ist nur, dass ich spreche. Und das ich zu euch spreche.

VS. Genau. Wir sollten daher lieber fragen, was die Stimme uns sagen will.

Stimme. Oh, ich sagte es bereits.

WW. Das de Bohn doch existiert? Hab ich immer gewusst. So besoffe bin ich noch net.

DS. Na gut, du Stimme, wenn Markus existiert, dann kannst du uns vielleicht auch sagen, warum er nicht gekommen ist.

Stimme. Ihr irrt euch, Freunde; er ist gekommen.

BH. Wann denn? Wir habbe ihn net gesehe.

Stimme (ironisch). Ich weiss.

NB. Gut, gut, jetzt. Was soll das heissen, der Markus wäre gekommen? Hier ist er ja offensichtlich nicht.

Stimme. Irrtum. Er ist hier. Hier in der Höhle. Ganz in eurer Nähe.

GS (kopfschüttelnd). Nur wir sind hier. Und der Toni noch, sonst nicht eine Maus in einem Mauseloch.

Stimme. Seid versichert, ihr seid hier nicht alleine, auch wenn ihr es zu sein glaubt.

WW (grimmig). Ich habe langsam die Faxen dicke. Böhni existiert nicht, wir quatschen mit 'ner unsichtbaren Stimme, wir sind hier net alleine, obwohl 's genauso ist ...

Stimme (beruhigend). Es ist nicht eure Schuld, dass ihr es nicht sehen könnt. Das liegt in des Menschen Natur. Ihr seid wie der Frosch, der die toten Insekten nicht sieht.

AM. Oh, oh, gibt es sowas wie irre Geister?

DS (schnell). Die Stimme muss nicht verrückt sein, Alex; was sie sagt, macht durchaus Sinn.

VS. Hä? TV?

DS. Nun, ein Frosch kann tatsächlich keine toten Insekten sehen.

WW (sarkastisch). Haste des irgendwo gelesen?

DS. Yip.

OS. Scheint mir unwahrscheinlich zu sein. Ein Frosch hat doch Augen.

AM (polternd). Und was für Augen. - Froschaugen eben.

DS. Das ist trefflich wahr. Doch am Gehirn, da hapert es dem quakenden Kerl. Sein Geist ist ausschliesslich dazu in der Lage, bewegte Dinge zu erkennen.

NB. Tatsache? Ein Frosch kennt nur eine dynamische Welt, alles statische ist im fremd?

DS. So habe ich 's gelesen. Ein Frosch könnte in einem Meer von toter Insekten leben - so lange sich keine davon durch Wind oder ähnliches bewegt, würde er glatt verhungern, weil er sie nicht sehen würde.

WW. Und so soll des bei uns auch sein?

Stimme. Natürlich seht ihr die statische Welt und ihr seht sie gut. Allein, bei der dynamischen ist bei euch nicht alles im reinen. Die lineare Veränderung, die nehmt ihr wohl feil wahr, doch bei exponentiellen Schritten versagt ihr kläglich.

NB. Ein artiges Histörchen, allein der Wille fehlt es zu glauben.

Stimme. Glaubt es oder glaubt es nicht, es macht keinen Unterschied mehr für euch. Die exponentielle Änderung des plötzlich in ein anderes Land Vereisenden könnt ihr niemals nachvollziehen, das ist vorbei für euch. Nur mir, mir ist diese Freiheit noch geblieben.

OS (aufgeregt). Könntest du es uns nicht wenigstens versuchen zu erklären. Wir sind doch lernfähige Menschen. Oder willst du uns die exponentielle Dynamik nicht erklären?

Stimme. Vergeblich wäre es. Ihr müsstet erst zur Höhle heraus.

DS. Zur Höhle heraus? Ich denke, der Bohn wäre hier drinnen.

Stimme. Nicht diese Höhle meinte ich, sondern die des Platons: Die, in der ihr angekettet seid, sodass ihr nur die Schatten des wahren Lebens vor der Höhle an den Wänden sehen könnt.

VS. Probiere es trotzdem, auch wenn wir in der Höhle verbleiben!

Stimme. Unmöglich.

NB. Nichts ist unmöglich.

Stimme. Doch, das Unmögliche. Z.B. die Winkelsumme eines Dreiecks auf unter 180 Grad zu bringen ...

DS (flehend). Wir bitten dich!

Stimme. Zum letzten Mal, es geht nicht. Ein Gleichnis: Sucht den Intelligentesten aller Kartoffelkäfer und berichtet ihm von den Jupiter-Monden - wenn der das kapiert, dann will auch ich euch helfen; denn genauso verhält es sich bei unserem Falle.

GS. Nun denn, du Stimme, sage uns eines, du hast doch auch ein Bewusstsein so wie meines. Wieso kannst du etwas erfahren mit dem deinen, wo unseres hakt, wo unser muss verneinen?

Stimme. Das ist schnell gesagt: Weil mein Geist noch frei ist, noch unschuldig, noch ohne Vorurteil, kurz: weil ich ein kleines Kind bin.

(Gabi schrickt zusammen und alle blicken mit offenen Münder die kleine Ann-Kathrin an, die fröhlich in die Runde lächelt.)

5. Schlussszene

5.1. In der Höhle.

Der einsame Gast. Claudia. Toni.

Gast (traurig). Ich verstehe nicht, dass sie nicht gekommen sind.

Claudia. They don't mean it bad.

Gast. Mein letzter Abend in Deutschland und ich bin allein.

Claudia. Not alone ...

Gast (lächelt). Ja, du verstehst mich.

Claudia. You now, I stay in England for a long, long time. In a foreign country.

Gast. Ja, du kannst fühlen, wie ich fühle. Die anderen hätten das sowieso nicht gekonnt. Diese Spiessbürger. Keiner von ihnen erlebte je ähnliches ...

Claudia. Look at Toni. An Italian boy, feels like us. Is that not right, Toni?

Toni (herkommend). Bitte? Ich nicht wissen was wollen.

Claudia. I mean, you fell the cruelty of being far, far away from home.

Toni (wehmütig seufzend). Ja, ich weissen wie das ist. Habe verlassen das bella Italia als kleiner Bambino, so gross gerade, wie Tisch. Und wie ich nicht fand das Deutschland so kalt, so, so schrecklich kalt. Brrr! Nie daran werde ich mich gewöhnen können. So kalt.

Gast (lächelnd). Mach dir nichts daraus, Toni. Setzte dich lieber ein bisschen zu uns und trink mit uns Sangria, dann wird 's dir schon bald warm ums Herzlein werden.

Claudia. Yes, that 's a good idea. Sit down, please, by my side!

Toni (strahlend). Ah, solche Geister edler Natur, das tut gut zu sehen. Gerne werde ich das tun, sehr gerne, Ihnen Claudia und Ihnen Herr Markus Bohn.

(Und sie setzen sich danieder und sie heben ihre Tassen und sie trinken auf neue und bessere Welt.)