Moderne Gestaltung von Arbeitstätigkeiten

Geschwurbel von Daniel Schwamm (31.05.1994)

Inhalt

1. Einige Definitionen

Tätigkeiten (z.B. Transport von Arzneimitteln) sind von Handlungen (Fahren eines Fahrzeuges) abzugrenzen, denn Tätigkeiten resultieren aus Motiven und Handlungen resultieren aus Zielen. Eine Tätigkeit realisiert nur eine Handlung, eine Handlung jedoch kann vielen Tätigkeiten zugeordnet sein.

Der Handlungsspielraum ist die erkannte (subjektive) bzw. vorhandene (objektive) Möglichkeit, zwischen Handlungsalternativen zu wählen. Daraus resultiert die Flexibilität der Handlungen. Handlungsmassnahmen sind zielgesteuert.

Der Gestaltungsspielraum gibt an, inwieweit Handlungsspielräume vom Handlungsträger selbst vorgegeben werden können. Daraus resultiert die Variabilität der Handlungen. Gestaltungsmassnahmen sind zielgesteuert.

Der Entscheidungsspielraum gibt dass Ausmass der Entscheidungskompetenzen an, mit denen Tätigkeiten vom Entscheidungsträger selbst festgelegt werden können. Daraus resultiert die Autonomie von Handlungen und Tätigkeiten. Entscheidungsmassnahmen sind motivgesteuert und zielgesteuert.

2. Strategien der Arbeitsgestaltung

In Organisationen finden hauptsächlich drei Strategien der Arbeitsgestaltung Verwendung:

  1. Adaptive/korrektive Arbeitsgestaltung: Durch Nichtberücksichtigung der Vorschläge von Planern und Organisatoren werden laufend Korrekturen an der Arbeit nötig. So kommt es zustande, dass z.B. Entspiegelungen an Computermonitoren oft erst nachträglich vorgenommen werden.
  2. Präventive Arbeitsgestaltung: Die Ergebnisse der Planer, Psychologen und Soziologen werden von vorneherein berücksichtigt, wodurch korrektive Massnahmen minimiert werden können.
  3. Prospektive Arbeitsgestaltung: Der Träger der Tätigkeit kann selbst wählen, wie er sein Tätigkeitsfeld gestalten will; er verfügt über einen grossen Gestaltungsspielraum. Insbesondere die neuen IT erlaubt noch starke Ausweitungen dieser Strategie.

3. Gestaltungskonzepte der Arbeit

Der Human Relations-Ansatz brachte uns das Wissen, dass konsequente Arbeitsteilung zwar dem Arbeitsablauf förderlich sein kann, nicht aber unbedingt die Effizienz steigert, dass sie demotivierend sein kann. Und Motivation und Arbeitszufriedenheit korrelieren positiv mit Fluktuation und Krankenstand. Aus diesem Grund sollten die arbeitspsychologischen Ansätze der Aufgabengestaltung in die Arbeitsgestaltung integriert werden. Statt auf Arbeitsteilung sollten besser Job Rotation, gemeinsame Entgeltsysteme, kollektive Selbstregulierung und Gruppenarbeit Berücksichtigung finden. Kurz und gut: Es gilt, soziotechnische Systeme zu gestalten.

Sehen wir uns dazu eine mögliche Konzeption (Merkmalraum, der durch geeignete Masse einer Operationalisierung zugänglich ist) der Organisation an: Ein Subsystem der Organisation ist das Arbeitssystem, das v.a. die Fertigungsabteilung und Montageabteilungen umfasst. Dieses Arbeitssystem lässt sich weiter splitten in zwei Teilsysteme, dem sozialen Teilsystem, welches die Mitglieder mit ihren individuellen Bedürfnisse betrachtet, und dem technischen Teilsystem, welches die Betriebsmittel und organisatorischen Anlagen ins Auge fasst. Das soziale Teilsystem und das technische Teilsystem werden über Arbeitsrollen, die beiden Aspekten gerecht werden, miteinander verknüpft.

Um die Arbeitsrollen zu optimieren, müssen die Bedürfnisse der Arbeiter und die technischen Effizienzkriterien der Organisation gleichermassen und gleichzeitig Berücksichtigung finden - und nicht erst nachträglich, wie dies bei den HR-Forderungen so gerne geschieht. Es muss dazu im Vorfeld geklärt werden, welche Aufgaben das soziotechnische System insgesamt zu erfüllen hat und wie die Erfüllung der Aufgaben durch die Arbeitsrollen garantiert werden kann. Mit anderen Worten: Gestaltungskonzepte der Arbeit verlangen in soziotechnischen Systemen immer auch eine Gestaltung der Arbeitsaufgaben.

4. Berücksichtigung der Aufgabe

Arbeitsaufgaben stellen einen wesentlichen Teil der Arbeitsbedingungen von Arbeitsrollen. Wie oben erwähnt, sind die Aufgaben in soziotechnischen Systemen zu berücksichtigen; soziotechnische Systeme sind also stets aufgabenorientiert, d.h. konkret:

  • Die arbeitende Person besitzt in soziotechnischen Systemen die Kontrolle über die Arbeitsabläufe/Arbeitsinhalte. Dies bedingt, dass Arbeitsabläufe nicht partialisiert sind (Taylor go home!), dass Delegation stattgefunden hat, und dass die entsprechende Kompetenzen zur Verfügung stehen.
  • Die arbeitende Person kann die Strukturen seiner Arbeit in soziotechnischen Systemen weitgehend selbst gestalten. Die Bedingungen dazu sind ähnlich wie bei der Kontrolle-Forderung.

Bei der Aufgabengestaltung (nicht Arbeitsgestaltung!) sind nach diesen Gesichtspunkten, insbesondere im Hinblick auf das intrinsische Gehalt der Arbeit, folgende Kriterien einzuhalten:

  • Die Aufgabe muss ganzheitlich sein.
  • Die Aufgabe darf den Arbeitsträger nicht unterfordern.
  • Die Aufgabe darf der Arbeitsträger nicht zu sehr überfordern.
  • Die Aufgabe muss die Möglichkeit sozialer Interaktion einschliessen.
  • Die Aufgabe sollte weitgehend autonom vorgenommen werden können.
  • Die Aufgabe sollte Lernpotenziale und Entwicklungspotenziale besitzen.

Dem letzten Punkt wollen wir noch einmal intensiver unser Augenmerk zuwenden. Diese Forderung läuft dem Taylorismus mit seiner Forderung nach Spezialisierung zuwider, fördert jedoch nach den arbeitspsychologischen Erkenntnissen die innere Teilnahme der Arbeitsträger an der Arbeit und wirkt dadurch als Motivator. Herzberg hatte dies in seiner Zwei-Faktoren-Theorie bereits erkannt und befürwortete daher explizit die Möglichkeiten einer Aufgabenerweiterung. Er nannte dazu zwei Strategien:

  1. Job Enlargement: Diese Aufgabenerweiterung wird durch horizontale Integration erreicht, wodurch sich aber im Prinzip nichts an den tayloristischen Arbeitsabläufen ändert, da die Kontrolle weiterhin den höheren Schichten obliegt.
  2. Job Enrichment: Diese Aufgabenerweiterung wird durch vertikale Integration erreicht. Der Arbeitsträger kann ein Produkt/eine Aufgabe vollständig bearbeiten. Die tayloristische Arbeitsteilung ist aufgesprengt, da dem Arbeitsträger selbst die Kontrolle seiner Arbeit obliegt; zwischen regularischen und ausführenden Tätigkeiten muss nicht mehr getrennt werden.

Um eine ganzheitliche Aufgabengestaltung zu realisieren, muss i.d.R. Gruppenarbeit institutionalisiert werden. Alle interdependenten Teilaufgaben können zur Gruppenaufgabe ummodelliert werden, wobei jedoch die Mitglieder der Gruppe selbstregulativ, selbstverantwortlich, selbstkoordinativ und sozial unterstützend sein müssen. Häufig werden die Ziele einer Gruppe nach Art des Management by Objectives vereinbart, und die "Kontrolle" erfolgt dann über positives oder negatives Feedback der Vorgesetzten und nicht direkt durch die Vorgesetzten.

Sehen wir uns einmal eine charakteristische Gruppengestaltung in einer Organisation an: Um die Autonomie der Gruppe zu verdeutlichen, werden für diese u.U. Computersysteme beschafft, die nicht kompatibel zu den sonstigen EDV-Anlagen der Organisation sind. Hierdurch entsteht der Zwang zu einer intensiveren persönlichen Kommunikation zwischen dem Meister und den Mitgliedern der Gruppen, die durch wöchentliche Arbeitssitzungen von einer Stunde Dauer zusätzlich verstärkt werden kann. Als Basis für ein gemeinsames Entgeltsystem kann Job Rotation eingeführt werden, wobei jeder alle 20 Minuten einen Aufgabenwechsel vornimmt. Statt Job Rotation kann aber auch auf erhöhte Heterogenität innerhalb der Gruppe gesetzt werden, für ein Arbeiten im "Garagenstil", wozu multifunktionale Teams gebildet werden müssen.

5. Das Angebot von Alternativen

Die Gestaltung der Arbeit und die Wahl der Arbeitsmittel und Arbeitsmethoden sollten den Beschäftigten im möglichst hohem Masse selbst überlassen bleiben. Wir erinnern uns: Dies war die Strategie der prospektiven (vorausschauenden) Arbeitsgestaltung. Dies ist in sofern sinnvoll, da es den "One-best-Way", den die Organisatoren finden wollen, de facto nicht zu geben scheint, schon alleine deshalb nicht, weil auch optimale Organisationsstrukturen immer noch individuell verschieden interpretiert werden können (aus diesem Grund kann u.U. der "Dienst nach Vorschrift" den Tod jeden Unternehmens bedeuten).

Sicher ist, dass die Arbeitstätigkeit im hohen Masse die Persönlichkeit des Arbeitsträgers prägt. Angeborene individuelle Unterschiede der Menschen sorgen für Eignungen für bestimmte Tätigkeiten, die über psychologische Tests ermittelt werden können. Dies ist jedoch nur dann relevant, wenn die Stellen bereits fest vorgegeben sind. Eine Alternative hierzu werden wir gleich kennenlernen. Negativ zu bemerken ist zu Eignungstests auch die Tatsache, dass sie nicht die Konstanz bestimmter Eignungsmerkmale erfassen können, sondern diese Konstanz systemimmanent voraussetzen müssen. Aber Menschen sind lernfähig.

Statt auf eine Eignungsdiagnostik geht man heute zu einer sogenannten differenziellen Arbeitsgestaltung über. Die Arbeitsstruktur besitzt hier von vorneherein gewisse Arbeitsgrade, zwischen denen der Arbeiter wählen kann. So kann es z.B. an Montagebändern erlaubt sein, bestimmte Teile in mehreren Reihenfolge zu fertigen. Welche Reihenfolge bevorzugt wird, wird ad hoch, nach einer individuellen Strategie, entschieden. Natürlich ist bei solchen Freiheitsgraden darauf zu achten, dass die Effizienz der Organisation gewährleistet bleibt. Im Idealfall erlaubt die differenzielle Arbeitsgestaltung auch die Berücksichtigung dynamischer (Lern-)Prozesse, d.h. die Arbeitsstrukturen besitzen das Potenzial zur Erweiterung und Verbesserung, die wiederum von den Arbeitsträgern persönlich vorgenommen werden kann.

In gewisser Weise wird die differenzielle Arbeitsgestaltung in der Praxis bereits verwendet, z.B. in Form des Fix-Vario-Prinzips. Hier nutzt man die Tatsache, die eher bei Montagefertigung als bei Prozessfertigung gegeben ist, dass die Fertigung von Endprodukte aus fixen Arbeitsschritten und variablen Arbeitsschritten bestehen kann. Dies gibt dem Arbeiter Spielraum bei der Entscheidung, in welcher Reihenfolge er was machen will, ob in Gruppen- oder Einzelarbeit, usw.

6. Kulturberücksichtigung bei der Arbeitsgestaltung

Bei der Gestaltung von Arbeit bzw. Aufgaben muss vorsichtig mit pauschalen Gestaltungsempfehlungen umgegangen werden, wie sie z.B. der Human Relations-Ansatz bzw. der Taylorismus liefert. Insbesondere das soziale Teilsystem des Arbeitssystems ist kulturgebunden. Als Beispiel sei hier nur die Ungewissheit der Umwelt genannt, der i.d.R. mit einem bestimmten Mass an bürokratischer Kontrolle begegnet wird. Folgende Unterschiede liessen sich diesbezüglich in diversen Kulturen finden:

  • Skandinavien: Ungewissheit wird einfach hingenommen.
  • Lateineuropa: Ungewissheit wird durch Formalismus abgefangen.
  • Singapur: Ungewissheit wird einfach hingenommen.
  • Japan: Ungewissheit wird durch Formalismus abgefangen.

Auch hinsichtlich der internen Gruppenstruktur gibt es grosse kulturspezifische Unterschiede. Anschaulich lässt sich dies auf folgende Weise demonstrieren:

  • Japan: 1 x 1 x 1 = Gruppe, wegen des dort herrschenden Kollektivismus.
  • Europa: 1 + 1 + 1 = Gruppe, wegen des dort herrschenden Individualismus.

Für die Ausprägung des Individualismus bzw. Kollektivismus ist nach empirischen Untersuchungen das Bruttosozialprodukt der entscheidende Faktor. So lässt sich in den USA der stärkste Individualismus und das höchste Bruttosozialprodukt finden, und in Korea den stärksten Kollektivismus und das niedrigste Bruttosozialprodukt. Die BRD und Japan liegen irgendwo dazwischen.