Organisationstheorien I

Geschwurbel von Daniel Schwamm (25.01.1994 bis 01.05.1994)

Inhalt

1. Einführung

Organisationstheorien gibt es so einige. Doch wozu werden diese benötigt? Warum sind sie entstanden? Warum gibt es mehrere von ihnen, weshalb genügt nicht nur eine? Diese und ähnliche Fragen werden wir versuchen im folgenden Beitrag zu beantworten.

1.1. Wozu benötigt man Organisationstheorien?

In allen gesellschaftlichen Bereichen existieren Organisationen. Daher sollte man über diese Institutionen auch Bescheid wissen. Organisationstheorien sollen Organisationen erklären und sie verständlich machen. Im Gegensatz zum reinen Alltagswissen über sie müssen diese Erklärungen aber intersubjektiv prüfbar sein.

1.2. Warum gibt es so viele Organisationstheorien?

Organisationen sind hochkomplexe Gebilde. Daher sind sie nicht nur durch eine Theorie fassbar, sondern müssen unter verschiedenen Aspekten beleuchtet werden. Dies führte zuerst zu einer Unterscheidung zwischen Makro-, Meso- und Mikroorganisationstheorien: Die Erste betrachten Beziehungen zwischen Organisationen, die Zweite verschieden Organisationsformen und die Dritte Beziehungen von Individuen in Organisationen. Eine weitere Unterscheidung der Organisationstheorien liegt darin begründet, dass einige Theorien Organisationen erklären und andere sie verständlich machen wollen. Und zuletzt existieren mehrere Organisationstheorien, weil sich so verschiedene Disziplinen wie Soziologie, Ökonomie und Psychologie aus verschiedenen Motiven heraus mit ihnen befassen.

2. Wissenschaftstheoretische Grundlagen

2.1. Begriffe

Theorien sind Aussagesysteme. Aussagen setzten sich aus Begriffen zusammen. Begriffe sind Träger von Vorstellungsinhalten. Sie lassen sich folgendermassen systematisieren:

  • logische Begriffe dienen nur der Verknüpfung der Begriffe.
  • nicht-logische Begriffe lassen sich unterscheiden in:
    • präskriptive Begriffe, die normierend wirken wollen.
    • deskriptive Begriffe, die beschreibend wirken wollen. Sie lassen sich weiter unterscheiden in:
      • Begriffe mit empirischem Bezug, die einer Nominaldefinition bedürfen.
      • Begriffe ohne empirischen Bezug, für die Indikatoren zu bestimmen sind.

Schwachpunkt jeder Theorie bleibt, dass sie über die konstruierten Begriffe nur konstruierte Tatsachensysteme sein können, die mit einer Vereinfachung der Realität einhergehen. Aus diesem Grund lehnt die Sozialwissenschaft auch reine Begriffssysteme ab und fordert die Einbeziehung von Introspektion.

2.2. Erklären

Der Erklärensansatz propagiert einen Methoden-Monismus: Nur durch Aufstellung von Hypothesen können Gesetze ergründet werden, die Erklärungen für die empirischen Befunde liefern können. Wichtig für die Hypothesen ist dabei:

  • ein Informationsgehalt, der kritisch überprüft werden kann. Er ist umso niedriger, je mehr Tendenzen statt Gesetze beschrieben werden.
  • der Bewährungsgrad, der nur bei grossen und repräsentativen Stichproben in aussagekräftiger Höhe gewährleistet sein kann.
  • die Gesetzesartigkeit, die umso weniger gegeben ist, je mehr nur Vernunftgründe angeführt werden können (wie z.B. in Psychologie).
  • die Vollständigkeit, die alle empirischen Befunde erklären kann.

In der Soziologie stellt sich hierbei anders als bei den Naturwissenschaften das Problem, dass im sozialen Bereich nur statistische Gesetze wirken - sei benötigt daher weitere Methoden als nur die Hypothesenbildung, um empirische Befunde verständlich machen zu können, nämlich den später vorgestellten Verstehensansatz.

2.2.1. Die Funktionsanalyse

Die Funktionsanalyse besagt, dass alle Phänomene, die in sozialen Systemen (wie z.B. Organisationen) vorgefunden werden, wichtige Funktionen innehaben, also nötig sind, damit das System überleben kann. Liefert uns das eine befriedigende Information über die Ursachen der Phänomene? Nein, denn hier wird:

  • die Ursache aus der Wirkung abgeleitet.
  • nicht erklärt, warum das soziale System nicht anders aufgebaut ist. Es könnte ja u.U. eine äquivalente Lösung für ein Problem geben.
  • zu ideologisch gearbeitet, weil alles, was ist, eine Funktion für das System haben soll (wenn man die Macht einzelner in diesem System berücksichtigt, ist das sicher nicht immer gegeben). Jede funktionale Erklärung vernachlässigt Machtaspekte!

Aber die Funktionsanalyse hilft durchaus, wenn man einzelne Funktionen aus dem Zusammenhang ihrer sozialen Systemen lösen will, um sie so besser erforschen zu können.

2.2.2. Dialektisch-materialistische Erklärung

Die dialektisch-materialistische Erklärung geht von der Annahme aus, dass es Muster mit universeller Gültigkeit gibt, die zu allen Zeiten wirken und daher das Auftreten bestimmter sozialer Phänomene erklären können. Nach Marx wäre ein solches universelles Muster z.B. das Axion, dass die ökonomische Basis (Verfügungsrechte und Produktionsmittel) die Gesellschaftsform bestimmt.

2.3. Verstehen

Der Verstehensansatz geht auf Wilhelm Dilthey zurück, der behauptete, dass zwar die Natur erklärbar sei, die Seele aber nur verstehbar. Denn das Handeln von Individuen beruht nicht auf Gesetzen, sondern resultiert aus deren Wertstrukturen, die sich aufgrund neuer Einsichten ständig ändern können und nur durch Interpretation bzw. Introspektion zu ergründen sind.

Als Beispiel sei hier der Versuch Max Webers genannt, den Calvinismus als einen möglichen Grund für die Entstehung unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems anzuführen, indem er Zitate bringt, auf schriftliche Quellen verweist, an die eigene Erfahrung appelliert und die Sinnhaftigkeit der empirischen Befunde herauszuarbeiten sucht.

Wie am obigen Beispiel zu sehen ist, propagiert der Verstehensansatz anders als der Erklärensansatz einen Methodenpluralismus; jede Methode ist recht, sofern sie nur auf plausible Weise Licht ins Dunkle der menschlichen Handlungen bringt. Paradebeispiel hierfür ist die Hermeneutik, also die Lehre von der Interpretation schriftlicher Quellen, wo der sogenannte "hermeneutische Zirkel" wirkt: Um Zeugnis A verstehen zu können, benötigen wir Zeugnis B; um Zeugnis B verstehen zu können, hilft uns dann das verstanden Zeugnis A weiter. Man müsste hier allerdings eher von einer hermeneutischen Spirale reden, denn wir treten durch diese Methode nicht auf der Stelle, sondern lernen "bei jeder Runde" immer wieder etwas Neues dazu.

2.4. Erklären und Verstehen im Vergleich

Das Verstehen hat qualitativen Charakter und sucht nach typischen Einzelfällen. Das Erklären hat dagegen quantitativen Charakter und sucht nach allgemeinen Tendenzen. Miteinander verbunden müssten sich die beide Ansätze also grundsätzlich ergänzen.

Der kritische Rationalismus besagt dies auch; nach ihm gilt: Das Verstehen ist nicht unwissenschaftlich, aber vorwissenschaftlich. D.h., es regt den Forscher erst dazu an, Hypothesen zu bilden, die dann als wissenschaftliche Erklärungen für empirische Befunde dienen können. Der Verstehensansatz kann dabei helfen, Ursachen aufzudecken, weil Funktionsanalysen oft in einer reinen Erklärung von Symptomen stecken bleiben. Zudem ist das menschliche Handeln - anders als die Natur - durchaus Argumenten zugänglich, d.h., es kann beeinflusst werden; der Verstehensansatz erleichtert hier das Auffinden einer Lösung, die allen gerecht wird.

2.5. Theorie und Praxis

Der kritische Rationalismus nach Popper ging ursprünglich davon aus, dass Theorien einfach tautologisch zu Technologien umzuformen sind. Die Forscher spielten dabei nur eine instrumentale Rolle. Später jedoch wurde erkannt, dass Theorien stets idealisieren, sodass Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen werden können. Das Postulat des wertfreien Forschens musste relativiert werden, Theorien müssen demnach ideologiekritisch überprüfbar sein, d.h., es muss feststellbar sein, welchen Interessen sie dienen. Dazu müssen die Forscher ihre Basiswerturteile aufdecken.

Der Verstehensansatz sieht den Forscher von vorneherein nicht als reines Instrument an. Er soll stabile Handlungsmuster nicht einfach dazu benutzen, um bestimmte praktische Handlungen zu erzeugen, sondern er soll das für alle Beteiligten beste Verhalten ermitteln. Dazu müssen sich die Betroffenen jedoch in einem annähernd herrschaftsfreien Diskurs austauschen (wie es ähnlich auch von der Organisationsentwicklung gefordert wird).

Weder beim kritischen Rationalismus noch beim Verstehensansatz wird das theoretische Wissen realistisch nutzbar gemacht. Denn die nach dem kritischen Rationalismus Forschenden werden dahin gehend ausgewählt, dass ihre Ansichten mit denen der Auftraggeber übereinstimmen, sodass deren Theorie in der Praxis nur legitimierende Folgen hat. Die nach dem Verstehensansatz Forschenden stehen dagegen vor dem Problem, dass ein wirklich herrschaftsfreier Diskurs stets utopisch bleiben muss, dass also immer auch im hohen Masse Mikropolitik betrieben wird.

Unser Fazit lautet: Organisationstheorien können die bestehenden Verhältnisse kritisieren, sie können auch gute Gründe für neue Gestaltungsmassnahmen nennen, rechtfertigen können sie diese jedoch nie! Jedoch muss festgestellt werden, dass gerade die Ex-post-Legitimation die derzeitige Hauptanwendung von Organisationstheorien darstellt.

3. Schwammsche Theorie-Analyse

Um eine Organisationstheorie zu analysieren, gehen wir in dieser Arbeit folgendermassen vor:

  1. Einordnung: Vorläufer, Begründer, Zeitgeschichte der Theorie benennen.
  2. Erkenntnisinteresse: Fragen nennen, die die Theorie lösen soll.
  3. Annahmen: Realitätsrestriktionen nennen, damit die Theorie erfüllbar ist.
  4. Grundkonzept: Strukturen zwischen (1), (2) und aufgrund von (3) aufzeigen.
  5. Hauptaussage: Wenn-dann-Aussagen formulieren, die sich aus der Theorie ergeben.
  6. Methoden: Empirische Beweisführung der Theorie darstellen.
  7. Anwendungsbereiche: Theorie-Erklärungen bzw. -Postulierungen aufzählen.
  8. Würdigung: Pro und Kontra der Theorie; stärkere Position als Abschluss nennen.
  9. Weiterentwicklung: Theorien benennen, die auf der analysierten aufsitzen.

4. Das Bürokratie-Modell

4.1. Einordnung

Bürokratische Strukturen existieren seit dem französischen Absolutismus, um effektiver Steuern eintreiben und verwalten zu können. Erst im 19. Jahrhundert fanden Bürokratie grössere Verbreitung, die sich abzeichnende Organisationsgesellschaft beschäftigte zunehmend die Wissenschaft. 1821 kritisierte Freiherr von Stein die Bürokraten als besoldete, interessenlose und eigentumslose Schreibmaschinen, die uns alle regieren würden. J.S. Mill dagegen lobte die Professionalität der Bürokratie, die daher dem gar nicht selbstlosen, vererbten Feudalismus vorzuziehen sei - trotz der Gefahr der "Pedantokratie". Um die Demokratien zu schützen, müssen nach G. Mosca den Beamten aber ehrenamtliche Kollegen zur Seite gestellt werden, die sie kontrollieren können. Max Webers Bürokratie-Modell schliesslich war der Höhepunkt all dieser Bürokratie-Analysen.

4.2. Erkenntnisinteresse

Das Bürokratie-Modell will die folgenden Fragen beantworten: Was unterscheidet Bürokratien von anderen (älteren) Verwaltungsformen? Wie wirken sie auf ihre Mitglieder? Und sind die Teilnehmer nur kleine Rädchen oder können sie die ganze Bürokratie ändern? Regieren die Herrscher oder die Bürokraten?

4.3. Annahmen

Eine bürokratische Struktur muss nach Weber folgenden Kriterien genügen: Sie besitzt personenunabhängige Ämter, eine normierte Amtsführung, die Aktenmässigkeit aller Vorgänge und eine starre Top-down-Amtshierarchie.

Voraussetzungen für das Entstehen bürokratischer Strukturen sind die Geldwirtschaft, die wachsenden kulturbedingten Ansprüche an den Staat und die Konzentration der Macht/der Betriebsmittel in nur einer Hand (Staat).

4.4. Grundkonzept

Die Bürokratiebildung hängt zusammen mit dem Prozess der Rationalisierung. Nach Max Weber findet die Rationalisierung auf drei Ebenen statt:

  1. auf Ebene der Weltbilder: Hier wird zunehmend die Welt entzaubert. Vom Animismus und Mythen kam man zum Monotheismus, die Renaissance förderte das autarke Individuum, die Reformation in Form des Calvinismus die Prädestinationslehre, wo Gott (fast) völlig von der Welt getrennt wurde, und schliesslich institutionalisierte der Liberalismus den Egoismus.
  2. auf Ebene der Institutionen: Herrschaftssysteme etablieren sich idealtypisch nur durch Tradition, charismatische Führung und durch Legalisation, also in Form von (staatlichen) Bürokratien, die als einzige Rationalität für sich beanspruchen können (weil sie entmenschlicht und ohne Leidenschaft sind) und sich daher auch am ehesten durchsetzen konnten.
  3. auf Ebene der praktischen Lebensführung: Der Einzelne kann frei von der Religion zunehmend nach eigenen Werten rational handeln. Daraus ergibt sich allerdings ein Konflikt zur Bürokratie, die Weber als "stahlhartes Gehäuse" bezeichnet, und die die Eigenverantwortung im Keim ersticken. Dies betrifft in die Bürokratie integrierte ebenso wie Aussenstehende. Einziger Ausweg nach M. Weber: charismatische Einzelführer, die den persönlich-menschlichen Faktor in die Organisationssysteme zurückbringen. Andere Auswege nach A. Kieser: Ausbruch aus der Bürokratie (Arbeitswechsel) oder eine Gegenbewegung schaffen (z.B. in Form einer Bürgerbewegung).

4.5. Hauptaussage

Wenn bürokratische Strukturen in einer Organisation vorliegen, dann arbeitet diese effizienter als eine Organisation mit älterer Verwaltungsform (was jedoch nicht ausschliesst, dass es in Zukunft keine Alternativen zur Bürokratie geben wird).

4.6. Methoden

Max Weber lehnt den Methoden-Monismus des reinen Erklärensansatzes (svw.) ab, wie die folgende Auflistung zeigen wird. Deshalb hebt er den Gegensatz zwischen Erklären und Verstehen auf, indem er über das Verstehen "Erklärungen" zum sozialen Handeln abgibt, während das Verstehen Erfahrungen voraussetzt, die ihrerseits erklärbar sind. Um das Handeln eines Individuums zu erklären, ist sein subjektiver Sinn auf Basis dessen intersubjektiver Werte wichtiger, als der tatsächliche, objektive Motivator, der dem Befragten daher auch ruhig unbewusst sein kann.

Weber zeigt historische Entwicklungen nach dem Verstehensansatz auf (z.B. die Rationalisierung der Weltbilder).

Er benutzt Idealtypen (z.B. Herrschaftstypen), die absichtlich überspitzt formuliert werden, sodass sie keine Entsprechung in der Realität besitzen, mit deren Erscheinungen jedoch graduell vergleichbar sind, indem er den Grad der Abweichung von der konstruierten Richtigkeit misst. Weber empfiehlt dazu Gedankenexperimente derart, dass man sich fragt, was wohl gewesen wäre, wenn der Idealtyp gegolten hätte.

4.7. Anwendungsbereiche

Das Bürokratie-Modell kann dazu dienen, Parallelen zwischen Bürokratien und der Kapitalwirtschaft aufzuzeigen: Der Staat monopolisiert über die Bürokratie zunehmend die institutionelle Macht in seinen Händen, Grossunternehmen schlucken zunehmend Kleinbetriebe und konzentrieren die wirtschaftliche Macht in ihren Händen.

Es können Plausibilitätsgründe für die höhere Effizienz von Bürokratien gegenüber anderen Verwaltungsformen genannt werden, so z.B. die Rationalität, die Maschinenartigkeit, die hier verwirklichbare Arbeitsteilung und die Unpersönlichkeit, die mehr sachliche als politische Energie freisetzt.

Der Konflikt der persönlichen Rationalität mit der Bürokratie-Rationalität unterdrückt die Eigenverantwortung und wirkt sich - so postuliert Weber - gesamtgesellschaftlich negativ aus. Als Ausweg nennt er die Notwendigkeit von charismatischen, selbstverantwortlichen Führern, die die Erstarrung der sozialen Beziehungen aufsprengen können. Daher plädierte Weber auch für die Direktwahl von politischen Führern.

4.8. Würdigung

Weber bedachte bei seiner charismatischen Führer-Bejahung, die sogar demagogische Mittel zum Machtgewinn ausdrücklich billigte, nicht die dadurch geförderten faschistischen Auswüchse, wie sie sich in Nazi-Deutschland alsbald bewahrheiten sollten.

V.a. die Protestantismus-These griff man an; Weber wurde hier jedoch meist eine kausale Behauptung imputiert. Doch die protestantische Ethik stellte seiner Meinung nach bloss eine wichtige Facette zur Entstehung des Kapitalismus dar.

Breite Zustimmung fand dagegen die Selbstverantwortungsreduzierung (z.B. Herbert Marcuses "eindimensionaler Mensch", d.h. Fachmensch), die de facto aber nicht gegeben ist. Im Gegenteil, die Innovationsfreudigkeit, die Eigeninitiative und Eigenverantwortung voraussetzt, hat unter bürokratischen Strukturen eher zugenommen. Ingrid Lohmann erklärt das als Folge des Teilhabe-Charakters von Organisationen, der es Mitglieder freistellt, sich seine Organisation zu wählen. Ausserdem erfasst eine ausgeweitete Bürokratie auch die abweichende Meinung und ermöglicht es dadurch erst, sie in innovativer Weise in den Organisationsprozess einbringen zu können.

Die bürokratische Struktur besitzt zahlreiche Mängel, die ihre allgemeine (!) Effizienz anzweifeln lassen: Sie sind starr/unflexibel, die Regeln werden wegen Genauigkeitswahn zu Selbstzweck, Machtkämpfe bleiben bestehen, die Aktenmässigkeit erhöht nicht die Geschwindigkeit, die Stellen vermehren sich wie von alleine und es kommt häufig zu Konflikten zwischen Spezialisten und Bürokraten (weil hier zwei grundverschiedene Menschentypen vorliegen).

4.9. Weiterentwicklung

Max Weber war nicht nur der Begründer der Soziologie, sondern mit dem Bürokratie-Modell auch der Wegbereiter der modernen Organisationstheorien.

Hans-Ulrich Wehler weist darauf hin, dass der charismatische Führer nicht das geeignete Mittel ist, die Bürokratie zu entstarren und menschlicher zu gestalten (wohl aufgrund des Machtpotenzials, welches dem Führer damit zufällt). Geeigneter sind seiner Meinung nach demokratische Verständigungsprozesse zwischen den Betroffenen und den Gestaltern.

Der Bürokratie-Idealtyp wurde differenziert, indem seine konstanten Kriterien allmählich in Variablen gewandelt wurden, wodurch sie statistischen Analysen wesentlich zugänglicher waren. Dieser Vorgang leitete die vergleichende Organisationsforschung ein, die auch den Situativen Ansatz beinhaltet.

5. Managementlehre und Taylorismus

5.1. Einordnung

Managementlehren existieren, seit sich der Mensch bewusst mit der Gestaltung von Arbeit beschäftigt. Z.B. wurde ein Management-Leitfaden gefunden, der aus der Zeit des Pyramidenbaus stammte. Im alten Griechenland wurden im Takt von Flötenmusik hoch spezialisierte Aufgaben ausgeführt. Der Merkantilismus wollte durch Verbreitung von Management-Leitfäden für Manufakturen die Volkswirtschaft stärken. Charles Babbage formulierte 1832 sein Prinzip von der Spezialisierung und der dadurch wegen der unqualifizierteren Arbeit anfallenden geringeren Personalkosten. Die Fayolsche Brücke forderte die Einheit der Auftragserteilung und damit nicht anderes als das Einliniensystem. Die Technik wurde weiterentwickelt. Durch die Ost-Einwanderer standen die USA aber vor dem Problem, zu wenig qualifizierte Arbeitskräfte zu haben. Hier fand schliesslich der Taylorismus, der eine Allianz mit dem Fortschritt eingegangen war - fruchtbaren Boden.

5.2. Erkenntnisinteresse

Die Managementlehre antwortet auf die Frage: Welche Organisationsprinzipien gibt es, um die Gestaltung von Arbeit vorzunehmen?

Das Scientific-Management (Taylorismus) antwortet u.a. auf die Fragen: Welche Änderungen an der Organisationsstruktur sind in welchem Masse bei welcher Situation vorzunehmen, um die Arbeitsorganisation optimal zu gestalten? Wie kann man die Kontrolle der Manager über die Arbeiter erhöhen, ohne dass diese sich gegen die Manager wenden?

5.3. Annahmen

F.W. Taylor ging u.a. von folgenden ungeprüften Annahmen aus:

  • Der Mensch ist von Natur aus faul.
  • Er wird nur durch Konsum glücklich.
  • Er arbeitet nur, wenn ihm Geld angeboten wird.
  • Für Ingenieure gilt Obiges nicht (!), daher gestalten sie die Arbeit.
  • Arbeitsteilung erhöht die Effizienz.
  • Scientific-Management-Wissen ist besser als Faustregel-Wissen.
  • Unpersönliche Kontrolle durch Pläne/Programme ist besser als die persönliche.

5.4. Grundkonzept

Die Managementlehre sammelt bewährte Faustregeln und erhebt sie zu allgemeingültigen Organisationsprinzipien. Z.B. "Spezialisierung ist gut", weil die Arbeit dadurch nach Adam Smith produktiver und nach dem Babbage-Prinzip auch billiger wird.

Das Scientific-Management verzichtet auf Faustregeln, und sucht stattdessen über wissenschaftliche Experimente die optimale Lösung für ein Problem, um so letztlich eine rationale Arbeitsorganisation zu erhalten. Dazu muss nach Taylor aber ein strategisches Programm eingehalten werden:

  • Trennung von Hand- und Kopfarbeit, um die Kontrolle zu erhöhen (z.B. Funktionsmeistersystem als Alternative zum Fayolsche Einliniensystem). Das Erfahrungswissen der Arbeiter soll zum alleinigen Wissen der Ingenieure werden.
  • Pensum, Bonus und Bestrafungen festlegen, um Arbeiter bei Laune zu halten (z.B. Stücklohn, statt Zeitlohn).
  • Auslese und Anpassung der Arbeiter, um sie bedürfnisgerecht einsetzen zu können.
  • Versöhnung zwischen Arbeitern und Unternehmern durch die Herrschaft von Experten, die unabhängig und rational optimale Lösungen ausarbeiten.

5.5. Hauptaussage

Wenn man die Organisationsprinzipien der Managementlehren einsetzt, dann kommt man schnell zum Ziel und verhindert grundsätzliche Fehler.

Wenn man das Scientific-Management anwendet, dann verwirklicht man eine systematische Optimierung der Arbeitsorganisation.

5.6. Methoden

Die "Methode" der Managementlehre besteht darin, bewährte Praxis zu identifizieren und diese in Regel (Organisationsprinzipien) zu fassen, sodass andere sie ebenfalls verwirklichen können.

Das Scientific-Management propagiert die Methode des "wissenschaftlichen" Experiments zur Auffindung optimaler Lösungen für organisatorische Probleme. Eingebettet ist das Experiment in das strategische Programm Taylors. So wird z.B. über Zeitstudien-Tests herausgefunden, welche Schaufelgrösse für eine bestimmte Arbeit die beste ist.

Ein Arbeiterbüro sollte jedem (amerikanisch-typisch unqualifizierten) Arbeiter eine Tagesarbeit zuweisen und ihm den dadurch erreichbaren Lohn vorrechnen. Der Meister sollte nur noch eine Kontrollfunktion innehaben, der nach dem Erfolg seiner Mitarbeiter bezahlt wird.

5.7. Anwendungsbereiche

Die Managementlehre gibt eindeutige Regeln vor, die schnell in die Praxis umgesetzt werden können und so u.U. schnell zum Erfolg führen. Solche Kochrezepte liebt jeder Manager.

Der Taylorismus gestattet es, unqualifizierte - ja sogar hauptsächlich unqualifizierte! - Arbeiter bedürfnisgerecht und im Sinne der Organisation effizient einzusetzen.

Der Taylorismus ermöglicht die optimale Ausnutzung vorhandener organisatorischer Gegebenheiten, um so die Betriebs-Produktivität zu erhöhen. Das Plus an Gewinn würde sich positiv auf alle Beteiligten auswirken, sodass Gewerkschaften ihren Wert verlieren würden (die Verteilung allerdings ist ein politisches Problem und solche Probleme werden von den jeweils Mächtigeren immer in ihrem Sinne gelöst).

5.8. Würdigung

Die Organisationsprinzipien der einfachen Managementlehre sind generell einfach gehalten, woraus für die Praxis eine hohe Attraktivität resultiert. Dies alleine macht sie jedoch noch nicht effizient. Die Organisationsprinzipien erheben den Anspruch, allgemeingültig zu sein, unabhängig vom situativen Kontext der Organisation. Sie sind ausserdem wertgeladen: Sie fordern stets Maschinenartigkeit, Arbeitsteilung, Formalisierung und Herrschaftssicherung. Und zuletzt sind sie vergangenheitsorientiert, da sie sich nur auf Bewährtes stützen.

Das "wissenschaftliche" Experiment statt Organisationsprinzipien ist anpassbarer an die Situation und damit auch allgemeiner gültig. Das strategische Programm wirkt dagegen ähnlich wie die Organisationsprinzipien und beschränkt den Scientific-Management-Einsatz; so findet er nur in grossen Betrieben mit Serienproduktion statt. Negativ ist weiter, dass der Taylorismus mit hohem Reorganisationsaufwand verbunden ist, das mittlere Management sich aufbläht (Mehrliniensystem), und gewerkschaftliche Opposition geradezu herausgefordert wird. Die Angst des Topmanagements, über das Arbeitsbüro, und des mittleren Managements, über die Experten Macht zu verlieren, bewahrheitete sich durch Druck auf die Tayloristen nicht. Der Taylorismus ist theorielos, denn er benutzt Experimente nicht zum Beweis von Hypothesen, sondern um Lösungen auszuarbeiten. Seine Annahmen werden nicht geprüft, seine Methoden nur durch Taylors eigene Erfahrung empirisch gestützt, seine Stichproben sind zu klein und unrepräsentativ (keine Zufallswahl bzw. nur Betrachtung von Extremsituationen) und die untersuchten Zeiträume zu klein. Er wirkt generell nur in kleinen Teilbereichen der Organisation, ist herrschaftszementierend, seine Prämien sind gesundheitsschädliche Überanstrengungsbelohnungen, der arbeitende Mensch wird auf das Messbare reduziert, er wird systematisch dequalifiziert, seine Arbeit damit monotoner und automatisierungsgefährdeter. Allerdings erhöht er auch die Kontrolle des Managements über die Arbeiter und die Produktivität.

5.9. Weiterentwicklung

Aus dem Taylorismus entstand (an den Universitäten) die moderne Arbeitswissenschaft, das Fertigungsingenieurwesen und das Operations Research.

Der Fordismus - der bis zu einem gewissen Grad vom Taylorismus inspiriert wurde - erlangte für die Produktrationalisierung wesentlich mehr Bedeutung als das Scientific-Management. Wo Taylor noch die Experten Pläne ausarbeiten lässt, da programmiert Ford die Arbeitsorganisation in Fliessbänder hinein und lässt nur bestimmte Produkttypen (ohne Variationen) fertigen. Durch diese Massnahme blähte sich das mittlere Management nicht so auf, wie es beim Taylorismus beobachtet wurde.

Die REFA, der Verband für Arbeitsgestaltung, Betriebsorganisation und Unternehmensentwicklung, wendete den "germanisierten" Taylorismus in Deutschland an, d.h., sie verzichtete nicht auf eine typische Stärke des deutschen Arbeitsmarktes (entgegen den ursprünglichen Zielen des Taylorismus: den qualifizierten Facharbeiter bzw. Meister. Auf übermässige Spezialisierung und Mehrliniensysteme wurde in Deutschland also (zum Glück) nie so grosser Wert gelegt.

CIM (Computer Integrated Manufacturing) soll über elektronische Informations- und Steuerungsmittel helfen, den relativ starren Strukturen, auf die die tayloristische Methode hinausläuft, etwas mehr Flexibilität einzuhauchen.

Der Situative Ansatz ist geprägt vom Rationalismusgedanken des Taylorismus, sucht aber weit weniger als dieser nach optimalen Lösungen, sondern vielmehr nach situationsabhängigen Gestaltungsmöglichkeiten für die Manager.

Eindeutige Regeln gibt dagegen das Harzburger-Modell von Reinhard Höhn vor. So verlangt dieses exakte Stellenbeschreibungen, und dass Entscheidungen von den Mitgliedern tiefer Ebenen selbst zu treffen sind, wodurch das Topmanagement von Routinearbeiten entlastet wird und die Untergebenen unpersönlicher geführt werden können. Im Kern bleibt das Modell jedoch autoritär: Bei grösseren Problemen entscheidet letztlich immer doch alleine der Vorgesetzte. Der Erfolg des Modells endete in den 70ern, als die zunehmend dynamischer werdende Umwelt neue Lösungen forderte.

Das Management by Objectives-Konzept (zu Deutsch: Führung durch Zielvereinbarung) löste das Harzburger-Modell ab: Statt fixer Stellenbeschreibungen sollten hier die Ziele der Arbeit mit dem Vorgesetzten zusammen vereinbart werden.

Um die Mitglieder in flexibler Weise und doch im Sinne der Unternehmenspolitik zu steuern, erlebte zwischendurch die Idee der Organisationskultur einen rasanten Aufschwung.

Generell lässt sich sagen, dass alle sogenannten umfassenden Organisationskonzepte (die so umfassend gar nicht sind, weil sie sich immer nur einem Hauptproblem zuwenden), meist nur kurzlebige Modeerscheinungen sind, die bald wieder von einem anderen Konzept verdrängt werden.

6. Human-Relations-Bewegung und Organisationspsychologie

6.1. Einordnung

Bereits während der Industrialisierung musste das Unternehmertum feststellen, was es bedeutet, nicht auf die Bedürfnisse der Arbeiter einzugehen, und zwar in Form der Sozialdemokratie als Folge des Manchester-Liberalismus. Anfang des 19. Jahrhunderts empfahlen Manager-Zeitschriften, menschliche Beziehungen zu den Arbeitern aufzubauen. 1920 wurde in den USA sogar ein Typ von Manager propagiert, der von seinen Arbeitern lernen soll (vermutlich aus Angst vor dem Bolschewismus)! Rosenstock wollte räumlich getrennte und rechtlich selbstständige Produktionsstätten verwirklichen. Etwas weniger revolutionär gab sich Windschuh, der die Einführung eines Sozialsekretärs als Puffer zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nahelegte. Die Hawthorne-Experimente (1924) legitimierten damit also nur noch die Berücksichtigung menschlicher Beziehungen in der Arbeit, die sie zuerst sogar als zu kontrollierende Störfaktoren deklarierten. Im Zuge der daraufhin entstehenden Human-Relations-Bewegung wurde die Organisationspsychologie aus der Taufe gehoben; sie untersucht das sehr komplexe Gebiet des Verhaltens von Mitgliedern in Organisationen. Und fortan lagen Taylorismus und Human-Relations-Bewegung im Widerstreit um die Auffindung der besten Arbeitsorganisation.

6.2. Erkenntnisinteresse

Bereits die Tayloristen fragten sich, worauf die Human-Relations-Bewegung antworten will: Warum ändern die Mitglieder einer Organisation ihr Verhalten bisweilen in Effizienz steigernder Form, obwohl eigentlich nur nicht objektiv messbare Strukturänderungen vorgenommen wurden?

Die Organisationspsychologie fragt konkreter: Wie führt und motiviert man Arbeiter gleichzeitig? Wie erreicht man Arbeitszufriedenheit? Wie psychologisch belastend ist die Arbeit? Wie unterscheiden sich Entscheidungen von Individuen und Gruppen? Lässt sich Technik human gestalten? Wie ist ein Konfliktmanagement zu verwirklichen?

6.3. Annahmen

Die Human-Relations-Bewegung nimmt an, dass Beziehungen zwischen Vorgesetzten und Arbeitern und Arbeitern untereinander deren Zufriedenheit erhöhen, die sich dann i.d.R. durch erhöhte Arbeitsamkeit ausdrückt und also die Produktivität zu steigern vermag.

6.4. Grundkonzept

Die Human-Relations-Bewegung propagiert einen Weg-Ziel-Ansatz, bei der der Führer nicht nur den Weg zur Erreichung des Ziels vorgeben soll, sondern auch selbst die Belohnung danach durchzuführen hat, um so die Produktivität zu steigern.

6.5. Hauptaussage

Wenn eine personenorientierte und sachorientierte Führung vorliegt, dann wirkt sich dies positiv auf die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter aus und damit auch auf die Produktivität des Unternehmens. D.h., nicht die Arbeit selbst muss geändert werden, sondern die Bemühung um den Arbeiter durch die Vorgesetzten.

6.6. Methoden

Reinhard Bendix verglich die Human-Relations-Methoden - den Aufbau von Beziehungen zwischen Arbeitern und Vorgesetzten - mit den höfischen Manieren des Mittelalters: man tut zwar offiziell lieb, bringt einen aber dennoch hinterrücks um die Ecke.

Die Organisationspsychologie erweitert das Methodenarsenal zur Schaffung rationaler Organisationsgestaltung, da es Methoden an die Hand gab, mit der die Motivation und Arbeitszufriedenheit gemessen werden konnte. Sie setzt u.a. Interviews ein, tayloristische Experimente mit Änderung einzelner Faktoren oder Psychologie-Tests, um so Eignungen feststellen zu können (v.a. in Deutschland herrscht seitdem eine grosse Testgläubigkeit).

Der Human-Relations-Ansatz verlangte in erster Linie eine Änderung des Verhaltens der Vorgesetzten gegenüber ihren Mitarbeitern. Dazu mussten sie geschult werden, um Zuhören zu können, um nicht direktiv zu wirken.

6.7. Anwendungsbereiche

Es wird gezeigt, warum die Abgabe von Kontrolle durch das Management u.U. zu einer erhöhten Produktivität führen kann, weil dann die Arbeiter motivierter sind und mehr Eigenverantwortung entwickeln. Es wird daher für eine Organisationsstruktur geworben, die gegenläufig zu der des Taylorismus ist und dennoch erfolgreich(er) sein kann.

6.8. Würdigung

Die Organisationspsychologie bzw. Human-Relations-Bewegung lässt den Experten bei der Interpretation der Ergebnisse viel Raum für Humbug, etwa derart, dass ein Klassenkampfbewusstsein bei Arbeitern eine Art Defekt sei, der einer Therapie bedürfe. Meist unterliegen diese Ansätze auch dem Zeitgeist und "beweisen" Dinge, die sie von vorneherein beweisen wollten - sie überprüfen Hypothesen also nicht im Popperschen Sinne auf Falsifikation hin, sondern streben vielmehr eine Verifikation derselben an (was nach dem Kritischen Rationalismus prinzipiell schon gar nicht möglich ist). Tendenziell wurde z.B. der Wert des Lohns für die Arbeitszufriedenheit heruntergespielt. Hier zeigt sich eine generelle Gefahr: In praktischer Anwendung wird die Wissenschaft immer auch in politischer Weise eingesetzt (unheilige Allianz von Forschern und Praktikern)!

Die Organisationspsychologie ist so komplex, dass die von ihr längst ad acta gelegten einfachen Theorien oft in der Praxis Verwendung finden, wie z.B. die Persönlichkeitstheorie, die besagt, dass Führer gewisse Eigenschaften besitzen müssen, um Führen zu können; dies lässt sich aber schon deswegen nicht bestätigen, da Menschen gleiche Eigenschaften (wie Intelligenz) auf unterschiedliche Weise einzusetzen pflegen.

6.9. Weiterentwicklung

Hugo Münsterbergs "Psychotechnik", bei der Arbeiter nach ihrer Eignung und ihren Bedürfnissen hin getestet und eingesetzt wurden, verband den Taylorismus mit der Human-Relations-Idee. Erfolg war ihr trotzdem nicht beschieden; doch vielleicht lag das auch an Münsterbergs bisweilen etwas schrägem Instrumentarium, welches sogar - um den Schlaf zu sichern - eine allabendliche Alkoholvergiftung der Arbeiter gut hiess.

Die Organisationsentwicklung (OE) nach Kurt Lewin (1949) vereinfacht die Organisationspsychologie, indem sie nicht von aussen über Experten eine bedürfnisgerechte Organisationsstruktur entwickeln will, sondern dies die Betroffenen selbst ausführen lässt. Das Motto heisst: Betroffene zu Beteiligten zu machen. Die OE-Experten sollen nur Hilfe zur Selbsthilfe geben durch Sensitivitätssteigerung und Teamfähigkeitstraining. Dabei wird nach einem Drei-Phasen-Schema vorgegangen: Auftauen, Änderung und Einfrierung der Strukturen mithilfe von externen Prozessberatern, Survey-Feedback und Konfliktmanagement. Leider schafft dieses Konzept nur einen Deckmantel der Harmonie, einen sozialen Tarnmantel, denn real sind die Einflussmöglichkeiten der Betroffenen begrenzt, da sie u.a. gar nicht die nötigen Kenntnisse zur echten Beteiligung besitzen. Verdächtig ist auch, dass der Begriff der Humanität nicht operationalisiert wird, sodass sich das Ergebnis der OE mithin gar nicht objektiv messen lässt.

In Deutschland sorgten 1973 die Gewerkschaften für die sogenannte Humanisierung der Arbeit, die die Selbstverwirklichung in der Arbeit fordert. In grenzenloser Überschätzung der Sozialwissenschaften forderte daraufhin sogar das Betriebs-Verfassungsgesetz, die arbeitswissenschaftlichen Ergebnisse zu beachten. Allerdings zeigte die Humanisierung der Arbeit auch, dass die Arbeitsgestaltung eine Determinante der Arbeitszufriedenheit ist.

7. Verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie

7.1. Einordnung

Mit der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie beschäftigte sich zuerst C. Barnard (1938), danach March/Simon (1958), und dann Cyert/March (1963).

7.2. Erkenntnisinteresse

Untersucht werden hier nicht die Strukturen von Organisationen und ihre Wirkung auf die Mitglieder, sondern wie Entscheidungsprozesse in Organisationen ablaufen. Verhaltenswissenschaftlich ist die Theorie deshalb, weil nicht logische, sondern menschliche Entscheidungen im Vordergrund stehen. Es wird v.a. die formale Organisation untersucht, um so die Entscheidungsprozesse aufzuspüren, die in allen Organisationen beim Topmanagement gleichermassen vorkommen.

Gefragt wird dazu: Wie passen sich Organisationen durch menschliche Entscheidungen an ihre Umwelt an? Wie rational können diese Entscheidungen sein? Wie bringt man die Teilnehmer dazu, etwas für die Organisation zu tun? Wie treffen Individuen Entscheidungen? Wie werden diese von der Organisation beeinflusst?

7.3. Annahmen

Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie zeichnet sich durch zahlreiche Prämissen aus:

  • Der Mensch hat nur eine begrenzte Informationsverarbeitungskapazität (im Gegensatz zur klassischen Entscheidungstheorie).
  • Der Mensch setzt sich nur begrenzt für eine Organisation ein, weil eine prinzipielle Differenz zwischen menschlichen und organisatorischen Bedürfnissen bzw. Zielen besteht. Er hat laut Barnard eine individuelle und eine organisatorische Persönlichkeit.
  • Der Mensch ist in die Umwelt integriert, kann an der Organisation also nur als Teilnehmer beteiligt sein (z.B. als Mitglied oder als Kunde). Eine Organisation besteht also nicht aus Menschen!
  • Auch Maschinen gehören nicht zur Organisation, sondern zur Umwelt.
  • Formale Organisationen sind unpersönliche Handlungssysteme, d.h. ein Wechsel der Teilnehmer bedingt keine Änderung der Organisation.
  • Organisatorische Entscheidungen beruhen nicht auf individuelle Entscheidungen, sondern auf Entscheidungsprozessen.
  • Herrschaft ist begrenzt, da Teilnehmer nur zum Teil an Organisationen teilnehmen und sie meistens einen Informations-Vorsprung gegenüber Vorgesetzten besitzen.

7.4. Grundkonzepte

Konzept der begrenzten Rationalität: Individuen entscheiden wegen ihrer begrenzten Informationsverarbeitungskapazität nicht rational. Daher benutzen sie Entscheidungsregeln (Selektion der Realität, nur Niveau-Ziel formulieren, Modellierung der Umwelt) oder benutzen bei Routineaufgaben habituelles Verhalten. Organisationen setzten für eine rationale Verhaltenserreichung die - i.d.R. evolutionär trial-and-error-gewachsenen, nicht verordneten - Instrumente Arbeitsteilung, Standards (Programme, Pläne), Herrschaft/macht, Indoktrination und Kommunikation (Kanäle enthalten nur selektiv-wichtigen Informationen) ein.

Das Konzept vom Anreiz-Beitrags-Gleichgewicht: Die Organisation hat eigene, von Personen unabhängige Ziele, wie z.B. die Bestandssicherung. Sie ist ein Handlungssystem, in dem die Teilnehmer koordinierte, unpersönliche Beiträge leisten und dafür Gegenleistungen erhalten. Befriedigung und Belastung müssen gleichgewichtig sein, damit sie überleben kann. Dazu muss sie sich der komplexen, veränderlichen Umwelt ständig anpassen. Die Befriedigung wird erreicht durch (1) materielle oder immaterielle Vergütungen oder durch (2) Beeinflussung der Teilnehmer dahin gehend, dass ihnen die Vergütungen als Anreiz genügen, z.B. durch gewaltorientierte Herrschaft oder - effektiver - durch machtorientierte Indoktrination. Dadurch wird die Indifferenzzone definiert, innerhalb derer die Teilnehmer Herrschaft gestatten.

Zielbildungsprozess von Cyert/March: Die Organisationsziele sind das Resultat eines (formalen) Prozesses, in dem die Teilnehmer ihre individuellen Ziele ausgehandelt haben. Eigentlich sind aber nur aktive Koalitionen zielbildend, die anderen (z.B. Aktionäre) bekommen stattdessen Ausgleichszahlungen. Zielkonflikte werden nicht ausgeräumt, aber über Quasi-Lösungen gemildert. In den einzelnen Abteilungen werden dann Anspruchsniveaus gesetzt und die Zieldurchsetzung lokal rational angegangen. Die Organisation wirkt auf die unsichere Umwelt durch Stabilisierung (z.B. durch langfristige Verträge), durch bestimmtes Suchverhalten (alte Lösungen werden nur wenig geändert, um mit der neuen Umwelt fertig werden zu können) und organisatorischem Lernen (Organisationen als adaptiv rationale Systeme).

Fazit: Die verhaltenswissenschaftliche Entscheidungstheorie sieht Manager als eine Art Busfahrer an, die, wenn sie in die falsche Richtung fahren, ihre Fahrgäste, sprich Mitarbeiter, loswerden. Organisationen bekommen dadurch einen sehr funktionellen Charakter.

7.5. Hauptaussage

Wenn Menschen an einer Organisation teilnehmen, dann findet eine durch Anreize auszugleichende Entpersönlichung statt, weil die Organisationsziele den eigenen Zielen oft konfliktär gegenüberstehen.

7.6. Methoden

Eingesetzt werden häufig Fallstudien (z.B. Untersuchungen der Daten des Rechnungswesens), bei denen komplexe und innovative Entscheidungsprozesse bzw. die Fülle der Einzelentscheidungen nachgezeichnet werden.

Neuere Untersuchungen, insbesondere durch Vertreter des Mülleimer-Modells, nehmen sich mit Vorliebe die vielschichtigen und schlecht-strukturierten Entscheidungsprozesse von Universitätsverwaltungen vor.

Zunehmend werden auch Simulationen eingesetzt, um z.B. bestimmte Entscheidungen postulieren zu können. Insbesondere der Aufschwung der Künstlichen Intelligenz (KI) eröffnet hier neue Chancen. Allerdings ist die Prognosefähigkeit von Simulationen wegen der Komplexität der Realität recht begrenzt.

7.7. Anwendungsbereiche

Zeigt die Bedeutung von Akteuren auf den verschiedenen Hierarchiestufen für die Entscheidungsfindung auf, sowie die Beeinflussung der Entscheidungen durch günstige Gelegenheiten, was die strategischen Planungsentscheidungen des Topmanagements relativiert.

Zeigt auf, dass Ziele und Probleme entkoppelt zu betrachten sind, d.h., dass Ziele nicht immer auf die Lösung von Problemen ausgerichtet sein müssen, und dass sich Ziele auch oft erst nach den Handlungen der Teilnehmer herauskristallisieren.

Zeigt auf, dass Entscheidungen nicht rational sind und auf Prozessen beruhen, sondern häufig nur bestimmte Regeln befolgen. Dadurch lassen sich auch die Organisationsstrukturen funktional erklären: Es gibt sie, weil durch sie erst eine Systemrationalität ermöglicht wird.

7.8. Würdigung

Der Teilnehmerbegriff ist zu ausgeweitet. Es wird z.B. nicht zwischen Kunden und Mitgliedern unterschieden, obwohl nur Letztere ein Herrschaftsverhältnis eingehen, also akzeptieren, dass ihr Verhalten von anderen bestimmt wird.

Mehrdeutige Situationen (organisierte Anarchien), bei denen man Lösungen besitzt, die man keinem Problem zuordnen kann, finden kaum Berücksichtigung. Da die Umwelt aber nur eine unvollkommene Technik bietet, die Menschen nur beschränktes Wissen aufweisen, Misserfolge u.U. wegen nicht operationalisierbarer Ziele gar nicht erkannt werden, sind programmgesteuerte oder linear-kausale Entscheidungsprozesse ineffektiv.

Die Fallstudienmethode leidet unter dem Generalisierungsproblem.

Da nicht alle menschlichen Entscheidungen nachvollziehbar sind, besteht die Gefahr von Ex-post-Rationalität, die mit subjektiv gefärbten Interpretationen einhergehen.

Machtasymmetrien und Gesellschaftswirkungen werden bei der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie vernachlässigt (sie sträubt sich aber auch nicht dagegen). Grund ist der illusorische Glaube, dass Macht nur von unten verliehen wird, und dass Unzufriedene jederzeit das Handtuch werfen können.

Es wird zu oft funktional argumentiert: Alles ist gut, sofern es nur das Überleben der Organisation sichert - also auch die Bürokratie, weil sie die Entscheider entlastet, und die Herrschaft, weil sie die Teilnehmer steuert. Dies gilt aber nicht immer, so z.B. nicht für die allgemeine Wohlfahrt.

Die komplexen Ansätze der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie besitzen einen starken Einfluss auf die Weiterentwicklung der Organisationstheorien.

Organisationen werden von den Personen getrennt betrachtet, woraus folgt, dass keine natürliche Bedürfnisharmonie wie beim Taylorismus bzw. Human-Relations-Ansatz besteht oder bestehen muss, sondern dass die Zwecke der Organisation den Teilnehmern erst eingeflösst werden müssen.

7.9. Weiterentwicklung

Das Mülleimer-Modell von Cohen, March und Olsen von 1972 sieht vor, alle Lösungen, Probleme, Gelegenheiten und Teilnehmergegebenheiten in einem "Mülleimer" entkoppelt (!) zu sammeln und dann darauf zu warten, dass zufällige (oder besser: durch die Organisation und die Gesellschaft bedingte, in der Anarchie Ordnung bildende) Ströme dafür sorgen, dass die Mülleimer-Elemente sich in passender Weise finden. Dadurch werden mehrdeutige Situationen bearbeitet, in denen unvollkommenes Wissen regiert und wechselnde Teilnehmer mit unklaren Zielen zu berücksichtigen sind. Entscheidungen fallen hier durch Problemflucht (vorher nicht lösbares Problem existieren dann nicht mehr durch neue Gegebenheiten), durch Übersehen des Problem bildenden Faktors oder durch einen normalen Problemlösungsprozess.

"Technology of Foolishness": Entscheidungen werden weniger rational getroffen, als vielmehr gute Praxis einfach ad hoc auf bestimmte auftauchende Probleme angewendet. Die Intuition soll die Rationalität mit ihren klaren Zieldefinitionen und dadurch bedingten Invarianzen ersetzten, das Gedächtnis wird als Feind hingestellt. Hier wird ein Weg aufgebaut, um der westlichen Rationalität zu misstrauen - und dieses Misstrauen ist auch nicht unberechtigt, wenn man sieht, dass damit offenbar nicht alle Umweltprobleme zu lösen sind, und die östliche Rationalität, die differenzierender ist, die erfolgreichere zu werden droht.

8. Der Situative Ansatz

8.1. Einordnung

Das Bürokratie-Modell von Max Weber wies auf Merkmale von Organisationsstrukturen hin. Es wurde festgestellt, dass diese Merkmale in so vielfältigen Ausprägungen auftreten können, dass sie nicht alle zu Idealtypen im Weberschen Sinne geformt werden können. Die Strukturdimensionen mussten vielmehr variierbar bleiben - ähnlich wie beim Taylorismus (der aber nur die Arbeitsorganisation betrachtet, nicht die ganze Organisation an sich). Die Situation wurde zunächst noch als eindimensionaler Faktor gesehen, etwa bei der Fertigungstechnik von Joan Woodward 1958. Die Sozialwissenschaften und der kritische Rationalismus forderten in den 70ern dann aber weiterführende empirische Analysen zur Bewährung von Hypothesen. D.S. Pugh und die Aston-Gruppe folgten diesem Weg - und berücksichtigten erstmals auch mehrere Situationsvariablen, wodurch der Situative Ansatz seine heutige Form gefunden hatte.

8.2. Erkenntnisinteresse

Beim Situativen Ansatz stehen nicht wie bei der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie die Entscheidungsprozesse im Vordergrund, sondern wie bei der Managementlehre die Organisationsstrukturen.

Der Situative Ansatz fragt: Wie sehen Organisationsstrukturen aus, die sich in bestimmten Situationen bewähren?

8.3. Annahmen

  • Die formale Organisationsstruktur hat starken Einfluss auf das Verhalten der Mitglieder und damit auf die Effizienz der Organisation.
  • Es existieren keine solchen universellen Strukturen, wie sie die Organisationsprinzipien suggerieren: Sie müssen der Situation angepasst sein, um erfolgreich zu sein.
  • Es existiert nur eine lebensfähige Struktur zu einer bestimmten Situation ("fit"), weil ein gewisses Mass an ökonomischer Effizienz nötig ist zum Überleben.
  • Die Situationsfaktoren sind als gegeben zu betrachten.

8.4. Grundkonzept

Der Situative Ansatz geht einher mit dem Programm der vergleichenden Organisationsforschung:

  1. Entwicklung einer operationalisierten Konzeption der Strukturen, die aus Webers Bürokratiemodell abgeleitet wurde.
  2. Entwicklung einer operationalisierten Konzeption der Situation, die aus keiner Theorie abgeleitet wird.
  3. Entwicklung einer operationalisierten Konzeption des individuellen Verhaltens bzw. der Organisationseffizienz.

8.5. Hauptaussage

Wenn die Organisationsstrukturen der Situation angepasst sind, dann sind diese Organisationen erfolgreich, da das Verhalten der Mitglieder bedürfnisgerecht steuerbar ist.

8.6. Methoden

Einsatz von Hypothesen (die aber nicht aus einer Theorie abgeleitet sind!) über die Auswirkung der Situation auf die Strukturen und die Auswirkungen von Situation+Strukturen auf Verhalten+Effizienz, um empirisch gestützte Plausibilitätserklärungen abgeben zu können.

Es wird v.a. die formale Struktur betrachtet, die unpersönlich ist.

Am Anfang des Situativen Ansatzes wurden nur Nominalskalen eingesetzt, die aber zunehmend durch Pughs Intervall-Skalen ersetzt werden. Betreffs der Struktur wurden früher eher Interviews eingesetzt, heute werden eher die organisatorischen Manifestationen untersucht.

8.7. Anwendungsbereiche

Wofür kann man den Situativen Ansatz anwenden?
  • Man kann Unterschiede in den Organisationsstrukturen erklären, indem man sie auf situative Faktoren zurückführt.
  • Man kann prognostizieren, wie die Organisationsstruktur sich ändert, wenn die Situation sich ändert.
  • Man kann Gestaltungsempfehlungen abgeben.

Kern und Schumann zeigten über die Methoden des Situativen Ansatzes, dass die automatische Fertigung zur Entfremdung von der Arbeit führt (was allerdings nach den Prämissen des Situativen Ansatzes gerade nicht hätte geschehen sollen).

8.8. Würdigung

Die Macht der Manage wird (wieder einmal) vernachlässigt. Diese wollen z.B. grössere Abteilungen häufig nicht aufgrund einer bestimmten Situation, sondern alleine aus persönliche Machtgelüsten heraus. Der Situative Ansatz liefert uns oft nur funktionale Erklärungen.

Organisationen sind nicht nur in einer Situation, sondern befinden sich je nach Abteilung in verschiedenen Situationen, was verschiedene Strukturen in ein und derselben Organisation bedingen kann.

Eine vollständige Determinierung durch die Situation ist keinesfalls gegeben.

Endogene Kritik: Wichtige Dimensionen werden nicht erfasst (die Konzepte dahin gehend werden aber verfeinert), die Operationalisierung ist oft ungenau (z.B. Vermengung von objektiven mit subjektiven Dimensionen), die statistischen Verfahren sind unangemessen (zeigen z.B. nur lineare Zusammenhänge auf), die Stichproben sind meist zu klein und unrepräsentativ, wodurch der Informationsgehalt gering ist (hier ist eine Verbesserung etwa durch Branchenbezogenheit eventuell möglich).

Exogene Kritik (verantwortlich für Weiterentwicklungen): Die Annahmen sind zu streng formuliert; statt Determinismus bieten z.B. neue Techniken sogar neue Spielräume (die CNC-Technik erlaubt Dezentralisation und Zentralisation gleichermassen), d.h., der Gestalter kann entscheiden. Es werden keine Konzepte genannt, wie die Organisation auf die Situation wirken kann. Die unvollkommenen Märkte führen nicht zu einer rigorosen Selektion. Funktionale Erklärungen verschleiern die Macht der Manager, z.B. dienen formale Strukturen auch der Herrschaftssicherung und der Informationsbeschaffung für die Manager. Der Situative Ansatz hat konservative Wirkung, aber Organisationstheorien sollten besser auch innovative Lösungen produzieren können. Wie interpretative Ansätze hervorheben, sind die Organisationsstrukturen nicht objektiv messbar, weil sie sich auf Verständigungsprozesse begründen, die von Werten und Ideologien der Mitglieder gesteuert sind. Zuletzt gibt es auch noch gravierende Kulturunterschiede, die den gefundenen "Fit" in den einem Land nicht allgemeingültig für alle anderen Länder macht.

8.9. Weiterentwicklung

Strategisches Wahlkonzept von Child (1972): Auch die Gestalter beeinflussen über Strategien merklich die Organisationsstrukturen. Die ist allerdings schwer messbar, da i.d.R. ganze Entscheidungsbündel vieler Entscheider an der Strukturbildung beteiligt sind.

Strukturtypen nach Henry Mintzberg: Es existieren Grundmuster für "harmonische" Strukturen, die die Entscheidungen der Gestalter (in ihrer Strategiebildung) einschränken. Grössere Organisationsstruktur-Änderungen sind dann nur noch über Quantensprünge in bestimmter Reihenfolge möglich. Mintzberg unterscheidet die Typen:

  1. Machine Bureaucracy: Pyramiden-Form der Behörden.
  2. Professional Bureaucracy: U-Boot-Form der Universitäten.
  3. Adhocracy: Cola-Flaschen-Form für Hightech-Unternehmen.

Die Erweiterungen halten fest: Strategie, Strukturen, Grundmuster und Situation müssen stimmen für den "Fit". Diese Stimmigkeit beruht aber nicht auf Determinierung, sondern wird letztlich von den Gestaltern geprägt.

9. Verfügungsrechtetheorie

9.1. Einordnung

Die Verfügungsrechtetheorie (Property of Rights) ist eine von Ronald Coase (1937) aufgestellte institutionenökonomische Theorie (Institutionen sind hier Märkte, Organisationen und Rechtsnormen mit Akteuren und geprägt von einer gewissen Dauerhaftigkeit). Dabei gilt es einen Weg zu finden, der die Koordinationsprobleme des ökonomischen Austausches genauso kostengünstig wie effizient löst, und es ist zu beschreiben, inwieweit sich ein solcher Weg auf die Strukturen der Institutionen auswirkt.

9.2. Erkenntnisinteresse

Gefragt wird: Wie wirkt sich die institutionalisierte Gestaltung der Verfügungsrechteverteilung an Ressourcen auf die Akteure aus? Wie entstehen und wie wandeln sich die Verfügungsrechte? Wie kann eine Ressource am effektivsten genutzt werden - indem sie allgemein zugänglich ist oder indem sie privatisiert wird?

9.3. Annahmen

Vorausgesetzt wird:

  • ein nutzenmaximierendes Verhalten der Individuen (gleiche Prämisse wie bei den klassischen Wirtschaftstheorien).
  • die Entwicklung und Durchsetzung der Verfügungsrechte verursacht Transaktionskosten (z.B. durch Verwaltung, Wachpersonal u.ä.).

9.4. Grundkonzept

Die individuellen Akteure einer Institution versuchen ihren Nutzen an den Ressourcen zu maximieren, indem sie sich möglichst hohe Verfügungsrechte darauf sichern. Es gilt:

Benutzungsrecht < Ertragsbeteiligungsrecht < 
Substanzänderungsrecht < Übertragungsrecht

Wer alle Rechte besitzt, hat exklusive Rechte an den Ressourcen. Eingeschränkt werden die Rechte über die Institutionen und denen damit verbundenen Transaktionskosten.

9.5. Hauptaussage

Wenn die Akteure einer Institution die Gelegenheit dazu haben, dann versuchen sie, bei gegebenen institutionellen Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung der entstehenden Transaktionskosten, ihren Nutzen an den Ressourcen zu maximieren.

9.6. Methoden

Es existiert die Theorie der Verfügungsrechte, aus der Hypothesen abgeleitet werden, die dann empirisch überprüft werden, um - i.d.R. funktionale - Erklärungen für die institutionelle Regelung der Verfügungsrechte liefern zu können. Dabei wird nur vermutet, was den meisten Nutzen für die jeweiligen Akteure darstellt.

9.7. Anwendungsbereiche

Erlaubt die Analyse von unterschiedlichen existierenden Eigentumsformen, von Unternehmensverfassungen, von Innovationsverhalten und historischen Wirtschaftsentwicklungen.

Prognostiziert, dass öffentliche Ressourcen mittels der Verfügungsrechte weniger effizient genutzt werden, weil die Wähler ihren Anspruch daran wegen zu hoher Durchsetzungskosten zu wenig geltend machen können.

Zeigt auf, warum überhaupt Unternehmen existieren. Nämlich weil Unternehmen über vertragliche Regelungen eine effektivere Verfügungsrechtestruktur einrichten können, als dies die freien Märkte gewährleisten können.

Erlaubt allgemein - und manipulativ - das Gemeindeeigentum als weniger effizient darzustellen, als Privatvermögen. So etwas hören Manager natürlich gerne.

9.8. Würdigung

Bisher werden nicht alle existierenden Unternehmensverfassungen empirisch untersucht. Die Verfügungsrechtestruktur und auch die Transaktionskosten sind schwer operationalisierbar. Der Ansatz benötigt häufig Theorie-exogene Erklärungsfaktoren, um die empirischen Befunde deuten zu können.

9.9. Weiterentwicklung

Als direkte Weiterentwicklung der Verfügungsrechtetheorie sind die Agentur- und die Transaktionskostentheorie zu nennen.

10. Agenturtheorie

10.1. Einordnung

Die Agenturtheorie ist als Präzisierung und Erweiterung der institutionsökonomischen Verfügungsrechtetheorie zu verstehen. Unterschieden wird hier eine normative Richtung, die die optimale Vertragsgestaltung anstrebt, und eine deskriptive Richtung, die die bestehenden Organisationsverträge analysiert.

10.2. Erkenntnisinteresse

Analysiert wird bei diesem Ansatz die Institution des Vertrages sowie ihre Rolle zwischen Prinzipal und Agentur, also z.B. zwischen:

  • Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
  • Vorstand und Managern.
  • Vorgesetzten und Untergebenen.

Die Agenturtheorie fragt: Welche typischen Probleme existieren bei der Vertragsgestaltung? Welche Anreizsysteme, Kontrollsystem und Informationssysteme existieren, um derartige Probleme zu mildern?

10.3. Annahmen

Vorausgesetzt wird:

  • Jedes Mitglied der Organisation versucht, seinen individuellen Nutzen zu maximieren.
  • Es liegen bei den Mitgliedern unterschiedliche Interessen und Risikoneigungen vor: Der Prinzipal gilt als risikoneutral, der Agent dagegen eher als risikoscheu.
  • Eine optimale Vertragsgestaltung ist nur unter Berücksichtigung von Agenturkosten möglich.
  • Organisationen und die Umwelt sind unpersönliche Vertragsnetzwerke.
  • Der Agent hat einen Informationsvorsprung auf sachlicher Seite gegenüber dem Prinzipal, der den Agenten daher nur mangelhaft kontrollieren kann.

10.4. Grundkonzept

Agenturkosten sind Determinanten der Vertragsgestaltung. Als Agenturkosten gelten alle Kosten, die beim vollkommenen Austausch, wie im Rahmen der klassischen Wirtschaftstheorie, aufgrund der dort angenommenen Informationssymmetrie nicht auftreten würden. Im Einzelnen sind diese Agenturkosten: Steuerungskosten, Garantiekosten und Folgekosten des Nicht-Optimums. Ziel jeder Vertragsgestaltung ist die Minimierung der Agenturkosten.

10.5. Hauptaussage

Wenn der Prinzipal nicht vertraglich geregelte Anreizmechanismen, Kontrollmechanismen und Informationsmechanismen einsetzt (z.B. Ertragsbeteiligung und Sanktionssysteme), dann verwirklicht der Agent aufgrund von sogenannten Hidden-Action- und Hidden-Information-Problemen nur eine suboptimale Lösung.

10.6. Methoden

Es werden die Möglichkeiten der bürokratischen Kontrolle analysiert, wie z.B. Prämiensysteme, Vermögensbeteiligungen und Berichterstattungspflichten.

10.7. Anwendungsbereiche

Die Agenturtheorie findet ein breites Anwendungsfeld, da sie bei jeglicher Delegation greift. Z.Z. gilt ihr Hauptinteresse aber der Trennung von Eigentum und Kontrolle; sie will also zeigen, wie Vertragswerke zwischen Eigentümern und Managern konzipiert sind bzw. sein sollten. U.a. hat sich hierbei gezeigt, dass die vorgefundenen Anreizsysteme oft wenig erfolgsgesteuert sind, als vielmehr auf Alters- und Zeitvertragsprivilegien zurückzuführen sind.

Zeigt Schwäche des Aufsichtsrates auf, die Manager zu kontrollieren.

Zeigt, wie externe Mechanismen wie Märkte und Börsen dem Prinzipal helfen können, die Manager unter Kontrolle zu halten (indem sie etwa die Ergebnisse operational-transparent angeben bzw. indem sie die Konkurrenzsituation am Manager-Arbeitsmarkt forcieren bzw. indem sie mit einer Firmenübernahme drohen).

10.8. Würdigung

Die Agenturtheorie zeigt auf, dass die Leistung abhängig von der Vertragsgestaltung ist. Sie beachtet die Mikroökonomie und die Informationsasymmetrie. Sie ist realistischer als die klassische Wirtschaftsökonomie, die von vollkommenen, idealisierten Annahmen ausgeht. Und sie ist relativ einfach gehalten, was eine praxisrelevante Hypotheseformulierung erlaubt.

Dagegen besitzt die Agenturtheorie aber nur eine Ex-ante-Perspektive, d.h., sie geht von fixen Zielen aus (was unrealistisch ist, wie die Entscheidungstheorie zeigt), die im Laufe der Zeit keine Änderungen erfahren. Daher betrachtet sie auch nur Vertragswerke einer Periode und berücksichtigt keine Vertragsanpassungskosten. Es wird nur die Sicht des Prinzipals behandelt, obwohl nicht nur die Agenten Probleme bereiten können. Die Agenturkosten sind schwer operationalisierbar.

Bleibt nur zu sagen: Die Agenturtheorie hilft Managern bei der Gestaltung letztlich nicht mehr, als es seine eigene Intuition ohnehin vermag.

10.9. Weiterentwicklung

Die Multi-Agenturtheorie berücksichtigt, dass eine Organisation mit mehreren Agenturen Verträge schliessen kann, deren Aufgabenbereiche sich überschneiden können. Ausserdem wird gesehen, dass die Agenturen auch Verträge untereinander schliessen können. Generell gilt hierbei, dass die Hidden-Action- bzw. Hidden-Information-Probleme in noch schärferer Form auftreten - und dass es darüber hinaus häufig zu einem Trittbrettfahrer-Verhalten kommt.

Eine andere Erweiterung erfährt die Agenturtheorie, indem nicht nur eine, sondern mehrere Perioden der Vertragsgestaltung analysiert werden.

Mehrstufige Modelle beschreiben, dass sich zwischen Prinzipal und Agenturen häufig Wirtschaftsprüfer befinden, die den Prinzipal bei der Kontrolle entlasten. Gefahren liegen hier in der Prüfer-Agent-Koalition, die ihrerseits vertragsrechtlich abgefangen werden müssen.

11. Transaktionskostentheorie

11.1. Einordnung

Diese Theorie von Oliver Williamson (1985) ist eine Erweiterung der institutionsökonomischen Verfügungsrechtetheorie. Sie gilt als "gemeinsames Dach" von Soziologie, Ökologie und Organisationen.

11.2. Erkenntnisinteresse

Welche Arten von Transaktionen (Vertragsbedingungen) sind in welchen institutionellen Arrangements (interne und externe Verträge) relativ am kostengünstigsten abzuwickeln?

11.3. Annahmen

Angenommen wird:

  • Ex-ante-Transaktionskosten: Vertragsbildungskosten
  • Ex-post-Transaktionskosten: Vertragsdurchsetzungskosten und Vertragsänderungskosten (diese werden bei der Verfügungsrechtetheorie und bei der Agenturtheorie unterschlagen!)
  • Nicht nur das Ex-ante-Anreizsystem ist wichtig, sondern der ganze institutionelle Austauschprozess, da dieser die Ex-post-Transaktionskosten bestimmt.
  • Die Akteure besitzen nur begrenzte Rationalität.
  • Die Akteure handeln opportunistisch und wollen ihre eigenen Interessen durchbringen.
  • Die Akteure handeln risikoneutral.

11.4. Grundkonzept

Theorie der Kostendetermination: Die Transaktionskosten und die institutionellen Arrangementkosten (d.h. Produktionskosten) hängen ab von ihrer Charakteristik. Die Transaktionen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer transaktionsspezifischen Investitionen (abhängig von Standort, Saison, Anlagen u.a.), ihrer Häufigkeit (was Skalen- bzw. Synergieeffekte mit sich bringt) und ihrer Unsicherheit bezüglich des Mitgliederverhaltens und der Situation. Die institutionellen Arrangements unterscheiden sich in der Anreizintensität, den Kontrollmechanismen, der Anpassungsfähigkeit und den Durchsetzungskosten.

11.5. Hauptaussage

Wenn die transaktionsspezifischen Investitionen niedrig sind und kaum Unsicherheit besteht, dann sind die Transaktionskosten und die Produktionskosten am niedrigsten bei marktorientierter Vertragsgestaltung.

Wenn die transaktionsspezifischen Investitionen hoch sind und Unsicherheit besteht, dann sind die Transaktionskosten und die Produktionskosten am niedrigsten bei organisationsorientierter Vertragsgestaltung.

11.6. Methoden

Untersuchung mithilfe von Regressionsanalysen, die zeigen, ob das in der Theorie billigste Arrangement in der Praxis tatsächlich zutrifft.

Da Transaktionskosten und Produktionskosten nicht operational sind, d.h., objektiv gemessen werden können, werden sie empirisch erhoben.

Unter bestimmten Annahmen kann die Transaktionskostentheorie funktionale Erklärungen für das potenziell günstigste institutionelle Arrangement liefern.

11.7. Anwendungsbereiche

Hilft Managern zu entscheiden, ob sie die Fremd- oder Eigenherstellung bevorzugen sollen ("Je spezifischer das Produkt ist, desto eher sollte es selbst produziert werden").

Hilft Managern bei der Vertragsgestaltung von Internationalisierungsvorhaben (Joint Ventures, Lizenzvergabe, strategische Allianzen).

Jones erklärt mit diesem Ansatz die Ausprägung von Strukturdimensionen (z.B. bei Diversifikation, Kontrolle und Konfiguration).

Hilft bei der Verhältnisentscheidung zwischen Fremd- und Eigenkapital.

Betont die vertragliche Absicherung insbesondere bei einzigartigen Produkten. Denn solche Produkte lassen sich i.d.R. nur in starker Abhängigkeit zu anderen Vertragspartnern realisieren (Beachtung von mehr transaktionsspezifischen Investitionen als von punktuellen).

Der Ansatz erklärt die Vorteile und Nachteile von Märkten. So sind hier niedrige Transaktionskosten zu finden, die aber spezielle Produktionswünsche häufig nicht erfüllen können. Dagegen bieten Organisationen (als Gegensatz zum offenen Markt) die Möglichkeit zur sehr speziellen Produktion, doch diese ist dann mit hohen Transaktionskosten verbunden.

11.8. Würdigung

Die Annahme der Risikoneutralität ist kontrafaktisch, also eine reine Vereinfachung.

Macht wird vernachlässigt, wenn von der evolutionären Annahme ausgegangen wird, dass sich auf lange Sicht die günstigsten Transaktionensarten (d.h. Organisationsformen) gegenüber den weniger günstigen durchsetzen werden.

Der Ansatz betrachtet auch Internationalisierung. Er kann die Existenz von Organisationen begründen ("Sind billiger als freie Markaustauschprozesse"). Er hat eine hohe Integrationskraft auf andere Ansätze und damit eine grosse Allgemeingültigkeit als diese, aber auch wenig Aussagekraft für konkrete Gestaltungsempfehlungen. Aber v.a. ist wichtig: Der Ansatz beachtet auch Ex-post-Transaktionskosten und betont Anpassungsprozesse (im Gegensatz zur Verfügungsrecht- und Agenturtheorie).

11.9. Weiterentwicklung

Eine Erweiterung wäre denkbar: Transaktionskostentheorie plus Agenturrisikoscheuheit der Agenturtheorie.

12. Population-Ecology-Ansatz

12.1. Einordnung

Die Evolutionstheorie zeigt, wie die Umwelt verschiedene überlebensfähige Lebewesen hervorbringt. In Analogie dazu wollen evolutionäre Organisationstheorien zeigen, wie (alleine) die Umwelt verschiedene Organisationsstrukturen hervorbringt, was der Ansicht der Rationalisten entgegenläuft. Der Population-Ecology-Ansatz wird hauptsächlich gestützt von Hannan und Freeman (1977), Aldrich und McKelvey (1983) sowie Glenn Caroll (1987).

12.2. Erkenntnisinteresse

Wie wirkt die Umwelt auf die Organisationen ein? Warum existieren bestimmte Organisationsstrukturen?

12.3. Annahmen

Angenommen wird:

  • Populationen bedeuten Speziation von Organisationen. Dies bedeutet die Teilhabe an einem bestimmten Genpool. Und dies wiederum bringt einen einheitlichen "Compool", d.h. kollektive Kompetenz.
  • Gestalter hinken wegen der Trägheit der Organisationen der Umwelt stets hinterher (aber: Diese Trägheit verhindert auch bei Isolation eine schnelle Kopierung einer neuen Art im Gegensatz zur Biologie).
  • Das Populationswissen ist jeweils auf nur eine Population beschränkt.
  • De Gestalter können die Umwelt (fast) nicht beeinflussen.
  • Die Organisationsstruktur wird durch Auslese der Umwelt bestimmt, nicht von Gestaltern.
  • Organisationen wandeln sich nicht für sich alleine, sondern als ganze Populationen.
  • Variation (durch Imitationsfehler) und Innovation (neue Population durch Spin-offs) entstehen meist bei der Organisationsgründung.
  • Die Selektion bewirkt ein immer homogeneres Populationsbild.
  • Manager sind eine Art Züchter, die die Organisationen nur in bestimmte Richtungen lenken, sie aber nicht wirklich koordinieren können.

12.4. Grundkonzept

Nach Hannan und Freeman gilt: Selektion liegt nur dann vor, wenn ganze Organisationen eliminiert werden. Besser bei Carol: Die Reproduktionserfolge einzelner Organisationskompetenzen sind ebenfalls abhängig von der Selektion. Bewahrungsmechanismen (wie z.B. bürokratische Routinen) sorgen dafür, dass der Wissensschatz erhalten bleibt. Über Isolationsmechanismen bilden sich verschiedene Populationen heraus. Sie begründen sich auf der Trägheit von Organisationen, bedingt durch das Sunk-costs-Verhalten, durch nicht-umweltgerechte Informationssysteme, durch unflexible Akteure und durch diverse Markteintritts- und Marktaustrittsbarrieren.

Nach Hannan und Freeman sind Klassifikationen der verschiedenen Populationen im Prinzip möglich, was Aldrich und McKelvey jedoch ablehnen, weil sie auch an laufende Änderungen während der Lebenszeit von Organisationen glauben und nicht nur an Vererbung (im Gegensatz zur Bioökologie).

12.5. Hauptaussage

Wenn ein effektiver "Compool" vorliegt, dann setzt sich eine bestimmte Population langfristig durch (da sie öfter kopiert werden, öfter analysiert von Universitäten und Unternehmensplanungen, öfter Arbeiter abgeworben bekommen usw.).

Wenn eine stabile Umwelt vorliegt (d.h. die Nischen fest abgesteckt sind), dann sind spezialisierte Organisationen (wie z.B. chinesische Restaurants) effizienter als generalisierte Organisationen (wie z.B. amerikanische Restaurants).

12.6. Methoden

Empirische Analysen darüber, wie sich die Grösse von Populationen in Abhängigkeit von bestimmten Selektionsfaktoren verändern. Z.B. wurden Gompertz-Makeham-Funktionen bestätigt, die zeigen, dass das Sterberisiko mit zunehmendem Alter exponentiell abnimmt (aber nicht bis auf null, weil auch uralte Organisationen verschwinden können). Es zeigt sich hier auch, dass kleine Organisationspopulationen gefährdeter sind als grosse - unabhängig vom Alter.

Häufig werden in die Analyse politische Unruhen, Kriege und Konjunkturströme mit einbezogen.

Erklärungen für "S"-Wachstumsverhalten von Populationen: Erst ist die Legitimation wichtig für das Überleben, danach die Verbreitung, und dann setzt der Konkurrenzdruck ein, was einhergeht mit einer Abflachung des Wachstums durch vermehrte Selektion.

12.7. Anwendungsbereiche

Hypothese (aus bewiesener Bioökonomie), dass spezialisierte (fixe!) Organisationsstrukturen in einer dynamischen Umwelt besser sind, weil sie Umweltschwankungen besser "aussitzen" können (im Gegensatz zum Postulat des Situativen Ansatzes).

Postulierung, das "r"-Strategien (viele Nachkommen bei hoher Sterblichkeitsrate) in wenig besiedelten Nischen vorteilhafter sind als "K"-Strategien (wenig Nachkommen bei niedriger Sterblichkeitsrate).

Erklärungen der historischen Evolution von Organisationen bzw. von ganzen Populationen.

12.8. Würdigung

Der Ansatz beachtet, dass wegen der begrenzten Rationalität der Gestalter Zufälle und Kopierfehler möglich sind, also evolutionäre, nicht-steuerbare Elemente zu berücksichtigen sind. Organisationen werden hier erstmals aus makrotheoretischer Sicht gesehen, die hauptsächlich durch die Umwelt bestimmt werden und weniger durch die Entscheider.

I.d.R. lassen sich für biologieanaloge auch nicht-biologieanaloge Erklärungen finden. Der Rationalismus wird übermässig diffamiert, zumal dieser eine Evolution der Evolutionsmittel gestattet, z.B. indem er Projektstrukturen einrichtet, die zielgerichtetes, nicht-zufälliges Handeln hervorbringen. Ausserdem wird die bei der Gründung einer Organisation zu beobachtenden evolutionären Änderungen als zu dominant angesehen, da im Gegensatz zur tierischen Umwelt bei Organisationen auch sehr wohl eine laufende Evolution stattfinden kann. Der evolutionäre Mechanismus der Isolation funktioniert in der ökonomischen Umwelt ebenfalls nicht analog zur biologischen, denn Diversifikationen, die ja die Isolation zunehmend abbauen, erhöhen im Allgemeinen die Erfolgschancen einer Organisation. Was nun genau eine Population ist, wird nicht geklärt, weil sich nur schwer operationalisierbare Faktoren dafür bestimmen lassen. Warum die Umwelt selektiert, wird nur unzureichend beschrieben; u.a. wird hier Macht als nicht-biologischer Mechanismus unterschlagen. Die Gestaltungsaussagen beschränken sich zum Teil auf kurios wirkende Aussagen der Form: "Rationales Handeln ist nicht möglich, also handle rein blind-intuitiv!"

Fazit: Die Analogie zur Biologie ist nicht adäquat, weil die Evolution der sozialen Welt anders funktioniert als die Evolution der Lebewesen. Bei Letzteren existiert im Übrigen auch keine eindeutige Evolutionstheorie, sondern mehrere, die miteinander konkurrieren.

12.9. Weiterentwicklung

Der Ansatz von Weick (1979) besagt, dass Umweltänderungen erst Einfluss auf die Organisationen nehmen, wenn sie von den Managern bemerkt werden, die dann die Organisationsstrukturen variabel gestalten können. Im Hinblick auf diese Sicht erweisen sich schriftliche Fixierungen als Grundübel, weil sie als kollektives Gedächtnis zur Unflexibilität von Organisation beitragen. Weick will seinen Ansatz v.a. als "Aufbrecher" desjenigen Teufelskreises verstehen, dass aus einer rational-unflexiblen Theorie eine rational-unflexible Praxis abgeleitet wird, die dann wieder für rational-unflexible Theorien herangezogen wird. Seine Empfehlungen an das Management sind daher: "Zeige Toleranz gegenüber dem Irrationalem und Abwegigem! Probiere immer wieder Neues spielerisch aus! Chaotische Aktivitäten sind besser als eine Paralyse durch übertriebene Analyse!" Erwachsene würden z.B. wegen der möglichen Risiken nie das Laufen lernen, während Kinder unbefangen so lange nach dem Trial-and-Error-Prinzip verfahren, bis sie es doch geschafft haben.

Die Evolutionstheorie der Gesellschaften liefert Erklärungen dafür, wie Organisationen entstanden sind. Sie zeigt u.a. auf, dass sie in der heutigen Form relativ jung sind (ca. 200 Jahre), und dass sie in dem Moment aus älteren Organisationsformen wie Zünften und Manufakturen entstanden sind, als der Staat seinen Bürgern zunehmend Pflichten aufbürdete, ihnen dafür aber auch umfassende (soziale) Rechte sicherte.

Der St. Galler-Ansatz von Hans Ulrich behauptet, dass es Verhaltensregeln gibt, die das Ergebnis evolutionärer Prozesse sind, also nicht absichtlich entstanden sind, die zu einer sogenannten spontanen Ordnung führen können (die so spontan eigentlich nicht ist, da sie diverse Gegebenheiten wie formale Strukturen, Fremdbestimmung usw. zu berücksichtigen hat). Soziale Systeme besitzen diese Fähigkeit der Selbstorganisation. Das Problem besteht in fixierten Lösungssystemen, da sich die Umwelt ständig ändert. Der Situative Ansatz und stärker noch der Taylorismus wollen den Handlungsspielraum der Geführten eingrenzen, um den Gestaltern die Arbeit zu erleichtern. Tatsächlich machen sie ihnen damit aber u.U. ihre Arbeit unmöglich. Was nötig ist, sind variabel gehaltene Lösungssysteme. Manager müssen zudem erkennen, dass Lösungen für Probleme stets nur vorläufigen Charakter besitzen, dass sie nur eine Kanalisation der beizubehaltenden Varietät sein sollen. Der Manager sollte daher das System mit Respekt behandeln, nicht hart durchgreifen, da dies die spontane Ordnung stört und die Betroffenen ihre Probleme selbst lösen lassen. Der Manager wird hier vom Macher zum locker Steuernden gemacht, zum Funktionär.

Problematisch ist der isomorphe Charakter des St. Galler-Ansatzes, d.h. er überträgt die Ergebnisse aus der Biologie und Kybernetik direkt - ohne Gültigkeitsprüfung - auf die Ökonomie.

Wie alle evolutionären Ansätze behauptet auch der von Werner Kirsch (1992), dass die Umwelt zu komplex ist, um vom Management beherrscht werden zu können. Ansonsten verfährt er jedoch eher nicht-evolutionär, mehr wie eine Erweiterung des Mülleimer-Modells, denn er beschreibt einen Weg, einen Metakontext zu finden, der hilft, im Interessenpluralismus Lösungen in bestimmten Entscheidungsgelegenheiten auf Probleme treffen zu lassen (okkasionelle Rationalität). Dies wird nach Habermas durch kommunikatives Handeln erreicht, d.h. jeder stellt die persönlichen Ziele so lange zurück, bis der Situationskontext eine günstige Gelegenheit dazu bietet, sie durchzusetzen. Kirsch verschärft dies, indem er sagt, dass ein Manager passiv die Welt betrachten solle, bis er eine günstige Gelegenheit sieht, seiner Weltauffassung gerecht zu werden - und dann nur kurzzeitig aktiv eingreift. Dies erinnert ein wenig an das "Technology of Foolishness"-Konzept von Starbuck: "Vergesst die westliche Rationalität und hört auf die asiatische Rationalität! Werdet von Weltbeherrschern zu Weltbewahrern!" Doch wie dieser - sicherlich sinnvolle - Weg zu beschreiben ist, darüber lassen sich Kirsch und Starbuck natürlich wieder einmal nicht aus ...