Der gekrümmte Raum

Geschwurbel von Daniel Schwamm (15.03.1994)

Ein Dialog

1: Hallo.

2: Hallo.

1: Was ist? Du siehst so nachdenklich aus?

2: Kein Wunder. Ich wälze gerade schwere Probleme.

1: Tatsache? Um was geht es denn?

2: Um das Universum.

1: Um das ... Universum? Na, das ist ein Problem.

2: Sage ich doch.

1: Erzähle mal, auf was für glorreiche Ideen du beim Nachdenken bisher gekommen bist.

2: Mh ... auf ganz erstaunliche. Aber warte, ich will von vorne beginnen.

1: Gut. Schiesse los! Ich bin ganz Ohr.

2: Also gut. Du kennst doch die Idee Einsteins vom gekrümmten Raum, oder?

1: Klar, habe ich schon von gehört.

2: Aha, du hast davon gehört. Und kannst du dir auch etwas darunter vorstellen?

1: Nö, eigentlich nicht. Aber so weit ich weiss, geht der gekrümmte Raum auch über die menschliche Vorstellungskraft hinaus. Der Mensch kann ihn also gar nicht erfassen. Nur den euklidischen - und der ist linear.

2: Das stimmt schon. Aber es gibt da diese bekannte Analogie mit der Fläche und dem Raum. Hast du davon schon einmal gehört?

1: Analogie mit Fläche und Raum? Nö, nie davon gehört.

2: Stell dir mal eine Fläche vor!

1: Gut. Vorgestellt. Schön eben.

2: Nicht mehr lange eben. Denn jetzt stell dir vor, du krümmst die Fläche! Was hast du dann.

1: Ein wüstes Gebirge?

2: Nein, stell dir vor, du krümmst die Fläche ganz gleichmässig. Überall.

1: Tja ... Mh ... Keine Ahnung, was das gibt. Was soll denn herauskommen bei diesem albernen Gedankenexperiment?

2: Eine Kugel. Du krümmst die Fläche zur Oberfläche einer Kugel.

1: Ah ja, das könnte sein. Mh ... Schöne Kugel. Schön rund. Na und? Was hat das mit dem krummen Raum zu tun?

2: Nun, es heisst, der gekrümmte Raum verhält sich zum euklidischen, also zum dreidimensionalen Raum, wie eine Kugel zu einer Fläche. Verstehst du jetzt?

1: Ja ... Nein ... Sollte ich denn?

2: Nun, diese Analogie soll dir helfen, ein Bild vom gekrümmten Raum in deinem Kopf entstehen zu lassen.

1: Ach so. Aber ... Mh ... Verflixt. Ich kann mir einfach keinen gekrümmten Raum vorstellen. Auch nicht mit dieser Fläche-Kugel-Analogie. Kannst du das etwa?

2: Das ist eines der Probleme, über die ich nachgedacht habe. Es scheint unmöglich zu sein, oder? Dennoch: eine bestimmte Aussage bezüglich des Universums wird dadurch verständlicher.

1: Nämlich?

2: Das man das Ende des Universums nicht erreichen kann, sein Volumen aber begrenzt ist.

1: Äh? Wie bitte?

2: Ich sagte: du könntest ewig im Weltall herumfliegen, würdest aber nie das Ende erreichen.

1: Dann muss es aber doch unendlich gross sein, oder?

2: Nein, eben nicht - der Raum ist ja gekrümmt. Daher landest du irgendwann immer wieder da, von wo aus du gestartet bist.

1: Moment mal, wie soll denn das gehen? Ich fliege doch geradeaus und nicht im Kreis herum, oder?

2: Im Prinzip schon. Aber das kann man sich so konkret nicht vorstellen. Wie du schon gesagt hast: den gekrümmten Raum bekommen wir geistig nicht in den Griff. Er ist nicht Teil unserer Vorstellungswelt.

1: Aber hast du nicht vorhin behauptet, du könntest das Universum über diese Fläche-Kugel-Analogie besser verstehen?

2: Stimmt.

1: Und wieso? ... Ach so, ja: auf der Oberfläche einer Kugel kann man sich ja auch ewig fortbewegen, ohne je ein Ende zu erreichen. Dennoch ist die Grösse der Oberfläche beschränkt.

2: Du hast es erfasst. Es ist bei der Kugel genauso wie beim gekrümmten Raum, nur mit einer Dimension weniger.

1: Dimension weniger? Wie meinst du denn das schon wieder?

2: Mh, wie erkläre ich denn das ... Warte mal! Wir rollen das mal ganz von vorne auf, dann wirst du verstehen, was ich meine. Gut. Stell dir also einmal vor, du lebst zur Zeit des Ptolemäus.

1: Gut. Ist gemacht. Bin ein römischer Grieche.

2: Und nun frage ich dich: wie sieht die Erde aus?

1: Schön.

2: Nein, ich meine geometrisch gesehen. Wie glaubst du, sieht für die Menschen zur Zeit des Ptolemäus die Erde aus?

1: Sie ist eine olle Schreibe, das glauben sie. Weil sie noch nichts von der Schwerkraft wissen. Daher muss die Erde ja flach sein, denn sonst würden die Leute auf der anderen Seite der Erdkugel ja herunterpurzeln.

2: Genau. Die Menschen glaubten damals, wenn sie mit einem Schiff über den Rand des Horizonts fahren, dass sie dann ... nun ja, ins Wer-weiss-wohin fallen.

1: Ist gebongt. Erde ist flach. Okay.

2: Gut. Irgendwann kam nun aber jemand auf die geniale Idee, anzunehmen, die Erdscheibe sei gar nicht flach, sondern gekrümmt. Du erinnerst dich? Scheibe? Krümmung?

1: Da kommt eine Kugel raus. Schon gut, habe verstanden.

2: Eine Scheibe ist zweidimensional. Eine Kugel dagegen ...

1: ... dreidimensional. Eine Dimension mehr. Ich habe es kapiert.

2: Eine Kugel bedeutet, ich kann auf ihr ewig in eine Richtung wandern, erreiche aber nie ein Ende, sondern lande früher oder später immer wieder irgendwo am Startpunkt meiner Reise.

1: Ja, das hatten wir bereits.

2: Jetzt stell dir mal vor, wie so eine Wanderung auf einer - wie wir eben festgestellt haben - dreidimensionalen Kugel, die ja - wie wir ebenfalls festgestellt haben - aus einer gekrümmten zweidimensionalen Fläche besteht, im zweidimensionalen Raum aussehen würde!

1: Was? Zweidimensional? Dreidimensional? Krumm und schief? Ich verstehe gleich gar nichts mehr.

2: Okay, dann noch mal langsam von vorne. Stell dir vor, du läufst stetig geradeaus am Äquator der Erde entlang. Dabei bekommst du doch nicht mit, dass du um die Erde herum läufst, oder? Dir kommt es eher so vor, als würdest du du dich auf einer Fläche bewegen. Und das in völlig gerader Weise. Stimmt das?

1: Ja. Im zweidimensionalen Raum, also auf einer Fläche, sähe es so aus, als würde ich eine ganz gerade Linie zurücklegen, obwohl ich tatsächlich eine ... nun ja, Kreisbewegung um die Erde mache.

2: Und wie lange wäre diese Linie?

1: Das hängt offensichtlich davon ab, wie lange ich es mir gebe, um den Äquator zu joggen. Sie könnte nur ein paar Meter lang sein, weil mich ein Tiger verspeist hat. Sie könnte im Prinzip aber auch unendlich lang sein.

2: Genau. Unendlich lange. Und das, obwohl doch die Fläche einer Kugel beschränkt ist. Wie ist das möglich?

1: Nun ja, so wie du schon gesagt hast: indem ich früher oder später immer wieder den Ausgangspunkt erreiche und überschreite.

2: D.h. man müsste sich das - zweidimensional ausgedrückt - so vorstellen, dass man die Fläche, also die endliche Fläche der Kugel, durchläuft und dann praktisch sofort am genau gegenüberliegendem Ende der Fläche wieder erscheint, um den Vorgang von dort aus zu wiederholen. Stimmst du da mit mir überein?

1: Klar, so wäre es. Selbst wenn ich ganz wilde Kurven auf der Kugel laufe, wäre es noch so. Denn jedes Mal, wenn ich irgendwo das Ende der Fläche, also der ins zweidimensionalen gepressten Kugel, erreiche, erscheine ich am gegenüberliegendem Ende der Fläche durch einen plötzlichen Sprung wieder.

2: Ja. Um sich nun aber die Bewegung auf einer Kugel auf einer Fläche veranschaulichen zu können, ohne dabei diese komischen plötzlichen Sprünge von einem Ende der Fläche an das andere zu gebrauchen, habe ich mir ein Modell überlegt, dass ich "Rastererde" nenne.

1: "Rastererde"? Was soll denn das sein?

2: Die Rastererde ist eine unendlich grosse Fläche, die sämtliche Bewegungen auf der Erdoberfläche im zweidimensionaler Weise wiedergeben kann. Die Oberfläche der Erde wird dabei jeweils durch ein Raster - ein Quadrat - auf der Rastererde dargestellt.

1: Du meinst, jedes Raster entspricht einmal einer plattgedrückten Erdoberfläche.

2: Exakt. Da die Rastererde unendlich gross ist, gibt es auch unendlich viele Raster. Bewegt sich nun ein Körper über eine Grenze hinweg, dann entspricht das genau dem, was wir vorhin ...

1: ... als plötzliche Sprünge bezeichnet haben. D.h. ich verlasse ein Raster der Rastererde z.B. auf der rechten Seite und lande dadurch logischerweise im nächsten Raster auf der linken Seite.

2: Man muss hier aber aufpassen. Denn jedes Raster stellt ja jedes Mal dieselbe Erdoberfläche dar. Die zweidimensionale Aneinanderreihung soll nur helfen, die fehlende dritte Dimension zu simulieren.

1: Äh ... ja, das kann man sich vorstellen. Aber was ist das für eine komische Gehirnakrobatik? Was soll uns das bringen?

2: Die Rastererde soll uns helfen, den gekrümmten Raum vorzustellen.

1: Ach ja? Also tut mir leid, ich sehe bisher nicht wie.

2: Dann überlege doch einmal, was wir gerade eben gemacht haben: wir haben mithilfe der Rastererden-Vorstellung das dreidimensionale Gebilde Kugel- bzw. Erdoberfläche ins Zweidimensionale gequetscht.

1: Na und? Was hat denn das mit dem schiefen Raum zu tun?

2: Aber das ist doch klar. Wir wissen doch ... Moment, stimmt ja. So weit waren wir ja noch gar nicht gewesen. Warte! ... Okay, stell dir vor, du lebst zur Zeit des Kopernikus. Wie sieht die Erde nun aus?

1: Na, jetzt haben es die Leute gerafft, dass die Erde nicht flach, sondern eine kugelrunde Kugel ist.

2: Gut. Eine Kugel bildet einen Raum, oder? Und was für eine schlaue Idee kam Einstein diesbezüglich.

1: Das der Raum krumm wie eine Banane ist, oder?

2: Richtig, richtig. Und was ist noch einmal eine Scheibe für eine Art Raum gewesen?

1: Mh ... ein zweidimensionaler Raum.

2: Und was passiert, wenn der zweidimensionale Raum gekrümmt wird.

1: Er wird zur Kugel und damit zum dreidimensionalen Raum.

2: Genau. D.h., die Krümmung eines Raumes geht einher mit ...? Na?

1: Geht einher mit einer Vermehrung der Dimensionen. Der zweidimensionale gekrümmte Raum ist dreidimensional, also muss der gekrümmte dreidimensionale Raum folgerichtig vierdimensional sein.

2: Bingo. Und da wir uns den vierdimensionalen Raum nicht mit der menschlichen Vorstellungskraft vorstellen können, was machen wir da?

1: Ah .. eben kapier ich es. Wir pressen den vierdimensionalen Raum zum dreidimensionalen Raum zusammen, genauso wie wir es über die Rastererde mit der Erdoberfläche gemacht haben.

2: Exakt, mein Freund. Spielen wir es also durch: bei der Rastererde haben wir unendlich viele Raster, die jeweils einmal die dreidimensionale Erdoberfläche zweidimensional wiedergeben. Wie sieht das nun analog beim Universum aus, das laut Einstein nicht dreidimensional, sondern gekrümmt und damit vierdimensional ist?

1: Äh ... Keine Ahnung.

2: Bei der Erde erhalten wir unendlich viele Flächen. Beim eine Dimension grösseren Universum erhalten wir ... Nun?

1: Unendlich viele Räume?

2: So ist es.

1: Mann, bin ich gut.

2: Das bist du. Ich aber auch, denn ich habe sogar schon einen Namen für das dreidimensionale Simulationsmodell des vierdimensionalen Universums: das "Quaderuniversum".

1: Ah ja. Rastererde und Quaderuniversum.

2: Man kann sich den gekrümmten Raum, d.h. das Universum, also als eine unendliche Aneinanderreihung von Universen in jeder Richtung - nach oben, nach unten, nach links, nach rechts, nach vorne und nach hinten - vorstellen.

1: Ja, das stimmt. Dann stimmt auch das, was du vorhin gesagt hast: ich könnte ewig geradeaus fliegen, würde aber nie das Ende des Universums erreichen, weil ich ja ohne es zu bemerken von einem Quader des Quaderuniversums in den nächsten Quader fliegen würde.

2: Nicht wirklich in einem nächsten Quader. Jeder Quader stellt ja dasselbe Universum dar, vergiss das nicht! In allen Quadern spielt sich zu jedem Zeitpunkt exakt das Gleiche ab. Die Quaderung soll ja nur wie die Raster bei der Rastererde die Krümmungsdimension in anschaulicher Weise wiedergeben.

1: Mh ... erstaunlich. Vorhin konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man im Universum durch stetiges Geradeausfliegen irgendwann wieder beim Ausgangspunkt landen kann. Aber jetzt ist' s eigentlich ganz logisch: durchfliege ich einen Quader, lande ich im nächsten, d.h. im gleichen Universum, nur auf der anderen Seite, kann also wieder meinen Startpunkt ohne Richtungsänderung erreichen.

2: Das mit der Bewegung im Raum wird dadurch erklärbar, da hast du Recht. Aber man bekommt durch die Vorstellung eines Quaderuniversums ganz andere Probleme. Und über die habe ich mir auch lange den Kopf zerbrochen.

1: Aha, was macht den das Quaderuniversum für Probleme. Wo gibt es Ärger damit?

2: Bei den Sternen.

1: Den Sterne?

2: Ja, den Sternen. Oder besser: das Licht der Sterne bereitet mir Probleme. Denn: was passiert mit dem Licht der Sterne?

1: Was soll denn schon damit passieren? Es rast durchs All, oder?

2: Eben. Es rast durch das All. Quer durch. Es müsste also die Grenze eines Quaders erreichen - also im Prinzip aller Quader, da sich in allen ja das Gleiche abspielt.

1: Na und?

2: Nun, es müsste die Quadergrenze durchbrechen und auf der anderen Seite in den nächsten Quader eindringen.

1: Hä?

2: Ja, es ist doch genau das Gleiche wie mit der Bewegung im gekrümmten Raum. Wir haben uns doch eben klar gemacht, dass mich eine geradlinige Bewegung letztlich immer wieder zum Ausgangspunkt zurückbringt. Ich frage mich nun, warum das nicht für das Licht gilt?

1: Vielleicht gilt es ja doch für das Licht. Warum auch nicht? Woher willst du wissen, dass ein Lichtstrahl, den du von der Erde her ins All aussendest, nicht irgendwann die Erde von der anderen Seite her trifft, weil er einmal das gesamte Weltall "umrundet" hat?

2: Das kann nicht sein. Das Sternenlicht umrundet das Weltall ja auch nicht.

1: Wie kommst du darauf? Nun sage es schon!

2: Wenn das Sternenlicht dies täte, dann müsste der Himmel grellgelb erleuchtet sein.

1: Wieso? Das kriege ich nicht auf die Reihe. Grellgelb sagst du? Mh ... Nein, ich kapier es nicht.

2: Stell dir einfach vor, du befindest dich mitten in unserem Quaderuniversum.

1: Okay, vorgestellt. Ich hocke in einem der Quader genau in der Mitte herum.

2: Nein, du hockst nicht nur in einem Quader, sondern in allen Quadern gleichzeitig in der Mitte herum.

1: Ist klar, ist klar.

2: Stell dir nun vor, ausser dir befände sich nichts im Weltall.

1: Okay. Ich bin ganz alleine. Mutterseelenalleine und einsam. Auf verlorenem Posten sozusagen.

2: Gut. Nun stell dir vor, du knipst eine Taschenlampe an. Was könntest du dann sehen?

1: Aha, ich verstehe, worauf du hinaus willst. Ich würde mich selbst sehen, wenn ich ins Universum blicke.

2: Ja. Und zwar unendlich oft. Da du in jedem Quaderuniversum bist, müsstest du dich um dich herum überall sehen können.

1: Richtig. Es wäre ungefähr so, als befände ich mich in einem Raum, an dessen Wänden sich Spiegel befänden.

2: Ja, das ist ein guter Vergleich. Und das eine Licht, dass du angeknipst hast, würdest du auch unendlichfach sehen können, oder?

1: Stimmt. Und das meintest du, als du sagtest, die Sterne müssten den Himmel grellgelb erleuchten?

2: Genau.

1: Das ist ja komisch. Mh ... Wohin verschwindet das Licht der Sterne? Das ist in der Tat eine gute Frage.

2: Eben. Wohin verschwindet das Licht? Warum folgt es nicht der gekrümmten Bahn des Universums und kommt letztlich wieder beim Ursprung an?

1: Warte mal ... mir kommt da so eine Idee. Was, wenn der Raum so gross ist, dass das Licht sein Ende noch gar nicht erreichen konnte, also auch nicht an der anderen Seite wieder auftauchen konnte?

2: Oh! ... Das habe ich mir noch gar nicht überlegt. Moment mal! Wenn ich von der Erde aus einen Lichtstrahl ins All jage, der der gekrümmten Bahn des Alls folgt, es aber noch nicht vollständig "umrundet" hat ... Dann, ja dann würde ich den Lichtstrahl nur in eine Richtung verschwinden sehen, ohne dass er bereits wieder auf der anderen Seite aufgetaucht wäre. Ja, das wäre eine Möglichkeit dafür, dass der Himmel nicht grellgelb ist. Genauer: noch nicht grellgelb ist, denn nach dieser Theorie müsste er es ja früher oder später doch sein.

1: Na bitte. Ich bin ein Genie.

2: Nun ja ... Meine Lösung gefällt mir jedenfalls besser.

1: Was? Du hast auch eine Lösung fürs Fehlen des Lichts parat?

2: Ich sagte dir doch: ich knobel daran schon eine ganze Weile herum.

1: Na, dann spucke sie einmal aus, deine bessere Lösung!

2: Ich glaube einfach, dass das Licht eine Sonderrolle innehat. Es folgt nicht den normalen Naturgesetzen. zumindest nicht den Gesetzen, die die massereichen Körper betreffen. Denn das Licht hat keine Ruhemasse. Also braucht es auch nicht der Raumkrümmung zu folgen.

1: Aber bei Lichtgeschwindigkeit hat es schon Masse. Und so weit ich weiss, wird auch das Licht von der Gravitation beeinflusst. Und die Gravitation macht doch gerade den gekrümmten Raum aus, wenn ich mich recht erinnere. Ergo: das Licht folgt doch den Bahnen des gekrümmten Raumes.

2: Das stimmt schon. Aber ich glaube, dass es nur bis zu einem gewissen Grad vom gekrümmten Raum abhängig ist. Ich glaube - auch wenn sich das komisch anhört -, dass das Licht in die neue Dimension, d.h. in die vierte Dimension des gekrümmten Raumes, "fliehen" kann. Und diese vierte Dimension ist die Zeit.

1: Brrr! Das Licht flieht wie ein Hering vorm Hai in eine Dimension hinein. Brrr! Bei der Vorstellung brennen einem ja die kleinen grauen Zellen durch.

2: Aber nein, es ist eigentlich ganz simpel. Denk doch nur wieder an die dreidimensionale Erdkugel. Du kannst dort zwar beliebig lange geradeaus laufen und die Erde umrunden, aber ein scharfer Laserstrahl, der kann das nicht. Denn was macht der?

1: Tja, der geht zuerst ins Weltall und dann ab in die Unendlichkeit.

2: Exakt. Bis zu einem gewissen Grad wird ein Laserstrahl zwar von der Erdgravitation beeinflusst, "flieht" dann aber letztlich doch in die neue Dimension der gekrümmten Fläche hinein, nämlich in die dritte Dimension. Und diese dritte Dimension ist die Höhe.

1: So langsam verstehe ich, worauf du hinaus willst. Bei unseren Rastererde könnte ich also in der Mitte sitzen, mit einer Taschenlampe leuchten, der Strahl würde aber nie ins nächste Raster reichen, sondern ... nun ja, schon früher ins Nichts verschwinden. Nichts deshalb, weil ja die dritte Dimension der Höhe hier nicht mehr vorhanden ist.

2: So ist es. Und was für die Rasterde gilt, das gilt auch für das Quaderuniversum - nur das hier die neue Dimension die Zeit ist.

1: Wow! Irre Sache! Aber in der Tat eine geschickte Erklärung dafür, dass der Himmel über uns nicht leuchtet wie ein Christbaum - Raumkrümmung hin, Raumkrümmung her.

2: Warte es nur ab! In diesem Zusammenhang habe ich mir noch ganz andere Sachen überlegt. Und zwar viel erstaunlichere.

1: Ja? Erzähle!

2: Stell dir vor, du stehst am Strand eines Ozeans und blickst auf das Meer hinaus. Wie weit kannst du sehen?

1: Mh ... bis zum Horizont, oder?

2: Genau. Stell dir nun vor, du wiederholst diesen Vorgang auf unserer Rastererde. Egal, wo du dich in einem der Raster befindest, du könntest immer nur einen kleinen Ausschnitt der Rasterfläche beobachten, habe ich recht?

1: Ja. Es wäre wie am Strand, wo die Krümmung der Erde verhindert, dass wir die gesamte Erdfläche sehen können. Ist auch genauso wie die Sache mit dem Lichtstrahl. Du kannst zwar überall hinlaufen, siehst dabei aber immer nur eine kleinen Teil von der gesamten Fläche.

2: Und jetzt halte dich fest: Rumms! Du bist im Weltall, in unserem Quaderuniversum. Und nun projiziere das Begrenzt-Sehen-Phänomen der Rastererde in das Quaderuniversum. Was passiert dann?

1: Mh ... ich sehe nur einen Teil von der Rasterfläche - ich sehe nur einen Teil des Quaderuniversums ...

2: Bingo.

1: Moment, Moment, das geht mir zu schnell. Willst du damit etwa sagen, wir können gar nicht das ganze Weltall sehen, sondern nur einen Teil davon?

2: Wieder Bingo. Ich sagte dir doch, in das Weltall zu gucken ist wie den Horizont zu betrachten. Beides zeigt nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was wirklich dahinter vorhanden ist.

1: Wow! Mann, das ist ja irre! Hey, bis zum Horizont sind es vielleicht gerade mal 10 km, die Erde hat aber einen Umfang von über 280000 km. Mann, wenn wir heute am Horizont des Universums Quasare sehen, die 13 Milliarden Lichtjahre weg sind, dann ... dann ...

2: ... dann gibt es nach meiner Theorie Dinge, die noch viel, viel, viel weiter weg sind von der Erde als die Quasare. Wir können sie nur nicht sehen, weil der Raum gekrümmt ist, das Licht dieser Krümmung aber nicht vollständig nachfolgt.

1: Wahnsinn!

2: Ja, so wie ich die Sache sehe, blicken wir kugelförmig von der Erde aus in das Universum hinein, das diese - von mir so genannte - Horizontkugel um ein Vielfaches an Volumen übertrifft.

1: Wenn das wahr ist, dann würden uns ja auch die besten Teleskope hier nicht weiter helfen können. Mit denen könnten wir nur die Horizontkugel genauer betrachten, aber niemals über sie hinaus blicken. Es sei denn, wir würden die Teleskope auf eine lange Reise schicken, in die Richtung, die einen interessiert, denn dann würde sich die Horizontkugel innerhalb des Universums bewegen.

2: Das wäre möglich.

1: Mit anderen Worten: hinter die Quasare werden wir nie blicken können, denn um nur eine lächerliche Milliarden Lichtjahre mehr sehen zu können, müssten wir einen Milliarden Jahre lang mit Lichtgeschwindigkeit in eine bestimmte Richtung fliegen. Und bis dahin gibts vermutlich keine Menschen mehr.

2: Das wir nie hinter die Quasare sehen können, glaube ich nicht. Denn es gibt eine Möglichkeit, wie wir die Horizontkugel vergrössern können.

1: Ach ja?

2: Ja. Wir müssen dazu nur die neue Dimension des gekrümmten Raumes ausnutzen, also die Zeit. Die Zeitänderung geht mit einer Erweiterung bzw. Schrumpfung des Kugelhorizonts einher.

1: So? Wie kommst du denn auf diese abwegige Idee?

2: Überlege doch einmal! Wie kannst du den Kreishorizont auf der Erde ändern?

1: Sagte ich doch schon: indem du in eine bestimmte Richtung reist, kannst du den Kreishorizont gewissermassen über die gesamte Erde streifen lassen.

2: Entschuldige, ich habe mich eben falsch ausgedrückt. Also: wie kannst du den Kreishorizont nicht nur ändern, sondern erweitern?

1: Erweitern? Mh ... Keine Ahnung. Vielleicht indem ich hochspringe?

2: Genau.

1: Was?

1: Ja, stelle dir vor, du nutzt die neue Dimension der gekrümmten Fläche aus, also die Höhe.

1: Ah, der Groschen ist gefallen! Ich steige einfach höher, und dann sehe ich natürlich mehr von der Erde. Ja, wenn ich hoch genug bin, sehe ich sogar die Hälfte der gesamten Erdoberfläche.

2: Und ich glaube, was bei der Rastererde funktioniert, funktioniert auch im Quaderuniversum. Beim ersten wird die Krümmung durch die Höhendimension verursacht, beim zweiten durch die Zeitdimension.

1: Du meinst ... ein Teleskop, dass irgendwie mit veränderter Zeit reist, würde sich möglicherweise ein viel grösseres Universum als das bisher bekannte zur Schau stellen?

2: Exakt das vermute ich. Und wie Einstein zeigte, lassen sich die nötigen Zeitänderungen mit hohen Geschwindigkeiten erreichen. Für ein Teleskop, das mit Beinahe-Lichtgeschwindigkeit fliegt, müsste ein Raum beobachtbar sein, in dem die Quasare relativ naheliegende Himmelsobjekte wären.

1: Fantastisch! Das ist irre! Wenn das stimmt, dann ... Warum hab ich nur noch nie von etwas ähnlichem gehört?

2: Keine Ahnung. Vermutlich habe ich irgendwo einen Fehler gemacht. Ich weiss es nicht. Aber es scheint so, als gäbe es sogar so etwas wie eine Bestätigung für meine Ideen.

1: Ach ja, welche denn?

2: Wie sieht die Erde aus, wenn du sie aus dem All betrachtest. Ich meine, räumlich gesehen.

1: Wie eine Scheibe, oder?

2: Exakt. Sie erscheint zweidimensional, d.h. wir sehen durch das Abtauchen in die dritte Dimension der Höhe etwas Dreidimensionales zur Hälfte zweidimensional.

1: Und?

2: Ich vermute nun, dass man durch das Abtauchen in die dritte und vierte Dimension etwas Dreidimensionales vollständig als Fläche sehen kann.

1: Wie? Das würde ja bedeuten, wenn man mit Lichtgeschwindigkeit fliegt, sieht man von allen Objekten alle Seiten gleichzeitig. Meinst du das?

2: So vermute ich es. Und ich glaube, darüber habe ich auch schon einmal etwas in einem Film über die Relativitätstheorie gesehen. Aber das werde ich noch genauer überdenken müssen.

1: Na, wenn das stimmt, stimmt vielleicht auch der ganze Rest.

2: Ja. Und das wäre doch toll, oder?

1: Wieso?

2: Na, weil ich der Menschheit dann durch ein bisschen Nachdenken ein riesiges Weltall geschenkt hätte. Viel grösser, als es sich bisher je ein Mensch ausgedacht hat.

1: Wow! Das ist wahr.

2: Klar ist das wahr. Ich bin der Erweiterer der Welt. Dankt mir und preist mich. Das Universum und ich sollen hochleben!

1: Na denn: Amen.