Der Gang ins All im evolutionären Lichte
Geschwurbel von Daniel Schwamm (28.12.1992)
Inhalt
Das Universum entstand vor 13 bis 14 Milliarden Jahren. Oder
vielleicht auch schon vor 20 Milliarden Jahren. Nach der Hypothese des Urknalls
explodierte dabei äusserst komprimierte Materie bzw. Energie, die
sich dann im Laufe der Zeit zu Sternen und Galaxien formiert hatten; die
minimale Abweichung der Temperatur vom absoluten Nullpunkt, drei Kelvin, wie
wir sie heute überall im Weltall in Form universaler Radiostrahlung
vorfinden können, resultiert genauso aus dieser ungeheuren Explosion wie
die Tatsache, dass sich das Weltall ständig weiter ausdehnt, denn
alle Galaxien entfernen sich von der unseren, und zwar umso schneller, je
weiter sie von uns entfernt sind.
Gemessen wird diese Ausdehnung des Alls mithilfe des
Doppler-Effekts: eine Verschiebung des Lichts zum roten Spektralbereich hin,
die durch die Verlängerung der auf die Erde eintreffenden Lichtwellen
verursacht wird. Besser verdeutlichen kann man sich diese Erscheinung aber
vielleicht mit Schallwellen: Die Geräuschquelle, die sich vom Hörer
fortbewegt, zieht die von ihr ausgehenden Schallwellen praktisch hinter sich
her und verlangsamt damit ihr Tempo, ihre Frequenz, mit dem sie beim Hörer
eintreffen. Folge: Die Schallwellen werden scheinbar verlängert, der Ton
klingt tiefer, als wenn die Schallquelle ruhend oder auf den Hörer
zukommend wäre. Bei jedem vorbeifahrenden Auto kann man diesen
Tonunterschied deutlich hören.
Einige Galaxien, die man in rund fünf Milliarden
Lichtjahren Entfernung gerade noch mit 5 m-Teleskopen fotografisch erfassen
kann, bewegen sich erwiesenermassen mit halber Lichtgeschwindigkeit von
uns weg. Astronomischen Gesetzen zur Folge müssen sich damit aber Galaxien
in zehn Milliarden Lichtjahren Entfernung gerade mit der doppelten
Geschwindigkeit von uns wegbewegen, also mit voller Lichtgeschwindigkeit. Das
heisst aber auch, dass uns das Licht dieser Galaxien
grundsätzlich nie mehr erreichen kann (dazu müsste es sich ja
sonst selbst überholen, was aber nicht möglich ist, da die
Lichtgeschwindigkeit eine absolute Grösse ist).
Nach allem was wir heute wissen, liegen hier, zehn Milliarden
Lichtjahre von der Erde entfernt, die Grenzen des beobachtbaren Universums!
Doch trotz dieser Begrenztheit des Kosmos - nur des
beobachtbaren Kosmos wohlgemerkt! - wäre es wohl doch ein wenig verfehlt,
wenn dem Menschen (oder sonst eine andere Lebensform) angesichts diesen
Sachverhalts gleich ein Gefühl der Platznot und des Eingesperrtseins
überkommen würde. Das Universum dürfte eigentlich gross
genug sein, um auch dem Grössenwahnsinnigsten unter den
Grössenwahnsinnigen genügend Spielraum für seine
abgehobenen Machtfantasien zu bieten. Alleine unsere Galaxie, nur eine von 6
Milliarden im Weltall und bei Weitem nicht die grösste, besteht aus
mehreren hundert Milliarden Sternen, die jeder für sich genommen wiederum
zum Teil wesentlich grösser und heller sind als die Sonne unseres
Sternensystems - Canopus zum Beispiel ist 80000 Mal heller und Scorpii 650 Mal
grösser als sie. Und alleine um diesen Zwerg von Sonne kreisen ja
schon bekannterweise neun grosse Planeten mit 32 Monden (von denen einige
so gross wie die Erde sind) herum, und zusätzlich noch riesige
Schwärme von Kometen und Meteoren, die von ihrer Anzahl her in die
hundert Milliarden gehen dürften.
Diese unermessliche Grösse des Raums ist
für den auf der Erde geborenen Menschen definitiv nicht mehr fassbar;
sie entzieht sich seinem Denken, seinem Begriffsvermögen. Darauf hat ihn
die Evolution bisher einfach nicht vorbereitet. In der relativen Begrenztheit,
in der der Mensch bisher auf der Erde leben musste, wäre das auch ein
unnötiger Luxus gewesen.
Und Luxus produziert die Evolution nicht!
Aber die Zeiten ändern sich ja: Vor drei Milliarden
Jahren, im Präkambrium, als sich das gesamte Leben auf der Erde noch
ausschliesslich im Wasser abspielte, weil alles Land vom Meer
überflutet war, war es für ein Tier sicherlich noch nicht von Vorteil
gewesen, wenn eine zufällige Mutation in seinem Erbmoleküls, der
Ribonukleinsäure, kurz RNS, dazu geführt hatte, dass es statt
kalt- auf einmal warmblütig war. Der Energieverbrauch wuchs damit nur
drastisch an, das Tier musste also entsprechend mehr Energie zu sich
nehmen, um am Leben zu bleiben, ohne allerdings irgendeinen nennenswerten
Vorteil im Kampf ums Dasein dafür erhalten zu haben. Wie Charles Darwin
Evolutionstheorie besagt, genügt ein solcher minimaler Nachteil einer Art
gegenüber einer anderen in der Regel schon aus, um sie dem Gesetz der
Selektion zum Opfer fallen zu lassen: sie stirbt früher oder später
unweigerlich aus.
Doch dann war im Laufe der Erdgeschichte plötzlich das
Meer zurückgegangen und die Kontinente hoben sich aus dem Wasser heraus.
Wohl dauerte es noch einige Millionen oder einige hundert Millionen Jahre, aber
schliesslich hatte das Leben gegen Ende des Paläozoikums die
Landmassen erobert. Und da die Evolution aus ihren Fehlern nicht lernt,
mutierten irgendwann einmal ein Kaltblüter plötzlich wieder aufgrund
natürlicher Radioaktivität zu einem Warmblütern. Und siehe da,
diesmal war eine konstante, relativ hohe Körpertemperatur trotz
erhöhten Energieaufwandes für die Erhaltung der neuen Lebensform vom
Vorteil im Vergleich zu den konkurrierenden alten Arten: Auf dem Land wechseln
die Temperaturen nämlich sehr viel stärker als im Wasser, und die
Warmblütigkeit erlaubt es eher als die Kaltblütigkeit mit diesen in
der Geschichte des Lebens völlig neu aufgetretenen wechselnden
Klimaverhältnissen fertig zu werden.
In unseren Tagen gelang nun dem Leben wiederum erstmals ein
Vorstoss in einen völlig neuen Lebensraum. Die Menschheit, dieses
relativ junge Experiment der Evolution mit dem vergrösserten Hirn,
hatte einen uralten Traum verwirklicht, vielleicht den ältesten allen
irdischen Lebens überhaupt: Ihr war der Sprung ins All geglückt!
Der Russe Konstantin Ziolkowski erarbeitete am Anfang des 20.
Jahrhunderts die mathematischen Grundlagen der Weltraumfahrt, 1926 konstruierte
der Amerikaner Richard H. Goddard die ersten Flüssigkeitsrakete, der
Deutsche Werner von Braun entwickelte während des Zweiten Weltkrieges
schliesslich die V2-Rakete, die einen entscheidenden Schritt zur
Weltraumrakete darstellte. Aber erst am 12. April 1961 war es dann endlich
wirklich so weit: Der Russe Yuri Gagarin umkreiste zum Entsetzen aller
westlicher Nationen als erster Mensch die Erde in einem Weltraumfahrzeug.
Die natürliche Begrenztheit der Erde ist seit dem nicht
mehr gegeben, das Leben ist damit Reif für neue Höhen geworden!
Auch der zweite Pokal im Wettlauf zum Weltraum ging an die
Russen, denn 1963 schickten sie nach dem ersten Mann auch noch die erste Frau
ins All: Maria Tereschkowa. Nichts gegen den Amerikaner John Glenn, 1962 die
Nummer Zwei im Himmel, aber eine Amerikanerin wäre für die
West-Nationen aus Prestigegründen sicherlich besser gewesen. Aber es kam
noch schlimmer für den Westen: Die russische Voskhod-Raumkapsel hatte als
erste nicht nur einen, sondern gleich drei Mann Besatzung, und von ihr aus
wurde dann auch der erste Weltraumspaziergang unternommen.
Die ganze Welt schaute daraufhin erwartungsvoll auf Amerika,
dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, das den Russen, diesem
grossen ideologischen Gegenspieler, stets einen kleinen Schritt
hinterherhinkten. Ein wahrhaft untragbarer Zustand für das Ansehen der
westlichen Nationen in der gesamten Welt, eine einzige grosse Blamage!
Doch gerade unter diesen öffentlichen Druck übertrafen sich die
westlichen Techniker und Wissenschaftler auch schliesslich selbst. Wie es
Präsident John F. Kennedy sieben Jahre zuvor seinen Landsleuten
versprochen hatte, war es am 21. Juli 1969, morgens 3 Uhr 56 MEZ,
tatsächlich ein Amerikaner, der als erster Mensch den Mond betrat: Neil
Armstrong. Nach den Atlas ICBM-Raketen und den Mercury-Raumkapseln, den Titan
2-Raketen und den Gemini-Raumfahrzeugen, hatte es nun die Saturn V mit den
Apollo-Flügen endlich geschafft, Russland in seine Schranken zu
verweisen.
Für viele Menschen - wenn nicht gar für die meisten
- gilt diese erste Mondlandung als die bisher grösste Errungenschaft
der Menschheit überhaupt!
Vielleicht spüren sie ja, was genetisch seit Anbeginn der
Zeit in jedem Lebewesen verankert sein könnte und was möglicherweise
durch die Evolution verwirklicht werden soll: Einen unbestimmten Drang ins
Weltall hinaus, zur Verbreitung des Lebens über die ganze Welt hinweg ...