Arbeitszufriedenheit und Unternehmensgrösse

Geschwurbel von Daniel Schwamm (23.05.1994)

Ein Dialog

[Kritik an der These, dass sich die Arbeitszufriedenheit (AZ) generell über den Krankenstand messen lässt, und dass hohe Qualifikation generell mit hoher AZ einhergeht. Diese Erkenntnis basiert auf der Unterscheidung zwischen grossen und kleinen Organisationen.]

1: Was meist du: Ist hohe Arbeitszufriedenheit eher in grossen oder eher in kleinen Organisationen gegeben?

2: Tja ... Gute Frage.

1: Ja, das ist eine gute Frage, v.a. für kleinere Organisationen.

2: Wieso?

1: Nun, man hat eine positive Korrelation zwischen Arbeitszufriedenheit und Krankenstand festgestellt.

2: Du meinst, zufriedene Arbeiter wären seltener krank?

1: Nicht unbedingt. Ich meine nur, dass zufriedene Arbeiter seltener fehlen. Sie müssen deswegen nicht unbedingt krank sein, sie könnten ja auch "Krankfeiern".

2: Logisch, das leuchtet ein. Aber warum soll das v.a. kleinere Organisationen betreffen. Ich meine, auch eine grosse Organisation hat unter hohem Krankenstand zu leiden.

1: Sicher, aber in einem weit geringerem Masse. Überlege doch einmal: In grossen Organisation ist die Arbeitsteilung weit fortgeschritten, die Arbeit des Fehlenden kann also entweder ruhig eine Weile Brach liegen, oder sie kann u.U. von jemand anderem übernommen werden.

2: Nun, das ist in kleinen Organisationen doch genauso möglich. Dort ist die Arbeitsteilung geringer, okay, aber Ersatz wird sich doch auch dort finden lassen, oder?

1: Ja, aber nur, wenn die Mitarbeiter breit ausgebildet werden, d.h. jeder muss dort im Grunde alles können. Daher meine ich, dass der Krankenstand in grossen Organisationen nicht so schwerwiegend ist, wie in kleinen Organisationen.

2: Okay, das sehe ich ein. Dann verstehe ich auch, warum die Arbeitszufriedenheit in kleinen Organisationen ein wichtigeres Thema ist als in grossen Organisationen.

1: Das verrückte dabei ist nur, dass die Arbeitszufriedenheit in kleinen Organisationen durch das - wie eben gezeigt wurde - notwendigerweise breitere Betätigungsfeld eigentlich von Haus aus gegeben sein müsste.

2: Wieso?

1: Das sagen die Organisationspsychologen, und das leuchtet auch ein. Wem macht eine eintönige, monotone Arbeit schon gross Spass? Wenn einer aber alles kann und zu tun hat, dann hat er viel Abwechslung, wird oft gefordert, sieht, dass er etwas leistet, ...

2: ... hat Stress, verliert den Überblick, ja, ja, ja. Ich glaube nicht, dass ein breites Betätigungsfeld für jeden geeignet ist.

1: Ich denke ähnlich. Daher frage ich mich ja auch, ob das breite Betätigungsfeld in kleinen Organisation wirklich mit mehr Arbeitszufriedenheit einhergeht. Leider ist mir zu diesem Thema noch nie eine empirische Studie begegnet.

2: Nach meiner Erfahrung hagelt es eher Klagen von Mitgliedern kleiner Organisationen, gerade weil sie durch ihre hohe Qualifikation laufend auch die Arbeit von anderen zu erledigen haben.

1: Stimmt. Überlegen wir uns doch einmal, welche Folgen dies für die AZ haben kann.

2: Druck.

1: Wie?

2: Na, Druck. Jeder übt auf den anderen Druck aus, damit er ja nicht fehlt, zumindest nicht ohne Grund. Ein Drückeberger hat in kleinen Organisationen sicher einen schwereren Stand als in grossen Organisationen.

1: Ja, aber andererseits kann das Krankfeiern auch zunehmen, weil man die Gewissheit hat, dass die eigene Arbeit nicht liegen bleibt, sondern von anderen erledigt wird.

2: Mh ... Genau das kann aber auch wiederum dazu führen, dass man nicht Krankfeiert, weil man doch als netter Mensch niemanden seine Arbeit aufhalsen will. Da spricht das Gewissen, verstehst du?

1: Na schön, fassen wir zusammen: Der Krankenstand wird in kleinen Organisationen anders als in grossen Organisationen beeinflusst von der Kollegen-Polizei, dem individuellem Es und dem individuellen Über-Ich. In zwei Fällen wird der Krankenstand nicht erhöht, d.h. es steht 2:1 für das Nicht-Krankfeiern. Demnach würde die höhere Qualifikation tatsächlich zu einem niedrigeren Krankenstand führen.

2: Mh ... das passt aber nicht so ganz, stimmt's?

1: Passt nicht? Wie meinst du das?

2: Wir haben doch eben von AZ gesprochen, nicht von der Qualifikation.

1: Bitte? Ich verstehe nicht ganz.

2: Nun, mir scheint, die Korrelation zwischen AZ und Krankenstand haben wir eben gerade nicht begründet, nur eine Korrelation zwischen Qualifikation und Krankenstand.

1: Ja, aber AZ ist doch eine Folge höherer Qualifikation.

2: Das klingt zwar plausibel, aber ob dem wirklich so gegeben ist? Überlege doch einmal: Wir haben zwei Gründe genannt, die zu einem Nicht-Krankfeiern führten.

1: Richtig. Die Kollegen-Polizei und das eigene Gewissen.

2: Ja. Beide Gründe resultieren aber aus der Bewusstwerdung der Ersetzbarkeit, die in kleinen Organisationen aufgrund der notwendigen breiten Qualifikation erst gegeben ist.

1: Ah, ich verstehe, worauf du hinaus willst. Ersetzbarkeit klingt nicht gerade nach einem Kriterium für AZ.

2: Meine ich auch. In grossen Organisationen, wo die Professionalisierung vorherrscht, würde ich eher AZ vermuten, auch wenn die Aufgaben und die Qualifikation dort sehr spezialisiert sind.

1: Das ist wahr. Als Informatiker habe ich gerade meine Freude daran, dass ich praktisch nicht ersetzbar bin, und dass niemand meine Arbeit nachvollziehen kann. Möglicherweise bin ich zwar nur ein kleines Rädchen, aber dafür ein sehr entscheidendes - und unersetzbares.

2: Eben. Das heisst, wir erhalten die Situation, dass in grossen Organisationen die AZ grösser ist, obwohl dort die Spezialisierung weit ausgeprägter ist.

1: Wobei aber die allgemeine Spezialisierung von Professionalisierung abzugrenzen ist.

2: Mh ... ja, richtig. D.h. nicht Nicht-Spezialisierung fördert generell die AZ, sondern Professionalisierung fördert die AZ.

1: Einfacher: Qualifizierung fördert die AZ.

2: Ja, aber dann ...? Blöd ist das. Qualifizierung tritt doch in kleinen Organisationen ebenso auf wie in grossen Organisationen - letztlich unterscheiden sie sich bezüglich der AZ also gar nicht?

1: Nicht unbedingt. Wir haben es hier doch mit zwei verschiedenen Arten von Qualifikation zu tun: Tiefe Qualifikation und breite Qualifikation.

2: Aha, ja, richtig. Mh ...

1: Es wäre also zu untersuchen: Herrscht tiefe Qualifikation eher in grossen Organisationen vor, und breitere dafür eher in kleinen Organisationen? Und: Wirkt tiefe Qualifikation motivierender oder breite Qualifikation?

2: Mein Tip: Tiefe Qualifikation herrscht in grossen Organisationen vor. Tiefe Qualifikation ist motivierender als breite Qualifikation, weil sie unersetzlicher ist. Demnach dürften in grossen Organisation zufriedenere Leute arbeiten als in kleinen Organisationen, obwohl die AZ dort nicht so relevant ist. Dies lässt sich aber nicht über über den Krankenstand ermitteln, wie es üblicherweise gemacht wird, weil in kleineren Organisationen andere Mechanismen als AZ dafür sorgen, dass Nicht-Krankfeiern vorherrscht.