Organisationsstrukturen

Geschwurbel von Daniel Schwamm (01-02/1994)

Inhalt

1. Einführung

Diese Arbeit will helfen, den Begriff "Organisation" zu verstehen. Sie will Unterschiede aufzeigen, die zwischen verschiedenen Organisationen und deren (formalen) Strukturen zu beobachten sind. Und sie will Gründe dafür benennen, warum eine Organisation unter bestimmten Bedingungen in einer Erscheinungsform eher auftritt, als in einer anderen, warum also z.B. im Finanzamt stärker bürokratisierte Strukturen vorherrschen als in Werbeunternehmen.

1.1. Was ist eine "Organisation"?

1.1.1. Definitionen von Organisationen

Laut Coleman sind Organisationen Ressourcenpools, die dadurch entstehen, dass Individuen einen Teil ihrer Ressourcen (z.B. Geld, Arbeitskraft, Arbeitslust und Rechte) einer zentralen Disposition unterstellen. Daraus folgt, dass Individuen in mehreren Organisationen Mitglieder sein können, je nachdem wie sich sich selbst aufteilen wollen. Ausserdem wird deutlich, dass die Aktivität der Individuen nicht nur durch die Organisation, sondern auch durch den vorherrschenden Markt koordiniert wird, denn da dem Individuum Alternativen zur Verfügung stehen, hat es die Freiheit zu wählen, wo es seinen Aktivitäten einbringen will.

Nach Kieser (1993) sind Organisationen in erster Linie soziale Gebilde, also eine Art Kommunikationsumgebung für Menschen, die dauerhaft ein oder mehrere Ziele verfolgen und über eine formale Struktur (und meistens auch über eine informale Struktur) verfügen, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf die verfolgten Ziele hin ausgerichtet werden können.

1.1.2. Geschichte von Organisationen

Im grösseren Umfang existieren Organisationen erst seit ca. 200 Jahren. In archaischen Gesellschaften gab es zwar gesellschaftlich-verwandtschaftliche Strukturen, jedoch keine organisatorischen, da hier jeder mehr oder weniger alles Selbst machen musste und diesen Verhältnissen auch nicht so ohne Weiteres entrinnen konnte - zumindest nicht ohne gewaltigen Ärger von seinen Stammesgenossen zu bekommen. Im Mittelalter gehörten die Arbeitskräfte ebenso noch nicht sich selbst, sondern den Feudalherren - einem Drückeberger ging es hier noch viel, viel schlechter als in den archaischen Gesellschaften. Auch den Zünften, den moralisch geläuterten Gewerbegemeinschaften der aufstrebenden Städte, fehlte es noch deutlich an Freiwilligkeit, und ein Privatleben konnten die Mitglieder dort ebenso nicht für sich beanspruchen. Wer die Wächter der Zunft verärgerte, weil er z.B. seiner Ehefrau nach einem Ehebruch verzieh, flog sofort raus. Mit den Manufakturen des 18. Jahrhunderts entstanden dann jedoch Wirtschaftsgemeinschaften, die man als die ersten richtigen Organisationen bezeichnen kann, da hier ein Austritt der Mitglieder im Prinzip jederzeit möglich war.

Nach Kieser setzten sich die "richtigen" Organisationen am Anfang nur relativ langsam durch, denn die nötigen äusseren Bedingungen waren für sie im Mittelalter und der beginnenden Neuzeit noch nicht geschaffen (z.B. gab es keine geregelte Ausbildung, keinen Arbeitsmarkt, kein Vertragsrecht und keine Sonderurlaubsregelungen). Ausserdem waren bestimmte soziale, politische oder religiöse Aufgaben noch nicht vom Staat institutionalisiert worden, mussten also noch von den Wirtschaftsgemeinschaften übernommen werden. Davon wollten und wollen "richtige" Organisationen nichts hören. Da sie sich im Laufe der Zeit jedoch als ökonomischer und flexibler erwiesen haben als z.B. die starren Zünfte mit ihren ehernen Gesetzen, gewannen sie schliesslich doch noch als Einzige den "Kampf ums Dasein", wie es Darwin ausdrücken würde.

1.1.3. Merkmale von Organisationen

Nach der Definition von Kieser gibt es 5 Begriffe, die als Merkmale von Organisationen gelten können. Diese werden wir uns nun einzeln ansehen.

1.1.3.1. Ziele

Organisationen sind zielgerichtet, sie haben einen Zweck (z.B. den, möglichst viel Kohle, sprich: Gewinn zu machen). Die Organisationsziele unterscheiden sich von den persönlichen Zielen ihrer Mitglieder, von denen der Gesellschaft und des Wirtschaftssystems insgesamt, müssen diese aber bis zu einen gewissem Grad mitberücksichtigen. Ein Unternehmen, das weisse Hemden garantiert, dabei aber schwarze Flüsse produziert, wird seine Ziele mehr auf die Umwelt ausrichten müssen, will es nicht Gefahr laufen, per Gesetz verboten zu werden.

Meistens haben Organisationen nicht nur ein Ziel, sondern gleich ganze Zielbündel vorrätig, die sie erreichen wollen. Üblicherweise werden solche Zielbündel nicht-operational gehalten ("Wir wollen unseren Marktanteil ausweiten"). Falls sie doch operationalisiert sind, so meistens nur in Form von Zufriedenheitsniveaus ("Wir wollen einen Marktanteil von 5% im nächsten Jahr erreichen").

1.1.3.2. Dauerhaftigkeit der Ziele

Die Ziele einer Organisation können sich ändern, jedoch dürfen sie nicht von vorneherein auf Kurzfristigkeit hin ausgelegt sein. Denn Ziele dienen dazu, die Leistung und das bestehende Herrschaftssystem langfristig zu sichern - politische Zickzack-Kurse garantieren höchstens einen Crash mit verwirrten Mitgliedern.

1.1.3.3. Mitglieder

Eine Organisation benötigt Mitglieder, die fleissig ihre Ressourcen einbringen, damit sie bestehen kann. Die Frage aber, wer nun als Mitglied einer Organisation gelten kann und wer nicht ist gar nicht so einfach zu beantworten, wie man als unbedarfter Nicht-Organisierter denken könnte. Sind es Personen

  • die Arbeitsstunden leisten (z.B. auch externe Berater)?
  • die bezahlt werden (dann fallen Freiwillige heraus)?
  • die Entscheidungen beeinflussen (z.B. auch Kunden)?
  • die über Werks-/Arbeitsverträge in die Organisation eingebunden sind?

Cyert und March (die Entscheidungstheoretiker) zählen z.B. Kunden zu den Organisationsmitgliedern dazu, schliesslich haben sie Einfluss auf das überleben der Organisation. Kieser sieht die Sache anders: Er mag es lieber etwas formaler, daher sind für ihn nur diejenigen Mitglieder einer Organisation, die über Verträge an sie gebunden sind.

Je nach Art der sozialen Gebundenheit an die Organisation unterscheidet Etzioni

  • Zwangsorganisationen (z.B. Gefängnisse)
  • Utilitaristische Organisationen (z.B. Unternehmen)
  • Normative Organisationen (z.B. Kirchen und Pfadfinder-Clubs)

Da Gefängnisse privatwirtschaftlich schwer durchsetzbar sind, interessieren wir uns hier v.a. für die utilitaristischen Organisationen, die ihren Mitgliedern eine materielle Entlohnung versprechen, um sie bei der Stange zu halten. Weil die Organisationskultur angeblich so eine tolle Sache ist - wir wenden uns ihr später noch zu -, schielen wir mit einem Auge auch nach den normativen Organisationen, bieten diese doch ein Sammelsurium von Möglichkeiten zur normativ-ideellen Beeinflussung ihrer Mitglieder.

Je nach Art der vertraglichen Gebundenheit - wir erinnern uns: Das ist A. Kiesers favorisierte Erkennungsmarke für organisatorische Mitgliedschaft - lassen sich Mitglieder unterscheiden, die

  • über Werksverträge kurzfristig für konkrete Aufgaben engagiert sind.
  • über Arbeitsverträge in ein festes Abhängigkeitsverhältniss mit der Organisation getreten sind.
  • über Kauf- oder Kreditverträge nur eine flüchtige Mitgliedschaft erlangt haben.

Welche dieser Vertragsform das Optimum für die Organisation darstellt, kann z.B. mittels einer Transaktionskostenanalysen ermittelt werden. Generell gilt: Die vertragliche Gebundenheit mit der Organisation betrifft stets nur einen Teil der Persönlichkeit eines Individuums - man kauft es also nicht mit Haut und Haaren. Es existiert aber neben der expliziten vertraglichen Mitgliedschaft auch noch eine implizite, die bestimmte Verhaltensschemata der Mitglieder ganz einfach stillschweigend erwartet, wie z.B. Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber, keine Bombenteppiche im Büro legen usw.

1.1.3.4. Formale Struktur

Die Gesamtheit aller formalen Regeln, die der Arbeitsteilung und der Koordination mittels diverser Instrumente (wie z.B. dem Hierarchie-Instrument) dienen, bezeichnen wir als formale Strukturen einer Organisation. Diese interessieren uns hier ganz besonders, hat man über sie doch die Möglichkeit, Organisationen in fast objektiver Weise untereinander vergleichen zu können.

Wir fragen uns daher: Wie kommen formalen Strukturen in einer Organisation zustande? Laut Gutenberg gibt es in ökonomischen Organisationen den Produktionsfaktor "Geschäftsleitung", der aus den Kapitaleignern und den Arbeitgebern besteht, und die Aufgabe hat, Pläne in formale Regeln umzuformen. Die Geschäftsleitung legt also - v.a. durch Arbeitsteilung und Delegation, wodurch die Stellen entstehen - die formalen Strukturen einfach fest.

Nicht immer benötigen jedoch Stellen die Formulierung von formalen Regeln. Für einige Stellen gibt es (traditionelle) Interaktionsmuster, die jeder kennt, sodass man sich hier auf die Selbstkoordinierung der Stelleninhaber verlassen kann. Der Bäcker von nebenan z.B. wird einem bestimmt keine Stellenbeschreibung seiner Tätigkeit vorlegen können.

1.1.3.5. Aktivitäten der Mitglieder

Wie wir gesehen haben, bringen Organisationsmitglieder ihr Aktivitätspotenzial nicht voll, sondern nur zum Teil in die Organisation ein. Daher ist es für das Überleben der Organisation nötig, die Aktivitäten der Mitglieder über die formalen Strukturen zum wichtigsten Steuerobjekt zu machen.

Zu beachten ist jedoch, dass einige Aktivitäten der Mitglieder sich der Kontrolle durch die formalen Strukturen entziehen und dennoch dem Organisationsziel förderlich sein können, so z.B. inoffizielle Gespräche mit dem alten Schulkumpel aus der Materialversorgung. Häufig vergessen Organisationstheoretiker diesen Sachverhalt, weil sie i.d.R. die gleiche Perspektive haben wie die Organisationsleitung, nämlich die, dass Mitglieder, die private Gespräche führen, die Firma nur Geld kosten und daher auf die Strasse gesetzt werden sollten. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft trotz dieses Manko nicht nur leistungsorientierte, sondern auch oder vor allem mitarbeiterorientierte formale Strukturen geschaffen werden.

1.1.4. Basisprobleme von Organisationen

Jede ökonomische Organisation hat zwei Basisprobleme bei ihrer Gestaltung zu bewältigen:

  1. Der Ressourcenpool muss geleitet werden.
  2. Der Ertrag muss verteilt werden.

Zwei polare Gestaltungsformen von Organisationen wären diesbezüglich z.B.:

  • Die genossenschaftlich-demokratische Organisationsform: Der Ressourcenpool wird gemeinsam geleitet und über Schlüssel werden alle am Ertrag beteiligt.
  • Die monokratisch-hierarchische Organisationsform: Der Ressourcenpool wird nur von einem geleitet und der erhält auch den ganzen Ertrag, während alle anderen dafür ein festes Einkommen beziehen.

2. Ausgewählte organisationstheoretische Ansätze

Da die Realität für den Menschen aufgrund ihrer Komplexität nur selektiv wahrnehmbar ist, stellen Theoretiker, die die Realität erklären wollen, gerne bestimmte Annahmen auf, die helfen sollen, das gewünschte Erkenntnisobjekt wie mit einem Scheinwerfer aus der Realität heraus zu leuchten. Je nach den verwendeten "Scheinwerfer-Funktionen" spricht man dann von verschiedenen Ansätzen einer Theorie.

Die Organisationstheorie kann gleich fünf solcher "Scheinwerfer-Funktionen" ihr Eigen nennen: den Bürokratie-Ansatz, den Organisationslehren-Ansatz, den Human Relations-Ansatz, den verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie-Ansatz und den Situativen Ansatz. Wir wollen nun einmal sehen, bei welchem Ansatz das Erkenntnisobjekt "Organisationsstrukturen" am hellsten hervortritt.

2.1. Bürokratie-Ansatz

Der Bürokratie-Ansatz wurde von Max Weber entwickelt. Aus seiner Perspektive ist eine Organisation eine Herrschaftsform, die das Problem hat, ihre Herrschaft gegenüber den Mitgliedern zu legitimieren. Dies gelingt ihr am ehesten in Form von Bürokratien, also formalen Strukturen in typischer Ausprägung, die wie folgt:

  • personenunabhängige Ämter zur Erfüllung bestimmt Pflichten haben.
  • Amtshierarchien besitzen, bei denen in höheren Schichten auch höher qualifizierte Mitarbeiter zu finden sind.
  • die Aufgabenerfüllung genormten Regeln folgt.
  • alle Vorgänge zu Kontrollzwecken aktenmässig sind.

Bereits Weber hatte erkannt, dass die oben aufgezeigten Merkmale ausschliesslich zum Erkennen von bürokratischen Strukturen verwendet werden können (durch ihre Schablonen-Funktion: Wenn alle Merkmale erfüllt sind, dann gilt Bürokratie, sonst keine Bürokratie). Um auch andere Organisationsformen beschreiben zu können, müssen die Weberschen Idealtypen in Variablen transformiert werden. Dies geschieht aber erst in den nachfolgenden Ansätzen.

2.2. Ansatz der Organisationslehre/Managementlehre

Der Organisationslehren-Ansatz folgt Taylor bzw. Fayol. Aus seiner Perspektive ist eine Organisation ein Aufgabenerfüllungssystem. Sie hat das Problem zu lösen, technische und ökonomische Funktionen zu finden, die Managern helfen können, Entscheidungen zu treffen. Es geht hierbei stets um die Suche nach dem "one best way", also um den einen optimalen Weg zur Lösung eines Problems. Und davon sind auch die Organisationsstrukturen betroffen.

Fayol nannte Prinzipien, die jeweils für ein Problem die richtige Lösung sein sollten. Durch Kombination der Prinzipien entwickelte er mehrere Strukturtypen wie z.B. "divisionale Organisation" oder "Projektmanagement", die für eine spezielle Aufgabenstellung über die jeweils beste Organisationsstruktur verfügen sollten. Dies entpuppte sich jedoch schon bald als utopisch.

Die Managementlehre gibt keine Auskunft darüber, wie sich Prinzipien, die ökonomisch sinnvoll erscheinen (z.B. das Einliniensystem oder das Mehrliniensystem sind die einzig wahren Konfigurationsmöglichkeiten), langfristig auf die Organisationsmitglieder auswirken. Zudem sind die von ihr entwickelten Strukturtypen zu polar ausgeprägt, d.h. sie vertreten entweder das eine Prinzip oder das andere, sind also z.B. nur einlinig oder nur mehrlinig. In der Praxis herrschen jedoch meistens Mischformen vor.

Unser Fazit: Die Managementlehre kann Organisationsstrukturen über Strukturtypen besser erklären als das Bürokratiemodell von Max Weber. Um jedoch der Praxis gerecht werden zu können, ist noch eine weitere Differenzierung der Organisationsstrukturen nötig.

2.3. Ansatz der Human Relation/Motivationstheorie

Dieser Ansatz geht auf die Hawthorne-Experimente von 1939 zurück, die aufgrund von Placebo-Effekten gezeigt haben, dass der Taylorismus, also der rein arbeitsorientierte Rationalismus, das menschliche Element zu sehr ausgrenzt. Organisationen sind Interaktionssysteme, deren Mitglieder bitteschön motiviert sein wollen, um produktiv zu sein. Die Motivation wird dabei weniger von der Organisationsstruktur bestimmt, als vielmehr vom sozialen Umfeld, den Vorgesetzten und den materiellen Anreizen, wie dies empirische Labortests bewiesen haben.

Daraus folgt für uns, dass dieser Ansatz zur Analyse von Organisationsstrukturen ebenfalls wenig geeignet ist. Er gibt uns aber über seine neuartigen, aus der Psychologie entnommen Methoden ein Instrumentarium an die Hand, mit dessen Hilfe die Zufriedenheit der Mitarbeiter gemessen werden kann. Ausserdem führt er neue Koordinationsbegriffe, die die formalen Strukturen betreffen, wie z.B. "Selbstabstimmung" und "Entscheidungspartizipation nachgeordneter Stellen" ein, die darauf hindeuten, dass die Organisationsmitglieder in Zukunft verstärkt an der Strukturgestaltung beteiligt werden sollten (auch wenn dabei den Mitarbeiterbedürfnissen nicht so viel Gewicht beigemessen werden darf, dass die Organisation zum Freizeitpark wird).

2.4. Ansatz der verhaltenswissenschaftlichen Entscheidungstheorie

Innerhalb dieses Ansatzes - das Tummelfeld von Barnard (1919), Simon, Cyert, March, Olsen und Kirsch - gelten Organisationen als Entscheidungssysteme, die einer möglichst rationalen Koordination bedürfen. Es wird hier v.a. die Relation zwischen den Mitgliedern und der Organisationsstruktur betrachtet. Anders als der Human Relations-Ansatz, der die Struktur den Mitgliedern anpassen will, fragt der Entscheidungstheorie-Ansatz wesentlich aggressiver: "Wie erzeuge ich rationales Handeln?" Und: "Wie bringe ich Mitglieder dazu, die Koordination zu akzeptieren?"

Alle Antworten, die darauf bisher gegeben werden konnten, müssen jedoch als wissenschaftlich wenig fundiert angesehen werden, denn sie wurden nie empirisch überprüft. Die Entscheidungstheorie sagt ausserdem auch nichts darüber aus, mit welchem Verhalten bei welcher Organisationsstruktur zu rechnen ist. Daraus folgt: Auch dieser Ansatz hilft uns nicht weiter bei der Analyse gegebener Organisationsstrukturen. Bleibt nur der Situative Ansatz übrig - hoffentlich haben wir da mehr Glück.

3. Der Situative Ansatz

Der Situative Ansatz wurde von Staehle 1973 (also relativ spät) in die deutsche Literatur eingeführt. Ursprünglich beinhaltete er nur die Behauptung, dass die Organisationsstrukturen abhängig von der Situation sind, in der sich eine Organisation befindet. Heute ist er zusätzlich verschmolzen mit der vergleichenden Organisationsforschung, die mittels empirisch-quantitativen Methoden bestimmen will, wie welche Dimensionen der Situation welche Dimensionen der Organisationsstrukturen beeinflussen können. Es gibt diesbezüglich vier verschiedene Situationsdimensionen:

  • Die Fertigungstechnologie (Woodward, 1953) oder - erweitert nach Litwak - jegliche Technologie, die hilft, die Aufgaben zu erfüllen.
  • Die Organisationsgrösse ([Weber], Caplow, 1956).
  • Die statische/dynamische Umwelt (Burns und Stalker, 1961).
  • Die Bedürfnisstruktur der Mitglieder (Child, 1970).

Jede Schule kann mittels "ihrer" Situationsdimension Plausibilitätserklärungen für die vorgefundenen Unterschiede in den Organisationsstrukturen liefern, so z.B. für die Gegensätze zwischen einem Finanzamt (Spezialisierung hoch, Gliederungstiefe hoch, Programmierung hoch, Delegation hoch, Formalisierung hoch) und einer Werbeagentur (genaues strukturelles Gegenteil vom Finanzamt): Im Finanzamt sind Standards erwünscht, denn es ist gross und unterliegt einer statischen Umwelt oder seine Mitglieder suchen Absicherung. Die Werbeagentur dagegen vermeidet Standards, denn sie ist klein und bearbeitet dynamische Märkte, oder aber sie verfügt über Mitglieder, die einen Bewegungsfreiheitswunsch hegen.

Bei der Entwicklung des Situativen Ansatzes fand im zunehmenden Masse eine Relativierung des Bürokratie-Modells Webers statt, von dem ursprünglich alle ausgegangen waren. 1967 forderten schliesslich Lawrence und Lorsch, statt der Prinzipien und Strukturtypen empirisch erhobene Dimensionen von Organisationsstrukturen zur Beschreibung derselben zu verwenden. Typen hätten zwar didaktischen Wert, z.B. für einen schnellen Eindruck, jedoch seien sie insgesamt zu unflexibel, um der Realität gerecht zu werden - Zwischentypen wären hier zwar theoretisch denkbar, doch würde deren nötige Quantität schon bald den didaktischen Vorteil ins Gegenteil verkehren.

Erst 1969 sorgte der Psychologe Pugh zusammen mit der Aston-Gruppe dafür, dass die Situation und die Organisationsstruktur als mehrdimensional definiert wurden und sich der multivariate gegenüber dem monovariaten Ansatz durchsetzte. Dies bedeutete aufgrund der Relativität der Situationsfaktoren auch, dass statt einfacher Plausibilitätserklärungen umfangreiche empirische Untersuchungen nötig (und möglich) wurden.

3.1. Varianten des Situativen Ansatzes

Obwohl die Organisationssoziologie und die Managementlehre sich mehr und mehr dem situativen Denken zuwenden und die dabei die gleichen Erhebungsmethoden verwenden, verschmelzen sie dennoch nicht zu einer Einheit, denn die empirischen Befunde werden aufgrund der verschiedenen Zielsetzungen der beiden Disziplinen unterschiedlich interpretiert.

Nach Grochla gibt es dadurch zwei Varianten des Situativen Ansatzes, die jeweils unterschiedlichen Zielsetzungen haben, nämlich den analytischen und den praktischen Situativen Ansatz.

3.1.1. Die analytische Variante des Situativen Ansatz

Diese (organisationssoziologische) Variante will Erklärungen für empirische Befunde liefern und Warum-Fragen beantworten (z.B. "Warum ist die Struktur bei dieser Situation so und nicht anders?"). Sie geht davon aus, dass die Dimensionen der Situation anzunehmen sind, die eine Erklärung für die empirisch festgestellten Organisationsstrukturen liefern können. Seit einiger Zeit wird zudem untersucht, inwieweit die Situation und die Organisationsstruktur auf das Verhalten und die Effizienz der Organisation einwirken.

Fundierte Begründungen für empirische Befunde, wie sie die positivistische Wissenschaftstheorie für Theorie vorschreibt, kann die analytische Variante des Situativen Ansatz nicht liefern. Bestenfalls kann sie Korrelationen aufzeigen, und Plausibilitäten, Vernunftgründe und Pseudoerklärungen abliefern.

3.1.2. Die pragmatische Variante des Situativen Ansatz

Diese (Managementlehre-behaftete) Variante will Gestaltungsempfehlungen für die Organisationsstrukturen liefern und Wie-Fragen beantworten, also normativ den Fit vorgeben, wobei die Situation einschränkend wirkt (z.B. "Wie gestalte ich die Koordination, wenn eine dynamische Umweltsituation vorliegt?"). Sie berücksichtigt, dass die Situation genauso wie die Struktur auf das Verhalten der Mitglieder wirkt (das dies so ist, sieht man daran, dass dynamische Marktgegebenheiten schon so manchen gestressten Arbeitnehmer nach einem neuen Job haben suchen lassen).

Die pragmatische Variante setzt sich über alle methodischen Mängel des Situativen Ansatzes hinweg (z.B. dass die erhobenen Stichproben bisher meist zu klein waren) und formuliert für Manager - ohne eine fundierte Basis, sondern nur ungeprüfte Korrelationen zu haben - Gestaltungsempfehlungen für die Organisationsstrukturen. Eine Konzentration auf die theoretische Variante scheint uns daher sinnvoller zu sein, werden hier doch wenigstens Korrelationen in empirischen Befunden gesucht, gefunden und interpretiert.

3.2. Ziele des Situativen Ansatzes und der Determinismusvorwurf

Hauptziel des Situativen Ansatzes ist es, Unterschiede zwischen formalen Organisationsstrukturen durch Unterschiede in ihrer Situation zu erklären und daraus Orientierungshilfen abzuleiten für die praktische Organisationsgestaltung. Die Leistung des Situativen Ansatzes hängt dabei v.a. von dem konzeptionellen und methodischen Vorgehen ab.

Oben sprachen wir vom multivariaten Ansatz und nicht etwa vom multikausalen, denn dies würde implizit bedeuten, dass die Situation die Struktur determiniert, was Kritiker auch häufig am Situativen Ansatz als falsche Annahme bemängeln. Tatsächlich möchte der Situative Ansatz aber keine Sachzwänge, sondern vielmehr Gestaltungsspielräume für die Vorstandsmitglieder aufzeigen, die diese z.B. bei der nächsten Klausurtagung nutzen können, um die Organisationsstrukturen zu ändern. Mit anderen Worten: Nicht die Situation bestimmt die Strukturen, sondern die Gestalter.

Gegen einen Determinismus sprechen weiter die Argumente:

  • Organisationen werden i.d.R. nicht aus der Situation heraus geboren, sondern in diese mit bestimmten Strukturen hineingesetzt. Trotzdem überleben sie recht häufig.
  • Organisationen können bis auf die vergangenheitsbezogenen Dimensionen (z.B. Alter der Organisation und Art der Gründung) die Umwelt beeinflussen, sind ihr also nicht hilflos ausgeliefert.
  • Formale Strukturen entstehen durch die Gestalter, die persönliche Präferenzen haben, die unabhängig von der Situation gebildet wurden, in der sich die Organisation im Entscheidungsmoment befindet.

3.3. Interpretation der Ergebnisse des Situativen Ansatzes

Der Determinismusvorwurf im Bezug auf den Situativen Ansatz konnte im vorherigen Abschnitt entkräftet werden. Damit soll ihm aber auch keine Willkür unterstellt werden. Seine empirischen Analysen (in Form statistischer Korrelationen zur Feststellung der Relativität der einzelnen Dimensionen) geben Auskunft darüber, in welchem Ausmass Merkmalsausprägungen zusammenfallen. Die sind dann vom Forscher inhaltlich so zu interpretieren, dass sie die Zusammenhänge zwischen den Struktur- und Situationsdimensionen aufzeigen. Dazu muss der Forscher jedoch seine eigene Perspektive darlegen, also klar machen, was er glaubt, welche inhaltlichen Mechanismen das Ergebnis begründen können. Wir unterscheiden dazu vier verschieden theoretische Vorstellungen:

  1. Der Forscher glaubt v.a. an die Umweltbeeinflussung (wie die evolutionstheoretischen Ansätze) und deutet die empirischen Befunde nach dem Funktionalismus. D.h., er versucht in zurückschauender Weise verständlich zu machen, warum die Entscheider - beeinflusst von den situativen Gegebenheiten - die Organisationsstruktur meisten so und nicht anders gestaltet haben. Prognosen für eine beste Struktur in einer bestimmten Situation sind daraus aber nicht ableitbar, weil mehrere Alternativen zur Verfügung stehen.
  2. Der Forscher glaubt v.a. an die Umweltbeeinflussung (wie die evolutionstheoretischen Ansätze) und findet in den empirischen Befunden einen Quasi-Determinismus bewiesen. D.h., er will "beweisen", dass die Entscheider - beeinflusst von den situativen Gegebenheiten - die Organisationsstruktur so und nicht anders gestaltet mussten, um überlebensfähig zu bleiben. Die erkannten Anpassungsmuster können dann für Prognosen verwendet werden.
  3. Der Forscher glaubt v.a. an die Beeinflussung durch die Gestalter (wie die Managementlehre) und deutet die empirischen Befunde nach dem Zweckrationalismus. D.h., er versucht in zurückschauender Weise verständlich zu machen, warum die Entscheider - beeinflusst u.a. von Macht, Zielen und begrenzter Rationalität - in der oder der Situation die Organisationsstruktur meisten so und nicht anders gestaltet haben. Prognosen sind daraus aber nicht ableitbar.
  4. Der Forscher glaubt v.a. an die Beeinflussung durch die Gestalter (wie die Managementlehre) und findet in den empirischen Befunden Regelmässigkeiten bewiesen. D.h., er will "beweisen", dass die Entscheider - beeinflusst u.a. von Macht, Zielen und begrenzter Rationalität - in der oder der Situation die Organisationsstruktur so und nicht anders gestalten mussten, um überlebensfähig zu bleiben. Der erkannte Orientierungsrahmen, den die Situation dabei vorgibt, kann für Prognosen verwendet werden.

Wir wollen uns der Position (4) anschliessen. Die Entscheidungen der Gestalter haben demnach erhebliche Bedeutung für die Organisationsstruktur. Warum untersucht man dann eigentlich nicht gleich direkt, wie die Entscheidungen der Gestalter zustande kamen, denn letztlich will der Situative Ansatz den Gestaltern doch gerade diese Entscheidungen nennen können? Doch nach Kieser ist die Organisationsstruktur-Betrachtung besser, denn:

  • Die Ergebnisse der Gestalter-Entscheidungen (also die Organisationsstrukturen) sind wesentlich einfacher zu untersuchen als die Entscheidungen selbst. Organisationsstrukturen sind das Ergebnis vieler Entscheidungen, die im Einzelnen nicht mehr nachvollzogen werden können.
  • Gestalter treffen Entscheidungen oft eher aufgrund ihrer Erfahrungen und/oder Präferenz, als dass sie dabei explizit die Situation beachten. Wir wollen aber erklären, welche Entscheidungen bei welcher Situation sinnvoll sind, und nicht, welche persönlichen Präferenzen bei den meisten Gestaltern dominieren.

3.4. Kritik am Situativen Ansatz

Der Situative Ansatz ist weit verbreitet. Daher wird er natürlich auch kritisiert. Und das ist gut so, garantiert doch nur Kritik einen wissenschaftlichen Fortschritt. Zwei Kritikformen werden im Folgenden dargelegt.

3.4.1. Endogene Kritik

Die endogene Kritik bedeutet eine Kritik im Detail. In unserem Fall heisst das, den Methoden des Situativen Ansatzes wird zwar prinzipiell zugestimmt, sie müssten nur erweitert bzw. verfeinert werden. Im Einzelnen:

  • Einige Strukturmerkmale bzw. Situationen werden nicht erfasst (die Selbstabstimmung, die Entscheidungspartizipation und die Informationstechnik kommen z.B. eindeutig zu kurz und müssen noch stärker herausgearbeitet werden).
  • Die empirischen Masse sind unzuverlässig bzw. nicht vergleichbar (sie werden nicht nach den Massstäben der Sozialforschung überprüft).
  • Die statistischen Verfahren sind nicht angemessen (es wird mittels Korrelationsanalysen immer nur ein linearer Zusammenhang gemessen, obwohl durchaus auch ein anderer bestehen könnte).
  • Die Stichproben sind nicht repräsentativ bzw. vergleichbar (Struktur der Grundgesamtheit ist meistens nicht bekannt; die Interview-Beteiligungsquote ist wegen des Aufwands meist viel zu klein).
  • Bei der Interpretation der empirischen Befunde wird häufig nicht die eigene Perspektive des Forschers dargestellt.

3.4.2. Exogene Kritik

Die exogene Kritik bedeutet eine fundamentale Kritik. In unserem Fall heisst das, die Annahmen und Methoden des Situativen Ansatzes werden infrage gestellt. Im Einzelnen:

  • Methodologie: Der Situative Ansatz muss sich den Vorwurf der Theorielosigkeit gefallen lassen: Er liefert nur Tendenzaussagen mit Pseudo-Erklärungen, kein Modell der Realität mit echten Gesetzen. Der Situative Ansatz beachtet historisch-gesellschaftliche Aspekte nicht (manche Strukturen sind gewachsen und daher vorherrschend, obwohl sie inzwischen effektiver gestaltbar wären), seine Annahmen produzieren Ideologien (z.B. ist die Rationalitätsannahme falsch, weil die Macht nur wenig berücksichtigt wurde). Zudem wird nur die Perspektive des Managements berücksichtigt.
  • Inhalt: Ziele und Macht werden beim Situativen Ansatz vernachlässigt. Die Dominanz der Situation über die Organisationsstrukturen ist zu einseitig (denn wie erwähnt kann auch die Organisation die Umwelt beeinflussen).
  • Politik: Der Situative Ansatz erfasst nur das Durchschnittliche und das Gegebenen, daher vernachlässigt er die zukunftsweisenden Einzelfälle (Strukturinnovationen treten vermutlich nie gleich in solchen Massen auf, dass der Situative Ansatz sie gebührend respektiert).

3.5. Erweiterung des Situativen Ansatzes

Üblicherweise versuchen die Situativer Ansatz-Erweiterungen die quasi-mechanistische Wirkung der Situation auf die Strukturen zu überwinden, in dem sie zeigen, dass er den Gestalter bzw. die Unternehmenspolitik Wahlmöglichkeiten einräumt.

3.5.1. Personalistische Modelle

Bei dieser Erweiterung des Situativen Ansatzes werden verstärkt die Ziele der Gestalter betrachtet und deren Position zwischen der Situation und den Organisationsstrukturen. Die Ziele werden von den Werten der Gestalter beeinflusst, die geprägt werden von Erfahrungen, Literaturwissen, der persönlichen Managementphilosophie, und nicht generalisierbar sind durch gesellschaftliche bzw. ökonomische Strömungen (z.B. Taylorismus oder Human Relation), woraus also eine fast beliebige Wahlfreiheit folgt. Zeugnisse dafür sind:

  • Strukturwandel wie Diversifikation sind häufig keine Notwendigkeit, sondern nur Folge von Führerwechsel bzw. Modeerscheinung. Typischer Modefall z.B.: Divisionalisierung, obwohl keine Diversifikation stattgefunden hat.
  • Auf eine dynamische Umwelt reagieren Manager häufig gegen den Situativen Ansatz-Vorschlag mit mechanistischen Massnahmen (um die Dynamik in den Würgegriff zu bekommen).

3.5.2. Unternehmenspolitische Modelle

Bei dieser Erweiterung des Situativen Ansatzes werden unternehmenspolitische Strategien der Gestalter betrachtet und deren Position zwischen Struktur und Situation. Wie Chandler glaubt, dient die Struktur nur der Implementierung der Strategie, die direkt an die Situation angepasst wird. Diese "Structure follows Strategy"-Annahme ist sicher zu einseitig, um richtig zu sein, denn die Strategie wird häufig auch von den Strukturen beeinflusst (z.B. nehmen die Marketingstrategien sicher auf eventuell vorhanden Produktmanagement-Strukturen Rücksicht).

Das Konzept der strategischen Wahl nach John Child (1972) besagt dagegen, dass die Gestalter zwar durch die Umwelt beeinflusst werden, dass diese aber über ihrer Ziele rationale Strategien entwickeln können, die die Struktur bestimmen, die der Umwelt angepasst sind. Diese Freiheit ist jedoch nur bei der Unternehmensgründung gegeben. Und selbst da ist die Rationalität der Wahl der Strategie aufgrund verschiedener Machteinflüsse zu bezweifeln.

4. Programme der vergleichende Organisationsforschung

Wie Lorsch feststelle, muss von den Organisationsgestaltern eigentlich ein doppelter Fit erstellt werden, nämlich einmal zwischen der Situation und den Organisationsstrukturen und zum anderen zwischen den Organisationsstrukturen und dem Mitgliederverhalten, da die Situation sich aus objektiven wie subjektiven Dimensionen zusammensetzt, die nicht vermischt werden sollten. Die Programme der vergleichenden Organisationsforschung als integrierter Bestandteil des Situativen Ansatzes berücksichtigen dies. Sie wollen daher:

  1. operationalisierte Konzeptionen der Organisationsstruktur erstellen, um sie untereinander vergleichbar zu machen.
  2. operationalisierte Konzeptionen der Situation erstellen, die dann (Pseudo-)Erklärungen für die Unterschiede liefern können.
  3. operationalisierte Konzeptionen des individuellen Verhaltens bzw. der Organisationseffizienz erstellen in Abhängigkeit von den situativen Faktoren und der Organisationsstruktur.
  4. danach irgendwann vielleicht eine Theorie bilden über die Relation Situation zu Struktur bzw. die Relation Situation und Struktur zu Verhalten und Effizienz.

4.1. Operationalisierte Konzeptionen der Organisationsstruktur

Konzeptualisierung bedeutet aus einem komplexen Bereich vorsichtig (!) die relevanten Strukturdimensionen zu bestimmen und damit einen Merkmalraum zu schaffen, der durch die Operationalisierung eine Durchrasterung erfährt, die eine Vergleichbarkeit der Organisationsstrukturen gewährleistet.

4.1.1. Die relevanten Strukturdimensionen

Anknüpfend an die Managementlehre und dem Bürokratiemodell Webers lassen sich fünf Hauptstrukturdimensionen erkennen, die den Merkmalsraum aufspannen.

4.1.1.1. Spezialisierungsdimension (Arbeitsteilung)

Liegt dann vor, wenn mehrere Arbeitnehmer dauerhaft unterschiedliche Arbeit verrichten. Generell kann gesagt werden, dass eine Steigerung des Spezialisierungsgrades mit verstärkter Koordination verbunden ist. Viele Köche wollen eben koordiniert sein, sonst verdirbt der Brei.

4.1.1.1.1. Stellenbildung

Je nachdem, ob ein Aufgabenbereich fest umrissen werden kann und das Ausbildungssystem dies berücksichtigt, entstehen durch die Spezialisierung Stellen. I.d.R. sind solche Stellen mit einer Dequalifizierung der Arbeit verbunden, können aber im Fall der Professionalisierung auch genau das Gegenteil bedeuten (d.h., ein Fliessbandarbeiter braucht kein helles Köpfchen, ein Firmenjurist aber schon, obwohl beide ein relativ enges Arbeitsfeld haben). Stellen, die anderen Stellen übergeordnet werden, heissen Instanzen.

Bereits Adam Smith wusste 1776, dass wenige Alles, viele aber Weniges können, was sich zu einem Ganzen ergänzen lässt. Die im Zusammenhang mit der Stellenbildung üblicherweise genannten Vorteile sind jedoch kritisch zu prüfen: Einfache Arbeit bedeutet nicht nur hohe Geschicklichkeit, sondern auch Fluktuation der Arbeitskräfte. Sie muss u.U. wegen ihres Magengels an Attraktivität teurer entlohnt werden. Oft geht bei hoher Arbeitsteilung die Eigenverantwortung flöten ("Das wird schon jemand anderes machen"), sodass z.B. ein Heer von Kontrolleuren nötig wird, um die dadurch verursachten Mängel wieder zu beseitigen. Vorteilhaft an spezialisierten Stellen sind aber sicher deren eindeutige Verantwortungsbereiche - das macht es dem Chef leichter, einen Schuldigen zu finden, wenn etwas nicht geklappt hat.

4.1.1.1.2. Abteilungsbildung

Abteilungsbildung bedeutet die Schaffung von Instanzen über mehrere Stellen, die zu einer organisatorischen Einheit zusammengefasst werden. Zweck: Entlastung der Instanzen und die Vereinfachung der Abstimmung der Stellen, da nun ein gemeinsamer Verantwortungsbereich vorliegt. Die Folgen der Abteilungsbildung sind immer Hierarchien - nicht nur Personen-, sondern auch Aufgaben- oder Stellenhierarchien. Das hat Folgen für die Strategiebildung der Gestalter.

Abteilungen werden gebildet nach:

  • der Verrichtung
  • den Objekten
  • den Regionen bzw. Kundengruppen

Dies soll die abteilungsübergreifende Koordination möglichst gering halten. Andere Arten der Abteilungsbildung haben sich meist als wenig vielversprechend erwiesen, so z.B. Thompson Idee, wegen der knappen Ressourcen die Stellen mit reziproken Interdependenzen eher zu Abteilungen zusammenzufassen, als die mit sequenziellen oder gepoolten Interdependenzen.

4.1.1.2. Koordination-Dimension

Durch die Koordination werden die Aktivitäten der Mitglieder auf die Organisationsziele ausgerichtet. In der Praxis findet man selten eine demokratische Koordination vor, obwohl diese durch eine Stellenhierarchie theoretisch möglich wäre. Grund: Diese Koordination in Reinform ist zu zeitintensiv, daher werden Delegiertengruppen gebildet. Aber: Die Delegierten arbeiten weniger, die Gleichheit ist verletzt - sie werden daher abwählbar gemacht. Aber: Nach Michels (1925) ehernem Gesetz der Oligarchie wandeln die Delegierten die Demokratie früher oder später zur Oligarchie, um sich so ihre Macht zu erhalten. Ein weiteres Problem demokratischer Koordination ist: Meist hat jemand nur Qualitäten zur Koordination oder ausführenden Arbeit, selten für beides. Einige Manager können z.B. Unternehmen von über 1000 Mann "Besatzung" führen, versagen aber, wenn sie mit ihren eigenen Händen eine Sandburg bauen sollen.

Die Koordination erfolgt entweder als vorausschauende Abstimmung (Vorab-Koordination) oder als Reaktion auf Störungen (Feedback-Koordination). Vorab-Koordination kann zwar alleine funktionieren und macht den Misserfolg zum Irrtum, muss aber im Gegensatz zur Feedback-Koordination nicht unbedingt sein.

Die Koordinationsinstrumente sind entweder technokratischer Natur (Pläne, Programme, Einsatz nur bei Vorab-Koordination möglich) oder personenorientierter Natur (persönliche Weisung, Selbstabstimmung, Einsatz bei Voraus- und Feedback-Koordination möglich).

4.1.1.2.1. Persönliches Weisungsinstrument

Hat den Vorteil, flexibel und auf einfache Weise schriftlich bzw. mündlich realisierbar zu sein ("Hey, du, räume das Mal weg!"). Hat aber den Nachteil, die Konsequenzen meist nicht richtig abzuschätzen zu können, feste Kompetenzbereiche (wer wem was sagen darf) zu benötigen und Instanzen zu überlasten. Den berühmten Sack Flöhe von Schülern zu hüten, hat so schon einige Direktoren die Stimme gekostet.

4.1.1.2.2. Selbstabstimmungsinstrument

Die Selbstabstimmung ist ein Geschenk des Human Relations-Ansatzes für die Mitglieder der Organisation. Unterschieden werden bei ihr zu Entscheidungsfindung:

  • die fallweise Interaktion: Die Stelleninhaber entscheiden nach eigenem Ermessen, wann sie sich selbst abstimmen.
  • die themenspezifische Interaktion: Bei bestimmten Problemen müssen sich die Stelleninhaber selbst abstimmten.
  • institutionalisierte Interaktion: Es gibt dauerhafte Gremien, über die sich gleichgestellte Stelleninhaber regelmässig untereinander abstimmen.

Vorteilhaft ist bei der Selbstabstimmung v.a. der Demokratisierungseffekt. Nachteilig ist dagegen die Zeit-Intensität dieses Koordinationsinstruments. Es gilt auf jeden Fall: Hierarchien und Spezialisierung können durch die Selbstabstimmung nicht völlig ersetzt werden.

4.1.1.2.3. Programmierungsinstrument

Bedeutet erlernte oder vorgeschriebene Verfahrensrichtlinien einhalten. Unterscheidet sich nach schriftlich bzw. mündlichen Vorgaben, Detaillierungsgrad und Flexibilität. Reduziert Unsicherheit und Koordination zwischen Abteilungen, benötigt keine Einsicht des Arbeiters (tatsächlich würde diese sogar stören, wie man bei der Bundeswehr immer wieder zu hören bekommt), funktioniert als einziges Instrument der Koordination aber nur bei standardisierten Aufgaben in einer statischen Umwelt. Kritisch muss auch angemerkt werden, dass das reine Vorschriftenhandeln selten effektiv ist - sogar bei der Bundeswehr nicht. Wenn ich mich wie dort vorgesehen an die Vorschrift halte, erst bei einer Wasserhöhe von 1,5 m selbstständig Schwimmbewegungen auszuführen, bin ich längst ertrunken, falls ich nur 1,4 m gross bin. Auch gestattet es die Programmierung nicht, auf eine Feedback-Koordination zu verzichten - bei jeder Störung darf sich dann der Meister freuen, denn da darf er wieder persönlich Weisen.

4.1.1.2.4. Planungsinstrument

Durch die Planung werden Entscheidungen getroffen, die in die Zukunft hineinwirken. Wir lassen die Einschränkung gelten, dass nur dann Planung vorliegt, falls die Planung nicht vom Plan-Ausführenden selbst stammt - wer seine Arbeit selbst plant, nimmt keine Planung, sondern Selbstkoordination vor. Die Planung wird von Ebene zu Ebene konkretisiert: Am Anfang ist sie strategisch, dann administrativ, dann operational.

Pläne sind von Programmen folgendermassen abzugrenzen: Pläne sind im Gegensatz zu Programmen nur periodendauerhaft, sie enthalten nicht ausschliesslich Verfahren, sondern auch Ziele, und Pläne können durch Programme erstellt werden. Es gilt: Die Programmierung von Plänen ist besser als die reine Planung, da bei der Plan-Programmierung die Pläne zuvor an Experten delegiert wurden.

4.1.1.2.5. Reduktion

Möglichkeiten zur Reduktion der Koordination sind:

  • Abteilungen bilden und dadurch Instanzen schaffen, die alleine der Koordination dienen.
  • Schaffung von Puffern oder flexibler Ressourcen.
  • Management by Exceptions (Frese, 1969), d.h. Schwellengrenzen setzen und nur bei Nichterreichung dieser aktiv werden.
  • Gesamtergebniserwartungen zurückschrauben.
  • Einsatz von nicht-struktureller Koordination.
4.1.1.2.6. Nicht-strukturelle Koordination durch organisationsinterne Märkte

Organisationsinterne Märkte erreicht man durch Schaffung eines internen Verrechnungspreises für die jeweiligen Outputs der Abteilungen. Dies funktioniert nur mit Profitcenter, setzt also eine divisionale Organisation voraus. Statt des Kooperationsgedankens der strukturellen Koordination wird hier der Gedanke der Konkurrenz gesponnen - Korruption, Messerkämpfe auf dem Gang zwischen Abteilungsleitern, und Entführungen von Ressourcenverwalter bleiben da selten lange aus.

4.1.1.2.7. Nicht-strukturelle Koordination durch Organisationskultur

V.a. durch Peters und Waterman (1983) ist die Ansicht bekannt gemacht worden, dass die gemeinsame Überzeugung die Aktivitäten der Mitglieder auch ohne Vorgaben koordiniert. Die Mittel dazu: Management by Wandering Around, Unternehmensphilosophie (laut Ulrich), transformationale Führung (das ist die ständige Erinnerung an einen angeblich höheren Sinn einer Handlung durch einen Manager), Rituale wie das HP-Frühstück (lecker!) und Helden ("Der IBM-Gründer war nichts, hatte nichts, konnte nichts - und trotzdem schuf er all das hier"). Die Koordinationswirkung der Organisationskultur beruht v.a. auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitglieder.

Laut Wilkins und Ouchi eignet sich die Organisationskultur in dynamischen Umwelten zur Koordination besser als die strukturelle Koordination. Allerdings wird sie von der Neuen Linken auch als Kontrollideologie der Kapitaleigner kritisiert, die die Realität verschleiert (der Chef bleibt ja der Chef, auch wenn er das nicht mit jedem Satz verdeutlicht). Zudem kann sie Mitglieder und Organisation in ihrer späteren Anpassungsfähigkeit auch beeinträchtigen (einmal Laissez-faire geschmeckt und jede Disziplin ist zum Teufel).

4.1.1.2.8. Nicht-strukturelle Koordination durch Schaffung von Standard-Rollen

Hier wird das Taking Role-Prinzip wirksam, d.h. jeder kennt die Rolle des anderen und agiert bzw. reagiert in einer Weise, die dessen Erwartungen entsprechen. Z.B. funktioniert ein Arzt unabhängig von Situation und Struktur überall gleich gut (natürlich nur, sofern er auch sonst gut ist).

4.1.1.3. Konfigurationsdimension (Leitungssystem)

Beschreibt nach Pugh die äussere Form des Stellengefüges und hat besonders die Weisungsverflechtungen im Auge. Nach der derzeitigen Lean-Tendenz sollte die Konfiguration möglichst dünn ausfallen (z.B. durch Koordinationsreduktion und Zero-Budgeting, um überflüssige Gemeinschaftskostenstellen einzusparen und dem mittleren Management den Abschied zu erleichtern).

4.1.1.3.1. Einlinien- und Mehrliniensysteme

Das Einliniensystem nach Fayol (1919) hat pro Abteilung nur eine Instanz vorgesehen, was klare Verantwortungsbereiche schafft. Allerdings muss durch Fayolsche Brücken (d.h. durch eine direkte Abstimmung) auch meistens eine Überlastung der Instanz verhindert werden.

Das Mehrliniensystem basiert auf Taylors Funktionsmeister-Prinzip, bei dem die Kompetenzen mehrerer Entscheider pro Stelle ausgenutzt werden. Allerdings ergeben sich daraus auch oft Kompetenzstreitigkeiten (denn merke: Zwei Hähne im Hühnerstall sind einer zu viel).

4.1.1.3.2. Linien- und Stabsstellen

Linienstellen sind ausführende Stellen oder Instanzen, Stabsstellen sind - wenigstens im deutschen Sprachraum - unterstützende Stellen. Letztere eingeschränkte Bedeutung von Stäben wirft Probleme auf, da Stabsstellen in der Praxis häufig auch selbst produktiv sind, indem sie z.B. Software, Papierflieger und leere Sprachhülsen u.ä. herstellen. Sie sind als Ersatz für die Mehrliniensysteme anzusehen. Leider leiden sie meistens an massiven Frustrationsgefühlen ("Warum muss uns niemand gehorchen?") und neigen daher zu Ergebnis-Manipulationen, um sich mehr Arbeit und damit mehr Macht zu verschaffen.

4.1.1.3.3. Projekt- und Produktmanagement (Matrixorganisation)

Projektmanagement beinhaltet eine institutionelle Selbstabstimmung auf Zeit und eventuell sogar die Schaffung einer eigenen Manager-Stelle (z.B. wenn ein "geleanter" Manager nicht freiwillig gehen will, kann er sich hier austoben). Je nach Weisungsbefugnissen muss zwischen Einfluss-, Matrix- und reinem Projektmanagement unterschieden werden. Projektmanagements entstehen häufig aus Stäben, denen Weisungsbefugnisse erteilt wurden.

Matrixprojekte müssen nach Kieser über Funktionsdiagramme vorher klären, wer welche Entscheidungen treffen darf, damit sie nicht in allzu grosse Kompetenz-Streitigkeiten ausbrechen (die man früher gerade anstrebte, denn: Nur der Starke sollte überleben können). Sie sind dennoch eine haarige Sache und besser zu vermeiden. Obwohl es heisst, dass sie bei BASF und ABB in Form von Produktmanagement erfolgreich waren.

Das Produktmanagement kommt hauptsächlich in funktionalen Organisationen zustande, da dort niemand alleine die Verantwortung für ein bestimmtes Produkt trägt, man aber gerne einen Verantwortungsträger als potenziellen Sündenbock haben will. Meist sind sie der erste Schritt in Richtung Divisionalisierung. Eine institutionelle Selbstabstimmung, d.h. ein dauerhaftes Recht auf Mündigkeit gegenüber Papa Vorgesetztem, findet nur bei Einsatz von Produktkomitees statt, die den Sachverstand durch die vielen Hirne ihrer Mitglieder ballen und dadurch die tollsten Produktstrategien entwerfen könnten, die aber wegen des allgegenwärtigen Abteilungsegoismus meist ein Training der Mitglieder, einen guten Moderator und eine angemessene Eingewöhnungszeit verlangen, in der - vermutlich idealisierten - Hoffnung, dass sich danach etwas bessern könnte im täglichen Miteinander der lieben Kollegen.

Als besondere Form des Produktmanagements gibt es ausserdem das noch speziellere Kundengruppenmanagement bzw. Key Account-Management; hier hält der Manager v.a. den Kontakt zu den Kunden aufrecht, indem er sie z.B. in hartnäckiger Inspektor Columbo-Manier immer wieder anruft oder gleich persönlich bei ihnen vorbeischaut, um ihnen den neuesten Katalog unter die Nase zu halten.

4.1.1.3.4. Gliederungstiefe, Leitungsspanne und Stellenrelation

Die Gliederungstiefe ist nach Psychologe Pugh die Anzahl der hierarchischen Ebenen (auch vertikale Spanne genannt).

Die Leitungsspanne gibt dagegen die Anzahl der einer Instanz untergeordneten Stellen wieder. Es gilt: Sie ist hoch, wenn die Gliederungstiefe klein ist oder wenn technokratische Koordination eingesetzt wird oder wenn die Abteilungen interne Homogenität aufweisen. Problematisch bei dieser Konfigurationsgrösse ist, dass sie stets vom Einliniensystem nach Fayol ausgeht (was aber nicht weiter schlimm ist, denn Taylors Funktionsmeisterprinzip hat nie grossen Anklang gefunden - Manager teilen sich nun einmal ihre Macht nicht gerne mit anderen).

Die Stellenrelation beschreibt das Verhältnis der ausführenden Stellen zu den Instanzen. Hiermit lässt sich u.a. das Parkinsonsche "Gesetz" aufzeigen: Die Verwaltungsstellen wachsen so schnell in den Himmel, dass die ausführenden Stellen gar nicht mehr nachkommen. Ehe sich ein Arbeiter versieht, kann ihm so eine ganze Horde von Verwaltungsbeamten das Leben schwer(er) machen.

4.1.1.4. Entscheidungsdelegation-Dimension (Kompetenzverteilung)

Diese Dimension beschreibt die Verteilung der Entscheidungsbefugnisse vom Umfang her, oder ist nach Simon mit der Dezentralisation von Entscheidungen gleichzusetzen. Im Gegensatz zu den Weisungsbefugnissen der Konfiguration (die nach innen wirken und also die eigenen Kollegen wütend schnauben lassen) werden hier zusätzlich die Verantwortungsbereiche und die Vertretungsbefugnisse (die nach aussen wirken und also wildfremde Menschen gierig hecheln lassen) diskutiert.

Delegation, Verantwortung und Weisungsbefugnisse sind als Einheit zu sehen - sie treten immer im Rudel auf. Bei der Verantwortung wird unterschieden zwischen Eigen-, Fremd-, Führungsverantwortung und politische Verantwortung. Letztere bedeutet, dass man auch den Hut nimmt, wenn man nichts für die Fehler der Untergebenen kann - praktiziert z.B. bei Ministern und Trainern, die ihre Untertanen nicht richtig im Griff hatten.

Die Entscheidungsdelegation bewirkt, dass der Untergebenen sowohl seinem Vorgesetzten, also auch der Unternehmensleitung gegenüber verantwortlich ist. Trotzdem wird der Vorgesetzte dadurch die Verantwortung nicht völlig los: Die der Aufsichtspflicht bleibt nach wie vor an ihm kleben. Schärfer formuliert dies das Harzburger Modell (vom SS-Standartenführer Höhn, 1987): Der Vorgesetzte delegiert die Handlungsverantwortung, behält aber die Führungsverantwortung, muss also klare Aufgaben stellen und dennoch kontrollierend wirken. Jawohl, ja.

Entscheidungsbefugnisse zu besitzen, das verschafft Macht und Einfluss in der Organisation - mit etwas Glück kommt man dadurch sogar zu einer Sekretärin, denn irgendjemand muss ja die wichtigen Entscheidungen aufschreiben, die man als Entscheider so tagtäglich zu treffen hat. Doch dazu sind noch weitere Aspekte zu berücksichtigen, die innerhalb der Mikropolitik diskutiert werden, z.B. dass formale Macht gegen informale Macht durchaus den Kürzeren ziehen kann (bekannt aus Familien, in denen die Mutter die Hosen an hat, obwohl der Vater die Brötchen verdient). Gleichgesetzt werden darf natürlich auch nicht die Partizipation von Entscheidungen (der Boss ist gnädig und gestattet es seinen Untertanen, Verbesserungsvorschläge zu machen) mit der Delegation von Entscheidungen (der Boss ist zwar ungnädig, muss sich die Verbesserungsvorschläge seiner Untertanen aber aufgrund der formalen Strukturen anhören). Bei der Partizipation gilt für die Mitglieder: Information < Anhörung < Beratung < Mitentscheidung < Mitbestimmung < Vetorecht < Liquidierung des Vorgesetzten. Nur beim letzten Punkt kann der Untergebenen sich gegenüber seinem Vorgesetzten wirklich durchsetzten.

4.1.1.5. Formalisierungsdimension

Die Formalisierung ist ein typisches Merkmal der Bürokratie und lässt sich unterteilen in die drei Teildimensionen:

  1. Schriftliche Fixierung von Stellenbeschreibungen, Organigrammen und Verfahrensrichtlinien.
  2. Die (gesetzliche) Aktenmässigkeit aller Vorgänge, d.h. die Protokollierung der täglich anfallenden Arbeit.
  3. Die Leistungsdokumentation, z.B. durch Führen von Arbeitszeitkarten und Aufbewahrung der Telefonrechnungen.

Neben den formalen Regeln existieren immer auch die informalen Regeln, auch wenn deren Erhebung recht schwierig durchzuführen ist. Eine solche informale Regel ist z.B. einen freundschaftlichen Umgangston untereinander einzuhalten, denn jeder weiss, dass das dem Arbeitsklima förderlicher ist, als wenn sich jeder wie ein Brüllaffe aufführen darf. Nach Kieser sollte keine aufwendige Unterscheidung zwischen formalen und informalen Regeln vorgenommen werden, da letztlich beide das Handeln der Mitglieder beeinflussen. Zudem kann man informale Regeln auch durchaus als spontan entstandene formale Regeln betrachten.

4.1.2. Die Operationalisierung der Strukturdimensionen

Um empirische Befunde operationalisieren zu können, müssen wir zwei Annahmen treffen:

  • Die beobachteten Erkenntnisobjekte sind objektiv, also personenunabhängig wahrnehmbar.
  • Die Ausprägungen der Erkenntnisobjekte weisen relative Konstanz auf.

Die zweite Annahme ist bei den Strukturen der Organisation gegeben, beim Verhalten der Organisationsmitglieder dagegen nur unvollständig. Die erste Annahme ist diffiziler. Denn formale Regeln müssen - wie am Anfang gezeigt - interpretiert werden, damit sie sinnvoll eingesetzt werden können. Dabei lassen sich zwei Perspektiven herausstellen:

  • Vorgesetzten-Perspektive: Sie wird wegen ihrer relativen Objektivität zur Makroanalyse der Grundstrukturen eingesetzt, die über Dokumentenanalyse und Schlüsselpersonen-Befragung ermittelt werden können ("In welchem Mass wird in der Organisation durch Programmierung koordiniert?").
  • Betroffenen-Perspektive: Sie wird zur Mikroanalyse des Verhaltens der Mitglieder eingesetzt, das über eine Mitarbeiterbefragung ermittelt werden kann. Diese Perspektive soll das subjektive Empfinden der Betroffenen wiedergeben, es kann daher phänomenologisch vorgegangen werden ("Wie stehen Sie zu der Koordination durch Programmierung?").

Da die Organisationstheoretiker i.d.R. die Arbeitgeber vertreten, kommt es vor, dass sie auch die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung unter der Vorgesetzten-Perspektive analysieren. So erhält man zwar ein objektives Bild des Gegebenen, nicht aber eine Vorstellung darüber, inwieweit das Gegebene Anklang findet bei den Betroffenen. So kann es z.B. passieren, dass das ermittelte hohe Mass an Selbstkoordination positiv gewertet wird, obwohl die Betroffenen eigentlich viel lieber ihr eigenes Hirn abschalten und ihre Anweisungen von oben bekommen würden.

Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen den quantitativen und den qualitativen Massen. Über quantitative Masse können die Umfänge einer variabel gemachten Dimension sehr genau bestimmt werden, sie liefern jedoch keine für eine praktische Auswertung wichtigen Inhalte. Beispiel: Es wurde ermittelt, dass im Werk A 100 und im Werk B 150 Sekretärinnen beschäftigt sind. Die qualitativen Masse schaffen dagegen Klassen, die aber untereinander nicht vergleichbar sind. Beispiel: Es wurde ermittelt, dass im Werk A mehr Stenotypistinnen und in Werk B mehr Maschinenschreiberinnen beschäftigt sind. I.d.R. geht der Organisationstheoretiker daher so vor, dass er im Bezug auf die erhobenen Daten zuerst eine quantitative Analyse vornimmt und dann evtl. noch eine qualitative Analyse daran anschliesst.

4.1.2.1. Operationalisierung der Spezialisierungsdimension

Nach Aiken und Hage kann die Dimension der Spezialisierung quantitativ operationalisiert werden, indem man die Zahl der Stellenbeschreibungen bestimmt, oder wie Pugh die Erhebung der wahrgenommenen Möglichkeiten der Spezialisierung bestimmt. Bedingung für einen Vergleich von mehreren Organisationen hinsichtlich ihres Spezialisierungsgrades wäre allerdings, dass die Organisationen auch gleiche Stellen besitzen.

Qualitativ lässt sich nur eine Unterscheidung zwischen funktionalen oder divisionalen Organisationen beschreiben.

4.1.2.2. Operationalisierung der Koordinationsdimension

Zur Bestimmung des quantitativen Koordinationsmasses kann man prüfen, welche Koordinationsinstrumente eingesetzt werden und/oder in welchem mengenmässigem Verhältnis sie untereinander bestehen.

Die persönliche Weisung kann einmal über sehr aufwendige Kommunikationsanalysen (Schmidt, 1988) ermittelt werden oder zum anderen auch indirekt über die Gliederungstiefe oder Leitungsintensität, weil diese von der persönlichen Weisung abhängig sind. Nur grosse Unternehmen verfügen über viele Ebenen, wenn jeder Meister Hunderte von Lehrlingen führt.

Die Selbstabstimmung ist durch Befragung zu ermitteln, z.B. wie stark nach subjektivem Empfinden die vertikale Kommunikation gegenüber der horizontalen ist. Dadurch ergibt sich u.U. kein offizielles Bild des Gebrauchs der Selbstabstimmung, denn i.d.R. wird weit mehr selbst abgestimmt, als dass dies die Vorgesetzten wahrhaben wollen (denn das schmälert ja ihren Einfluss auf das Ergebnis der von ihnen geführten Abteilung).

Um das Mass der Programmierung zu bestimmen, wählt Pugh 68 verschiedene programmierbare Aktivitäten aus und lässt von kompetenten Organisationsmitgliedern in Skalen ankreuzen, inwieweit diese in ihrer Firma praktiziert werden - die Summe aller angekreuzten Programme ergibt das gewünschte Ergebnis. Nachteil dabei ist aber, dass wegen der programmierbaren Natur von Verwaltungsaktivitäten v.a. diese in der Liste aufgeführt sind, obwohl ebenso im Produktionsbereich programmiert werden kann.

Eine andere Möglichkeit das Mass der Programmierung zu bestimmen sind Interviews. Dabei rutschen aber leicht nicht-strukturelle Routineaufgaben als Programme in die Erhebung mit hinein, z.B. wenn jemand beschreibt, dass das Telefonritual mit der Materialversorgung stets gleich abläuft, obwohl dieses "Ritual" nicht als Programm fixiert vorliegt.

Kieser verfährt zur Bestimmung des Planungsmasses ähnlich wie Pugh: Er überlegt sich möglich Pläne für eine Firma/Branche und vergleicht dann, inwieweit sie in der zu untersuchenden Organisation realisiert wurden.

4.1.2.3. Operationalisierung der Konfigurationsdimension

Das Konfigurationsmass der Gliederungstiefe ergibt sich aus der Zahl der Ebenen. Diese kann in verschiedenen Bereichen verschieden sein, daher wählt man aus, ob man die Maximums-, die Durchschnitts- oder die bereichsspezifische Gliederungstiefe bestimmen will. Probleme gibt es bei kollegialer Leitung: Soll ein einzelnes Vorstandsmitglied, das hier ja nur ein Ressort vertritt, als eigene Ebene gelten, was dazu führen würde, dass die Anzahl der Vorstandsmitglieder mit der Gliederungstiefe übereinstimmt? Kieser sagt ja, zumindest falls eine Personenhierarchie gegeben ist.

Bei dem Konfigurationsmass der Leitungsspanne kann man wählen, ob man die Leitungsspanne der obersten Instanz betrachten will (bei kollegialer Leitung gilt: Leitungsspanne gleich Vorstands-Mitgliederzahl), vom Durchschnitt ausgeht oder die funktionale Weisungsspanne bestimmt, d.h. alle einer Instanz untergeordneten Stellen zählt.

Das Konfigurationsmass der Stellenrelation bieten interessante Aussagemöglichkeiten zur Koordination, z.B.:

  • Gesamtkoordination = Leitungsstellen/Gesamtstellenzahl
  • Technokratische Koordination = Stabsstellen/Gesamtstellenzahl
  • Persönliche Weisung = Instanzen/Gesamtstellenzahl
4.1.2.4. Operationalisierung der Entscheidungsdelegation-Dimension

Nach Dale (1952) ist die Delegation genau dann gross, wenn folgende Qualitätsmerkmale gegeben sind:

  • Viele Entscheidungen fallen auf unterer Ebene, z.B. wenn der Disponent Hänschen Müller die Arbeit der Einkaufabteilung gleich mit übernimmt.
  • Wichtige Entscheidungen fallen auf unterer Ebene, z.B. wenn der Hausmeister über Millionendeals verhandeln darf.
  • Die Entscheidungen der unteren Ebene sind weitreichend, z.B. wenn ein Abteilungsleiter jeden entlassen kann, der gegen ihn aufbegehrt hat.
  • Die Entscheidung der unteren Ebenen sind nicht abstimmungsbedürftig mit den Vorgesetzten, z.B. wenn jeder Arbeiter die Urlaubsgestaltung selbst übernehmen kann.

Eher fragwürdig zu bewerten ist die Ermittlung der Delegation über die Leitungsspanne (Evan), die Höhe der Gehälter (Whistler) oder die zeitliche Kontrollspanne zwischen Ausführendem und Vorgesetzten, da diese Erhebungen nur indirekte Masse liefern, bei denen zusätzlich die Korrelation mit der Delegation zu prüfen ist. Ausserdem finden die Qualitätsmerkmale Dales keine Berücksichtigung.

Besser macht es wieder einmal Pugh die Stubenfliege mit seiner altbekannten Methode: Er wählt 38 generellen Entscheidungen einer Organisation aus und prüft, inwieweit diese von den unteren Ebenen getroffen werden dürfen. Diese Methode ermittelt direkt die Delegation einer Organisation, berücksichtigt Dales Qualitätsmerkmale aber ebenfalls nicht.

4.1.2.5. Operationalisierung der Formalisierungsdimension

Blau und Schönherr schlagen zur Ermittlung des Grades der Formalisierung vor, die Zahl der Wörter in den massgeblichen Handbüchern zu zählen. Werden andere Methoden gewählt, so gilt bei dieser Thematik natürlich generell die Dominanz objektiver Methoden gegenüber subjektiver - es wäre ja blöd, den Formalisierungsgrad mühsam zu erfragen, wenn er quasi offen herumliegt und nur gezählt werden muss.

Falls aber dennoch eine Befragung zur Ermittlung des Grades der Formalisierung durchgeführt werden sollte, dann ist darauf zu achten, dass wohl nur die Untergebenen den Ist-Zustand der Formalisierung wiedergeben, während die - meist aus Zeitgründen ausschliesslich befragten - Schlüsselpersonen der Verwaltung lieber vom Soll-Zustand der Formalisierung berichten - kein Verwaltungsbeamter wird zugeben, dass er so manchen Formalismus regelmässig sausen lässt, um dafür lieber ein Nickerchen im Büro macht.

4.1.3. Zusammenhänge zwischen den Strukturdimensionen

Die Masse der Organisationsstruktur-Dimensionen erlauben es, die Beziehungen zwischen den Organisationsstruktur-Dimensionen einer empirischen Analyse zu unterziehen. Dabei ergeben sich die folgenden Zusammenhänge:

  • Spezialisierung+ => Entscheidungsdelegation+

    Pseudoerklärung: Wird für jeden Handgriff eine eigene Stelle eingerichtet, verliert der Vorgesetzte rasch den Überblick über die einzelnen Tätigkeiten seiner Untertanen - also lässt er sie in den meisten Fällen selbst entscheiden, was zu tun ist. Wenn Mitarbeiter mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen, heisst das aber natürlich nicht immer, dass auch deren Arbeitsfeld spezialisierter wurde.

  • Entscheidungsdelegation+ <=> Selbstabstimmung+, Programmierung/Planung+, Formalisierung+

    Pseudoerklärung: Wenn Arbeiter in ihre Arbeit selbst Entscheidungen treffen dürfen, dann können sie sich auch untereinander besser abstimmen, ohne den Boss zur Rate zu ziehen. Da dem Boss dies aber nicht unbedingt passt, sorgt er über Pläne, Programme und Formalismen dafür, dass die Arbeiter weiter nach seiner Pfeife tanzen. Auch die Umkehrung gilt hier: Ist Selbstabstimmung erlaubt, existieren umfangreiche Pläne, Programme und formale Regeln, dann ist der Meister weniger präsent und die Arbeiter müssen mehr Entscheidungsrechte haben.

  • Entscheidungsdelegation- <=> persönliche Weisung+

    Pseudoerklärung: Wenn die Arbeiter nichts entscheiden dürfen (auch nicht nach Plänen/Programmen/formalen Regeln), dann muss der Meister dies für sie tun, was er in Form von persönlicher Weisung auch vermutlich gerne macht.

  • Persönliche Weisung+ => Instanzen+, Hierarchie+, Leitungspanne-

    Pseudoerklärung: Ein Chef, der das Zepter fest in der Hand hält und sich jegliche Delegation verbittet, kann i.d.R. nur relativ wenige Untertanen beaufsichtigen. Durchzieht dieses Prinzip die gesamte Organisation, wird die Hierarchie sehr steil und die Ebenenanzahl hoch. Allerdings ist die Umkehrung nicht immer gegeben: Eine Organisation kann eine ausgeprägte Hierarchie haben und trotzdem alleine durch technokratische Koordination geführt werden.

  • Programmierung/Planung+ => Formalisierung+, Stäbe+, Leitungsspanne+

    Pseudoerklärung: Viele Programme und Pläne bedeuten natürlich ein hohes Mass an Formalisierung. Ausserdem sind viele Stäbe nötig, um die Pläne auszuarbeiten. Aber andererseits erlauben es Pläne und Programme, dass Meister viele Arbeiter um sich scharen können. Die Umkehrung gilt nicht zwangsläufig: Eine hohe Leitungsspanne ist auch bei Selbstkoordination möglich, die ebenfalls Stellenbeschreibungen und Unterstützung durch Stäbe verlangen kann.

4.2. Operationalisierte Konzeptionen der Situation

Wie oben festgestellt wurde, gehen wir von einem multivariaten Ansatz aus. Im Gegensatz zu den Dimensionen der Struktur wollen wir die Dimensionen der Situation unabhängig voneinander halten: Alles soll als relevant gelten, sofern es nur die vorgefundenen Organisationsstrukturen zu erklären hilft. Dadurch bleiben wir neuen Erkenntnissen bezüglich der Situation stets offen. Um eine zu grosse Heterogenität zu verhindern (z.B. durch die Hinzunahme der Managementphilosophie, der Organisationsziele, der Standorte usw.) oder die Vermischung von objektiven und subjektiven Dimensionen zu riskieren (z.B. von Grösse und den Konkurrenzverhältnissen), scheint eine Untergliederung der Dimensionen der Situation jedoch sinnvoll zu sein.

Um den Einfluss der Situation auf die Organisationsstrukturen festzustellen, kann der Einfluss direkt erhoben werden oder indirekt, indem nur der Einfluss auf die Spezialisierung ermittelt wird, die ja - wie wir oben gesehen haben - auf die meisten anderen Organisationsstruktur-Dimensionen wirkt.

4.2.1. Dimensionen der internen Situation

Die internen Dimensionen der Situation betreffen alle Dimensionen, die von einer Organisation direkt beeinflusst werden können, um sie so z.B. der Organisationsstruktur anzupassen (etwa die Grösse einer Organisation).

4.2.1.1. Leistungsprogramm-Dimension

Die Organisationssoziologie und die BWL definieren Ziele (identisch mit Leistungen, Angebote oder im weiteren Sinne auch den Strategien) unterschiedlich: Nach der Organisationssoziologie bedingen die Ziele die Organisationsstruktur (makrotheoretisch), während die BWL keine Auskunft darüber gibt, welche Ziele welche Strukturen benötigen, sondern bloss, wie Ziele das Verhalten der Mitglieder steuern können (mikrotheoretisch). Der Situative Ansatz schlägt sich auf die Seite der Organisationssoziologen, definiert Ziele daher präzise als Zusammensetzung des Angebotsprogramms und erklärt sie zum wichtigsten Bestandteil der Situation.

Das Leistungsprogramm lässt sich inhaltlich in Form von Branchen klassifizieren. Branchen haben aber hinsichtlich ihrer Vergleichbarkeit zueinander Mängel aufzuweisen, so besitzen z.B. verschieden Branchen unterschiedliche Situationsfaktoren (die Werbebranche agiert in dynamischer Umwelt und die Behördenbranche agiert in statischer Umwelt). Ausserdem diversifizieren einzelne Unternehmen häufig gleich in mehrere Branchen hinein. Aus diesen Gründen lässt sich das Leistungsprogramm besser durch die Messung des Grades der Diversifikation und Divisionalisierung bestimmen.

4.2.1.1.1. Diversifikationsstrategie

Nach Ansoff ist die Diversifikationsstrategie eine der vier Wachstumsstrategien (die restlichen drei sind: Marktdurchdringung, Marktentwicklung und Produktentwicklung). Sie bedeutet die Erschliessung neuer Märkte mit neuen Produkten. Unterschieden werden dabei die Typen vertikale (neue verwandte Produkte), horizontale (Aufkauf der Absatzwege) und laterale (völlig neue Produkte) Diversifikation. Extern ist die Diversifikation, falls Neues aufgekauft wird und intern, wenn sie aus eigener Kraft Neues erst erschafft.

Die Beliebtheit der Diversifikation hat natürlich ihre Gründe: Sie streut das Risiko, erschliesst Wachstumsmärkte, macht Unternehmen unabhängiger, nutzt Synergien besser und verhilft zu mehr Marktmacht. Daher wird sie auch immer mehr praktiziert, wie Rumelt mithilfe der Channon-Klassen (svw.) bewies - obwohl ihr Erfolg keinesfalls garantiert ist, sondern bloss eher vom Geschick der Manager abhängt, die sie durchführen. Unternehmen, die alle Investitionen in das eigene Geschäft fliessen lassen müssen - etwa die Öl- und Stahlindustrie - gelten als Wenig-Diversifizierer. Weitere Barrieren der Diversifikation sind: geringe Manager-Reserven, wenig Know-how in anderen Gebieten und ein latenter Ressourcen-Mangel. Ausserdem sperren sich häufig auch die Aktionäre und Eigentümer gegen eine Diversifikation, weil sie um einen Machtverlust fürchten, wenn das Unternehmen solchermassen gesplittet wird.

4.2.1.1.2. Divisionalisierung

Als Folge des erhöhten Koordinationsaufwands durch die Diversifikation werden funktionale Organisationen - meist über den Umweg von Holdings (mit und ohne Stäbe) - in divisionale Organisationen umgewandelt, was Chandler mit dem Satz kennzeichnete: "Structure follows Strategy". Da aber unsinnigerweise auch viele Haupt-Gruppen-Unternehmen, also Unternehmen, deren Gesamtumsatz auf hauptsächlich ein Produkt zurückgeht, divisionalisierten, formuliert Rumelt ironisch das "Gesetz": "Structure follows Fashion". Franko bringt den Diversifikation-Divisionalisierung-Zusammenhang auf den Punkt: Nicht nur alleine die Diversifikation, sondern die dynamischer werdenden Märkte der Nachkriegszeit waren und sind ausschlaggebend für die Divisionalisierung so vieler Unternehmen.

Als Vorteile kann die Divisionalisierung für sich verbuchen, dass sie die Produktmarktausrichtung und die Motivation der Mitglieder erhöht, und dass sich durch sie die Führung besser auf das alleinige Führen konzentrieren kann. Nachteilig ist, dass der Situative Ansatz keinerlei Gestaltungsempfehlungen bei der Divisionalisierung geben kann. Zu klären ist:

  • Welches Produkte soll zu welcher Division gehört?
  • Für welche steuernden Funktionen sind Zentralabteilungen einrichten?
  • Wie sollen Verrechnungspreise, Informationssysteme und Rechtsform der Geschäftsbereiche gestaltet werden, um dadurch z.B. Subventionen oder steuerliche Vorteile zu erhalten?
  • Wie ist die Leitung zu besetzen (in Deutschland kollegial, in USA CEO)?
4.2.1.2. Grösse-Dimension

Zur Grösse einer Organisation ist nur zu sagen, dass der Glaube, die Grösse einer Organisation wachse zu bestimmten Zeiten in Sprüngen (in sogenannten Metamorphosen, weil diese Vorstellung einer hässlichen Raupe gleicht, die sich zum schönen Schmetterling mausert), wobei sie eine bestimmte Reihenfolge einhält, hat sich nicht empirisch bestätigt. Man kann eher von gleichmässigen Übergängen ausgehen, deren Reihenfolgen und Timing in keiner Weise vorhersagbar sind.

4.2.1.3. Fertigungstechnologie-Dimension

Das ein Zusammenhang zwischen Fertigungstechnik und Organisationsstruktur besteht, sagt uns unser gesunder Alltagsverstand (bei einer Fliessfertigung auf persönliche Weisung zu bestehen, anstatt ein Programm zu formulieren, scheint uns z.B. wenig sinnvoll zu sein). In welchem Ausmass aber die Fertigung die Strukturen prägt, das können uns nur empirische Studien aufzeigen.

Die moderne Fertigungstechnik schliesst auch die Informationstechnik mit ein. So weit sie die Fertigung betrifft, ist hier v.a. CIM zu nennen, das aus den Subtypen CAM, CAD (für technische Zeichnungen und Stücklisten), CAP (zur Planung), CAQ (zur Qualitätskontrolle durch Soll-Ist-Vergleich) und PPS (z.B. COPICS) besteht. Die einzelnen Subtypen sind i.d.R. über ein DBS vernetzt, doch dies ist bisher branchenspezifisch gesehen nur partiell geschehen. Im Zusammenhang mit dem Situativen Ansatz versucht CIM, die Sachzwänge, die der Situative Ansatz aufzeigt, zu umgehen, indem es neue Freiheitsräume einräumt (die aber nicht unbedingt real von Nutzen sein müssen, denn bisher wurden die CIM-Möglichkeiten noch nicht voll ausgelotet).

Nach Scheer beinhaltet ein PPS die Auftragssteuerung, die Primärbedarfsplanung (Bedarf an Endprodukten), die allgemeine Bedarfsplanung, die die eigenbezogenen bzw. fremd bezogenen Fertigungsaufträge liefert, den Kapazitätsabgleich, die Zeitplanung, die Auftragsfreigabe, die Fertigungssteuerung und die Betriebsdaten-Erfassung.

Warum aber werden neue Fertigungstechnologien überhaupt eingesetzt? Warum genügen die alten Verfahren nicht mehr? Antwort: wegen des gestiegenen Konkurrenzdrucks durch die Internationalisierung. Es muss nun stärker auf die Bedürfnisse der Käufer eingegangen werden als früher, d.h. die Typenvielfalt, Termintreue und die Qualität der Produkte müssen höher sein, die Preise und Innovationszyklen dagegen niedriger. Flexibilität ist das Motto der Zeit.

Die neuen Methoden, die die Informationstechnik anbietet, wurden erst ziemlich spät zur Flexibilitätssteigerung eingesetzt, denn die Manager hatten wieder einmal Angst, ihnen könnte dadurch ein Stück Macht verloren gehen. Vorher versuchten sie:

  • die Modulbauweise für neue Produkt-Kombinationen zu nutzen.
  • Produkte fertigungsgerechter zu produzieren.
  • neue Materialien einsetzten.

Die neuen Fertigungstechniken wirken sich v.a. vertikal aus, d.h. durch eine verstärkte Dezentralisierung bzw. Zentralisierung der Entscheidungen. Am Arbeitsablauf änderte sich dagegen wenig, da die Informationstechnik das Potenzial bietet, sich der gegebenen Situation anzupassen.

Theoretisch gesehen erlaubt die Informationstechnik die Schaffung von technokratischer (z.B. Fliessbänder) oder anthropozentrischer Fertigung (z.B. in Form von Fertigungsinseln mit teilautonomen Gruppen). Dennoch ist ein Strukturkonservatismus in den Organisationen nicht von der Hand zu weisen. Warum eigentlich? Nach Brödner bzw. Child spricht gegen das anthropozentrische Gestaltungskonzept:

  • Die Qualifikation und damit das Lohnniveau müssten wachsen, ja, wäre sogar evtl. mit einem Engpass auf dem Arbeitsmarkt verbunden.
  • Der Erfolg ist schwer abschätzbar (im Gegensatz zur Intensivierung alter Techniken, die relativ risikofrei ist).
  • Angst der Manager vor Machtverlust.
  • Die gängigen SW-Pakete sind für die alten zentralistischen Hierarchien gedacht, woraus eine Art technischer Determinismus für die Gestalter folgt.
  • Aber vor allem: Das tayloristische Denken herrscht vor. Warum etwas ändern, was sich so bewährt hat?
4.2.1.4. Informationstechnologie-Dimension

Die Informationstechnik kann radikale Wirkung auf die Strukturen von Organisationen haben - z.B. soll erst das Telefon eine Trennung von Fertigung und Verwaltung ermöglicht haben. Bis Anfang der 70er besassen die IT noch geradezu deterministische Wirkung auf die Organisationsstruktur. Erst ab den frühen 80ern haben die Rechenzentren begonnen, EDV-Fachkräfte in Abteilungen zu verteilen und den Zentralismus etwas zu lockern: Strukturen und IT wurden zu dieser Zeit immerhin schon simultan entwickelt. Die Fiktion vom papierlosen Büro, von Telearbeit und Stabswegfall kam aber nie zustanden. Dies änderte sich auch bis heute nicht, allerdings lässt sich moderne IT inzwischen vollständig an die gegebenen Strukturen einer Organisation anpassen. Die PCs, die LANs, die Datenbank-Systeme und die Information Retrieval Systeme (IRS) bereichern zweifellos die Betriebe. Dennoch schaffen sie es nicht, die Face-to-Face-Kommunikation durch Bildtelefone oder Stäbe durch Experten-Systeme (XPS) zu ersetzten. Häufig dient die IT nur als Terrain für Geltungsbedürftige, die anonyme Junk-Mails versenden oder mit Big-Brother-Bestrebungen schwanger gehen.

Im Einzelnen bietet die Informationstechnologie:

  • Kommunikationswerkzeuge (E-Mail, Voice-Mail, Videokonferenzen).
  • Informationsspeicherung und -retrieval (DBS, IRS).
  • Informationsverarbeitung (Textverarbeitung, Terminkalender).

Zu sagen bleibt noch, dass die Organisationsgestalter hinsichtlich neuer IT den Situativen Ansatz nicht sonderlich schätzen, da dieser ihnen Sachzwänge aufzeigt, die trotz der neuartigen IT-Flexibilität gegeben bleiben - und Manager lassen sich nun einmal nicht gerne vorschreiben, wie sie sich zu entscheiden haben. Vorteilhaft bei der IT ist aber die Möglichkeit, Downsizing-Konzeptionen unter Verzicht auf Systemanalytiker durch ausgefeilte Software zu überprüfen.

4.2.2. Dimensionen der externen Situation

Die externen Dimensionen der Situation sind die Dimensionen, die von einer einzelnen Organisation nicht direkt beeinflusst werden können (nur evtl. von vielen Organisationen einer Branche zusammen), sodass die Organisationsstrukturen sich diesen Situationsdimensionen anpassen müssen.

Einflüsse auf die Organisationsstrukturen erlangt die externe Umwelt nach Porter durch:

  • die Konkurrenzverhältnisse (abhängig von Anzahl, Ausgangsbedingungen, Austrittsbarrieren usw.)
  • die Abnehmer bzw. andere Unternehmen (abhängig von Anzahl, Umsatzanteil, Informationsgrad, Qualitätsansprüche, Möglichkeiten der Rückwärtsintegration usw.)
  • die Lieferanten (abhängig von Anzahl, Umstellungskosten für Unternehmen, Vorwärtsintegrationsmöglichkeiten usw.)
  • die Ersatzprodukte (abhängig von z.B. der Marktdynamik)

Nach Jurkovich lassen sich drei Dimensionen für die Umwelt aller Organisationen (also auch von nicht-ökonomischer Natur) bestimmen:

  1. Komplexität: Zahl, Verschiedenheit und Verbreitung der externen Faktoren, die bei einer Entscheidung zu berücksichtigen sind.
  2. Dynamik: Häufigkeit, Stärke und Irregularität von Änderungen.
  3. Abhängigkeit: Die Abhängigkeit der Organisation von anderen Ressourcenstellern ist umso höher, je weniger potenzielle Partner existieren.

Organisationen haben zwei Möglichkeiten, auf die Umwelt zu reagieren:

  1. Sie können durch Diversifikation (Rückwärtsintegration der Lieferanten), Abstimmung mit anderen Organisationen, Bestechung, Joint Ventures, PR und Lobbyismus, d.h. durch Schaffung kollektiver Strukturen auf die Umwelt einwirken.
  2. Sie können sich der Umwelt anpassen, indem sie z.B. ihre Flexibilität durch Erhöhung der Innovationsrate erhöhen.

Nach Angle und Van de Ven stellen sich Innovationen als Reise ins Ungewisse dar ("Innovationsreisen"), mit den folgenden Phasen:

  1. Initiationsphase: Die Organisation geht mit der Innovation schwanger, doch erst Schocks durch die Konkurrenz bewirken die reale Planausarbeitung.
  2. Entwicklungsphase: Die Konzepte werden aufgesplittert in Teilaufgaben, die dann von Projektteams erfüllt werden. Dazu ist zuvor eine Involvierung der nötigen Mitglieder vorzunehmen.
  3. Implementierungsphase/Beendigungsphase.

Team-Ergänzungsstrukturen werden häufig gebraucht, weil die Kooperation zwischen Abteilung Probleme bereitet, diese Kooperation für die Durchsetzung einer Innovation aber unbedingt nötig ist. Die Probleme ergeben sich aus dem Umstand, dass die Abteilungen ursprünglich nach homogenen Aspekten gestaltet wurden, sodass zwischen den untereinander heterogenen Abteilungen die Schnittstellen fehlen. Natürlich lassen sich Abteilungen auch nicht gerne von anderen in ihrer Arbeit reinreden. Eine Linderung dieser Problematik ist zu erreichen, wenn Kooperationsstrategien gelernt werden, die Beteiligten frühzeitig zusammengebracht werden (dadurch setzt sich eine Innovation letztlich auch schneller durch) und auf Experten weitgehend verzichten wird, sodass es nur noch Beteiligte gibt.

Um die Organisationsziele zu erreichen, ist unbedingt auch die Motivation der Mitglieder zu beachten, wie wir später noch sehen werden. Nur, wie hält man die Innovation in Teams hoch? Mögliche Antworten:

  1. Durch Rollengefüge, die den Gruppeneinfluss auf die Ressourcen sichern. Z.B. Einsatz von Macht-, Fach- und Prozesspromotern (=Motivator).
  2. Durch Führung, die die Besonderheiten der Innovationen beachtet. Sie sollte daher wechseln können zwischen visionärem (das Paradies erblickendem), partizipativem (einmal Coach, einmal Konfrontierer) und transaktionalem (jeder Teilschritt findet Belohnung) Stil.
  3. Durch Anreizsysteme, die eine motivationsfördernde Organisationskultur schaffen, wo also extrinsische bzw. intrinsische Faktoren die Mitglieder beeinflussen. Dies ist bei Projekten sicher schwieriger zu erreichen als bei Routineaufgaben (gibt man den Projektoren mehr Geld, meckern die Routiniers), was man auch daran erkennen kann, dass gerade Forscher besonders schwer zu motivieren sind, da sie - weil sie selten Managerqualitäten besitzen - eine höhere Position kaum zu schätzen wissen. Hier sind z.B. duale Hierarchien, also "Ordens"-Vergabe, öffentliche Belobigungen u.ä. recht hilfreich.
4.2.2.1. Konkurrenzverhältnisse-Dimension

Diese Dimension schafft Umweltprobleme für eine Organisation, da die Konkurrenz evtl. um gleiche Abnehmer und Lieferanten buhlt wie sie selbst. Gefahren drohen durch Preissenkungen, Werbung, Produkt-Varianten und langfristige Verträge, die an die Konkurrenz gehen. Es gilt: Die Konkurrenz-Intensivierung (besonders durch neue Konkurrenz) steigert die Umweltdynamik, auf die sich die Organisation durch Änderung ihrer Struktur einstellen muss (z.B. indem sie Teams in Selbstabstimmung arbeiten lässt, damit sie Innovationen durchsetzten können).

4.2.2.2. Technologische Dynamik-Dimension

Die Technologie-Dynamik verlangt unbürokratische Strukturen in einer Organisation (im Gegensatz zur Konkurrenz-Dynamik, wo bürokratische Strukturen die Innovationsfreudigkeit im Bezug auf Produkte erstaunlicherweise erhöhen können, z.B. in Form eines formalen Vorschlagwesens). Näheres dazu werden wir uns bei der Operationalisierung dieser Dimension ansehen.

4.2.2.3. Gesellschaftlich-kulturelle Bedingungen-Dimension

Unter Internationalisierung verstehen wir die Strategie der Ausweitung der Geschäftstätigkeit ins Ausland. Wir müssen uns hier Fragen: Sind kulturspezifische Besonderheiten im Hinblick auf die Organisationsstrukturen zu beachten? Dazu existieren zwei polare Thesen:

  1. Die Organisationsstruktur ist ein rationales Gebilde zur Lösung ökonomischer Probleme, da existiert kein Platz für kulturelle Gestaltungsspielräume! Hier bekommt die Rationalität einen übernationalen Stempel aufgedrückt.
  2. Die Organisationsstruktur muss auch langfristig den kulturellen Gegebenheiten Rechnung tragen, um Überleben zu können! Rationalität scheint hier bis zu einem gewissen Grad übernational zu sein, aber nicht unbedingt auch auf lange Sicht.

Wenn man sich die Strategien international erfolgreicher Unternehmen ansieht, findet man schnell heraus, dass die zweite These zutrifft. Hierzu ein paar Beispiele:

  • In Frankreich ist die Leitungsintensität grösser, die Hierarchien sind steiler und es sind mehr Stäbe vorhanden als z.B. in Deutschland. Besonders bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass der französische Wasserkopf nicht schlechter, sondern besser verdient als der deutsche. Der offensichtliche Grund: Die französische (also kulturabhängige) Ausbildung ist eher breit, die in Deutschland dagegen eher berufsspezifisch.
  • In Japan existieren Prinzipien, die dem westlichen Ökonomen die Haare zu Berge stehen lassen: Es gibt kaum Spezialisierung, nur wenig Formalismus, dafür viel Gruppenverantwortung, es herrscht das Senioritätsprinzip vor und von den Arbeitnehmern wird eine allgemein breite Qualifikation erwartet. Trotzdem sind die Japaner dabei, sich wirtschaftlich für den verlorenen 2.Weltkrieg zu rächen. Der Grund für diesen Erfolg: Die Japaner sind im Gegensatz zum Westen viel kollektiver orientiert. Warum? Im Mittelalter existierten in Japan wie in Europa die gleichen feudalen Systeme, die die Klassengesellschaften etablierten. Doch der Konfuzianismus predigte im Gegensatz zum Christentum einen gesellschaftlichen Erfolg auf Erden, indem z.B. die hierarchischen Strukturen eingehalten würden. Das führte dazu, das in den japanischen Familien nur einer alle Rechte, die anderen dagegen alle Pflichten zu übernehmen hatten - ein Prinzip, welches sich auch in der Wirtschaftswelt niederschlug. Und die im Fernen Osten vollzogene Industrialisierung entsprang auch keinem bürgerlichen Gewinnstreben wie in Europa, sondern dem Versuch, Japans Identität zu retten und unabhängig zu erhalten.
  • In Europa galten die Zünfte als kollektivistische Systeme, die durch die in den Kreuzzügen herein geholten Orientalen jedoch mächtige Konkurrenz bekamen. Gegenkonkurrenz war die Folge, namentlich z.B. mit der Fugger gekennzeichnet. Die Renaissance schuf bei den Fürsten ein Individualbewusstsein, die Reformation im Anschluss daran auch bei der breiten Masse. V.a. der Protestantismus ging laut Weber mit dem Kapitalismus konform, da bei beiden Weltsichten der (wirtschaftliche) Erfolg im Mittelpunkt stand. Die auf die Französische Revolution folgende Liberalisierung institutionalisierte schliesslich den gesellschaftlichen Egoismus auf ganzer Breite.

Hypothetisch lässt sich nach dem Gesagten vermuten, dass die Strukturen einer Organisation im Westen den kulturbedingten Egoismus der Mitglieder in gewünschte Bahnen lenken sollen, während sie im Osten v.a. die kulturbedingte Gruppenarbeit unterstützen sollen. Infolgedessen unterscheiden sie sich natürlich im Westen und Osten erheblich voneinander.

Wie die Diversifikation ist auch die Internationalisierung ein Steckenpferd der Manager. Als Gründe nennen sie:

  • Ressourcensicherung.
  • Economies of Scale (Kostenvorteile durch Massenproduktion).
  • Economies of Scope (Wissensaustausch).
  • Risikomanagement wird erleichtert (weil mitexpandierende Lieferanten von der Organisation abhängiger werden).

Sehen wir uns noch einmal an, wie die Internationalisierung zustande kommt: Wenn funktionale Organisationen diversifizieren, also neue Märkte mit neuen Produkten in Angriff nehmen, dann bekommen sie Koordinationsprobleme, da neue Produkte i.d.R. auch neue Abteilungen erfordern, um das Know-how zu ballen und die Aussendienstler nicht zu überfordern. Die funktionale Koordination wird also zuerst erweitert. Doch dies genügt oftmals nicht: Zusätzlich ist eine gruppenspezifische Koordination nötig, damit die einzelnen Abteilungen auch zusammenarbeiten. Aber auch die Bildung von Produktmanagements und Komitees müssen als zu halbherzig bezeichnet werden, um den allgegenwärtigen Abteilungsegoismus überwinden zu können ("Wir haben jetzt keine Zeit, für euer blödes Produkt eine Werbestrategie zu entwickeln"). Man geht also dazu über, neue Produkte über Töchter zu vertreten, die direkt im neuen Markt angesiedelt werden, also internationale Holding-Strukturen zu bilden. Dass diese Form der Internationalisierung auch noch ihre Koordinationsprobleme hat, beweist die Tatsache, dass es noch andere Formen der Internationalisierung gibt. Eine davon sehen wir uns gleich an, zu den anderen kommen wir später.

Eine relativ neuartige Form der Internationalisierung ist das sogenannte integrierte Netzwerk. Bartlett stellt uns diesbezüglich den Philips-Konzern als Musterbeispiel vor. Dessen USA-Töchter sind zuständig für alle Absatzstrategien, die Japan-Töchter sind zuständig für alle Konkurrenz-Strategien und die englischen Töchter haben die alleinige Führerschaft, was Innovationen angeht. Das Topmanagement in den Niederlanden stimmt bloss noch die Töchter ab, nennt die übergreifenden Ziele und richtet Projektgruppen ein - und sackt die meiste Kohle ein.

4.2.3. Operationalisierung der internen Situationsdimensionen

4.2.3.1. Operationalisierung der Leistungsprogramm-Dimension

Die Diversifikation lässt sich messen, in dem man die Produkte zählt, die ein Unternehmen herstellt. Das ist nicht ganz so einfach, wie es sich anhört: Es gibt z.B. Abgrenzungsprobleme zwischen echt verschiedenen Produkten oder blossen Varianten des gleichen Produkts. Die wirtschaftliche Bedeutung eines Produktes lässt sich anhand seines anteilmässigen Umsatz berücksichtigen.

Zur qualitativen Messung der Diversifikation schuf Channon (1973) ein Vier-Klassen-Schema:

  • 1.Klasse: Ein-Produkt-Unternehmen, z.B. ein Eisverkäufer.
  • 2.Klasse: Haupt-Produkt-Unternehmen, d.h., ein Produkt macht mindestens 70% des Umsatzes aus, z.B. Kinos (70% für Lichtspiele, 30% für Nahrungsangebot wie Popcorn).
  • 3.Klasse: Unternehmen mit verwandten Produkten, z.B. Supermärkte.
  • 4.Klasse: Unternehmen mit nicht-verwandten Produkten, z.B. Warenhäusern, wo man sich u.U. vom Hamster bis zu einer Reise zum Mond alles besorgen kann.
4.2.3.2. Operationalisierung der Grösse-Dimension

Als Masse der Grösse bieten sich an: die Zahl der Mitarbeiter, der Umsatz, das Anlagevermögen, die Bilanzsumme, ... Da die Masse stark miteinander korrelieren, genügt eines davon als Indikator. Hinsichtlich der Organisationsstrukturen erscheint uns am sinnvollsten die Zahl der Mitarbeiter.

Der Situative Ansatz hat im Bezug auf die Grösse einer Organisation gezeigt:

  • Die Leitungsintensität nimmt bei grossen Organisationen ab! Wegen der Konjunkturabhängigkeit der Leitungsintensität ist dieses Ergebnis schwere beweisbar, jedoch ist es plausibel: Die Spezialisierung erlaubt eine erhöhte Programmierung bzw. Planung und zudem gilt das Parkinsonsche "Gesetze", dass der Wasserkopf sich selbst vergrössert, sich also so viel Untergebenen heranzieht wie möglich.
  • Für alle Branchen in allen Kulturen gilt: Die Delegation, die Professionalisierung und die Spezialisierung wachsen degressiv mit der Organisationsgrösse! Das macht man sich leicht klar, wenn man sich vorstellt, dass es in einer grossen Organisation mehr Arbeit und damit auch mehr zu Spezialisieren und Delegieren gibt, Spezialisierung und Delegation aber natürliche Grenzen gesetzt sind, der Mitarbeiteranzahl aber kaum.
  • Je mehr Niederlassungen eine Organisation besitzt, um so weniger delegiert sie ihre Entscheidungen!!! Ein in der Tat erstaunliches Ergebnis. Vermutlich versucht hier die Mutter, die Töchter unter Kontrolle zu halten, z.B., was das Image und die gemeinsame Strategielinie angeht. Schliesslich haften Eltern für ihre Kinder.
  • Je grösser eine Muttergesellschaft ist, um so eher färben ihre Strukturen auf die der Töchter ab! Das ist nachvollziehbar: Ein grosse Mutter ist eine dominante Mutter, ist also eine Mutter, der man sich besser anpasst.
4.2.3.3. Operationalisierung der Fertigungstechnologie-Dimension

Nach den vorhandenen Betriebsmitteln unterschieden existieren folgende qualitativen Fertigungstechnologie-Typen:

  • Werkstattfertigung: Es existieren Puffer, die Stellen werden nach dem Verrichtungsprinzip spezialisiert, z.B. Fräserei, Bohrerei und Dreherei.
  • Reihenfertigung: Es werden durch die zeitliche Abstimmung der einzelnen Stellen keine Puffer benötigt.
  • Fliessfertigung: Hier sorgen Fliessbänder dafür, dass alle Teile zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle sind - Puffer sind daher nicht nötig.
  • Prozessfertigung: Hier machen Maschinen alles alleine. Der Menschen wird nur noch als Kontrolleur benötigt.

Nach der Ausbringungszahl unterschieden gibt es die qualitativen Fertigungstechnologietypen Einzel-, Serien- und Massenfertigung.

Fertigungstechnologien lassen sich ausserdem unterscheiden, indem man festgestellt, ob sie mechanisiert (in Form manueller Fertigung) oder eher automatisiert (in Form selbststeuernder Aggregate) sind.

Für welchen der vorgestellten Fertigungstechnologietypen man sich zur qualitativen Operationalisierung letztlich entscheidet, hängt davon ab, welcher Typ in der Organisation insgesamt vorherrscht.

Kommen wir nun zu den Informationstechniken im Bereich der Fertigung. Mögliche graduelle Ausprägungsformen des CIM-Subtyps CAM sind:

  • NC-Maschinen: lochstreifengesteuerte Stand-alone-Maschinen.
  • CNC-Maschinen: prozessgesteuerte, remote-programmierbare Maschinen.
  • DNC-Maschinen: vernetzte NC-Maschinen. Gleiche Software für alle!
  • Bearbeitungszentrum: umrüstbare Maschinen mit NC-Steuerung.
  • Flexible Fertigungszellen: Umrüstbare NC-Maschinen arbeiten zusammen an einem Produkt.
  • Flexible Fertigungssysteme: wie flexible Fertigungsstellen, diesmal nur über einen zentralen Rechner steuerbar.
  • Führerlose Transportsysteme: programmgesteuerte Prozessfertigung mit fahrenden Robotern.
  • Industrieroboter: sensorgesteuerte Prozessfertigung.

Der Einfluss der Fertigungstechnologie-Situation auf die Strukturen einer Organisation nach dem Situativen Ansatz:

  • Werkstattfertigung: Weil hier jeder alles macht, ist die Spezialisierung gering und die Koordination innerhalb der Werkstatt durch persönliche Weisung und Selbstabstimmung ebenfalls gering - nach aussen hin jedoch wegen der Unplanbarkeit der Vorgänge trotz der Puffer relativ hoch.
  • Fliessfertigung: Die Spezialisierung ist hier hoch, weil jeder nur noch ein paar Handgriffe erledigt. Im Betrieb ist die Koordination durch Planung bzw. Programmierung bzw. den Fliessbandvorgaben niedrig, wegen fehlender Puffer nach aussen hin aber relativ hoch.
  • Prozessfertigung: Die Spezialisierung ist hier niedrig, weil nur noch Kontrolleure nötig sind. Die Koordination nach innen ist wegen der Notwendigkeit der Planerstellung hoch und auch nach aussen hin, weil die Puffer fehlen. Koordiniert wird hier v.a. nach Planung, Selbstabstimmung und persönlicher Weisung.

Kern und Schumann beobachteten, dass die Automatisierung nicht nur eine Dequalifizierung (z.B. die Stelle des Packers), sondern auch eine Qualifizierung (z.B. die Stelle des Kontrolleurs) der Stellen, also eine Polarisation der Stellenqualifikation, mit sich bringt.

Und zuletzt gilt: Je kleiner eine Organisation ist, umso eher wirkt sich die Fertigungstechnologie-Situation auf ihre Organisationsstrukturen aus!

4.2.3.4. Operationalisierung der Informationstechnologie-Dimension

Hierzu könnte man z.B. die Zahl der Computer oder Telefone pro Arbeitnehmer feststellen, oder jede Absendung von E-Mails registrieren lassen, oder über Befragung der Mitglieder herausbekommen, welches Medium sie wie oft für was benutzen.

4.2.4. Operationalisierung der externen Situationsdimensionen

Burns und Stalker erfassen die Umweltdynamik durch subjektive Einschätzung der Organisationsleitung und teilen die Umwelten danach in statische oder dynamische ein. Khandwella macht etwas Ähnliches mithilfe von Skalierungstechniken. Nach Aiken und Hagen spiegelt auch die Produktinnovationszahl die Dynamik wieder.

Der Verschuldungsgrad gibt Auskunft über die Abhängigkeit einer Organisation von anderen Organisationen. Pugh unterscheidet hierbei zwischen Abhängigkeit von der Mutterorganisation und Abhängigkeit von den Lieferanten.

Zur Bestimmung der Komplexität der Umwelt kann man die Organisationsleitung auf einer Tafel alle empfundenen Einflussgrössen ankreuzen lassen. Summiert man dann die Kreuze und prüft, inwieweit sie untereinander zusammenhängen, kann man daraus auf den Grad der Komplexität schliessen.

Lorsch und Lawrence messen die Umwelt-Situation, ohne sie in die Teildimensionen Einfluss, Komplexität und Dynamik zu unterteilen, indem sie nur die empfundene Ungewissheit der Entscheider bei der gegenwärtigen Umweltsituation erfragen. Uns erscheint dieses Mass aus zwei Gründen wenig sinnvoll: Drei operationalisierte Teildimensionen sind aussagekräftiger als nur eine Masszahl, und es ist gut möglich, dass diese eine Masszahl etwas ganz anderes misst, als die Umwelt-Situation.

Generell ist bei der Messung der Umwelt-Situation eine Besonderheit zu beachten: Die subjektiven Einschätzungen sind den objektiven Sachverhalten vorzuziehen! Wir gehen ja davon aus, dass die Gestalter die Strukturen einer Organisation bestimmen - und die empfinden die Umwelt-Situation natürlich subjektiv. Ausserdem sind in diesem Fall Befragungen der Schlüsselpersonen sicher billiger als objektives Erhebungsmaterial zu erschliessen. Doch Obacht, die Befragung birgt die üblichen Nachteile: Schlüsselpersonen reden gerne vom Soll-Zustand oder sie übertreiben den Ist-Zustand, denn wie Kieser richtig fragt: Welcher Manager gibt schon zu, in einer statischen Umwelt zu leben?

Flexible (und damit innovationsfördernde) Strukturen sind nach dem Situativen Ansatz gegeben, wenn:

  • die Spezialisierung niedrig ist => Autonomie ist hoch.
  • die Delegation ausgeprägt ist => Dienstwege sind klein.
  • keine starren Hierarchien vorliegen.
  • wenig Stäbe existieren => Autonomie ist hoch
  • statt fixer Matrixstrukturen temporäre Teams eingesetzt werden.
  • Selbstabstimmung und Organisationskultur ausgeprägt sind.

Team-Varianten gibt es viele. Qualitativ lassen sich z.B. die Folgenden unterscheiden:

  • Innovationsworkshops: Es werden temporäre Gruppen zur Lösung bestimmter Probleme eingesetzt.
  • Qualitätszirkel: Es finden periodisch-fixe Treffen der Abteilungsmitglieder statt.
  • Produktkomitee: Es werden fixes Koordinationsteams für ein bestimmtes Produkt eingerichtet.
  • Projektgruppen: Das sind stärker formalisierte Innovationsworkshops.
  • Interne Venture Teams: Das sind Unternehmen in Unternehmen, die helfen sollen, Spin-offs zu vermeiden (z.B. Debis bei Mercedes Benz).
4.2.4.1. Operationalisierung der Konkurrenzverhältnisse-Dimension

Downey lässt die Organisationsleitung subjektiv abschätzen, wie viele Konkurrenten sie haben.

Die empirischen Untersuchungen zeigen, dass in konkurrenzdynamischen Umwelten der Grad der Spezialisierung wächst (!), ebenso die Dezentralisierung, aber auch die Programmierung bzw. Planung (!), um der Dynamik gerechter werden zu können. Vor dieser Aussage muss der Situative Ansatz kapitulieren; er kann sie nicht plausibel machen (im Gegensatz zu den evolutionären Ansätzen). Dass auch die Formalisierung zunimmt, lässt sich dagegen auf die neuen Stellenbeschreibungen zurückführen.

Dies widerlegt die These, dass bürokratische Strukturen in dynamischen Umwelten zu starr sind, um erfolgreich sein zu können. Das sind sie nur dann, wenn die persönliche Weisung (nicht aber der Formalismus) überhand nimmt.

4.2.4.2. Operationalisierung der technologischen Dynamik-Dimension

Tosi misst zur Technologiedynamik über einen längeren Zeitraum die Varianz der Forschungsaufwände bzw. der Investitionen.

Die empirischen Untersuchungen zeigen, dass bei hoher Technologiedynamik - anders als bei der Konkurrenzdynamik - nur eine Steigerung der Selbstabstimmung zu beachten ist (was bekanntlich Innovationen sehr förderlich sein kann)!

4.2.4.3. Operationalisierung der gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen-Dimension

Nach Stopford (1972) lassen sich folgende aufsteigende, qualitative Klassen der Internationalisierung ausmachen:

  1. Autonome selbstständige Tochtergesellschaften: Der Tochterleiter hat völlig freie Hand.
  2. Internationale Division: spezielle Einrichtung zur Koordination von (1)
  3. Globale Strukturen in Form von:
    • weltweit operierenden Produktdivisionen (es fehlt die Kulturbeachtung).
    • Gebietsdivisionen (weniger Economies of Scale).
    • Matrixstrukturen (hohe Leitungsintensität).
    • gemischten Strukturen (Produktdivision und Gebietsdivision nebeneinander).

Nach dem Situativen Ansatz gilt bezüglich der Klassen der Internationalisierung:

  • Amis mögen (3), Japaner mögen (2) und Europäer (1).
  • Je höher der Auslandsumsatz, desto höher ist die Internationalisierungsklasse!
  • Je heterogener das Produktionsprogramm ist, desto eher kommen Produktdivisionen vor!
  • Je höher die Auslandsproduktion, desto eher kommen Gebietsdivisionen vor!
  • Je innovativer Organisationen sind, desto eher gestalten sie Produktdivisionen!
  • Die Globalisierung der Produktdivisionen erhöht die Programmierung bzw. den Formalismus.
  • Die Organisationsstruktur wird beeinflusst von dem Bildungssystem, den Werten und Normen und dem Rechtssystem einer kulturellen Gesellschaft.

Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass die Organisationskultur nicht unbedingt innovationsfördernd sein muss, d.h., dass sich z.B. eine Orientierung der Mitglieder nur an den Zielen ihrer Abteilungen durchaus als effektiver erweisen kann. Möchte man innovative Organisationskulturen schaffen, so muss man dazu vorher in entsprechender Weise die Organisationsstruktur ändern (z.B. indem man Teams schafft).

Folgende Gestaltungsempfehlungen gibt der Situative Ansatz bezüglich der Internationalisierung aus:

  • Globalisierungsstrategien nicht übertreiben, damit die Strukturen der Organisation flexibel bleiben. Es kann immer passieren, dass in einem Gebiet plötzlich ein technischer Durchbruch gelingt, und die ortsansässige Organisation zum Forschungszentrum wird. Was, wenn dann alle Strukturen durch Programme zu sehr verkrustet sind, um sich auf diese neue Situation einzurichten?
  • Polares Konzepte erlauben: Je nach Produkt z.B. eine Globalisierung oder eine Lokalisierung der Entscheidungen anstreben. Besser ist es aber, gleich ein integriertes Netzwerk zu schaffen, d.h. Töchter zu Führern in bestimmt Problembereichen benennen: Dadurch findet dann weder eine zentrale noch regionale Führung statt, sondern eine verteilte.

4.2.5. Zwischenbilanz

Warum sind Organisationsstrukturen so, wie sie sind? Die Antwort darauf muss - nachdem was wir jetzt alles wissen - immer noch enttäuschend ausfallen. Weder die Situation noch deren Erweiterungen um Ziele und Strategien, liefern eine befriedigende Erklärung, denn zu nahe stehen sich all diese Begriffe - man müsste sie zuerst einmal präzisieren.

Welche Spielräume existieren bei der Gestaltung der Organisationsstrukturen? Die Antwort darauf ist ebenfalls unbefriedigend. Sie reicht vom Determinismus einiger Situativer Ansatz-Interpretationen, bis hin zur beliebigen Wahlfreiheit der personalistischen Modelle.

Hierzu ein Vorschlag von Kieser: Es muss der historisch-gesellschaftliche Kontext untersucht werden, um die Prinzipien des Rechtssystems, der Kultur, des Bildungssystems und Wirtschaftssystems aufzuspüren, die die Gemeinsamkeiten (nicht Unterschiede!) zwischen verschiedenen Strukturen von Organisationen zu erklären vermögen. Die Prinzipien geben die Rahmenbedingungen vor, die die Unternehmensverfassung, die Sozialstruktur, das Formalziel und die Hauptprodukte einer Organisation bei seiner Gründung beeinflussen. Sind diese Dinge erst einmal festgelegt, dann ist die Gestaltung der Strukturen, der Strategien oder der Ziele einer Organisation bereits begrenzt.

Für die Praxis schlägt Kieser weiter vor, dass man gezielt nach bestimmt Zielräumen suchen sollte, dass man Extremfälle zur Hervorhebung von Gestaltungsmöglichkeiten benutzt (was im krassen Gegensatz zu dem steht, was der Situative Ansatz an Gestaltungstipps ans Tageslicht befördert) und dass man Experimente mit der Organisationsstruktur initiieren sollte, um im Trial-and-Error-Verfahren innovative Strukturen austesten zu können.

4.3. Operationalisierte Konzeptionen des individuellen Verhaltens

Wird das Handeln der Organisationsmitglieder gesteuert durch formale Regeln oder ist es eher das Ergebnis von Verständigungsprozessen bzw. Interaktionsprozessen? Max Weber billigt den Strukturen starken Einfluss zu (er nennt sie immerhin "eiserne Käfige"), ebenso der (deterministische) Situative Ansatz. Die Vertreter interpretativer Ansätze sagen aber, dass die Strukturen alleine noch kein Handeln bestimmen können, sie seien eher die Resultate der vorhandenen Werte, Ideale und Symbole der Handlungsträger.

Wir behaupten an dieser Stelle einfach: Beide Ansätze haben recht. Die Strukturen einer Organisation beeinflussen ganz sicher das Verhalten der Mitglieder, dazu müssen sie jedoch - zumindest zwischen den direkten Interaktionspartnern - auf intersubjektive Weise interpretiert werden. Je nach der Gewichtssetzung bildeten sich daraus zwei Verhaltenstheorien heraus: die strukturelle und die interpretative Rollentheorie.

4.3.1. Strukturelle Rollentheorie

Diese Rollentheorie geht davon aus, dass Rollen (wie z.B. die Arzt- oder Liebhaberrolle) durch andere Personen definiert werden, d.h. dass an eine Rolle generalisierte Erwartungen geknüpft sind (wie z.B. weisse Kleidung oder ungestüme Leidenschaft). In Organisationen werden Rollen in Form von Stellen durch formale Vorgaben definiert. Und diese formalen Vorgaben sind das Resultat der Erwartungen der Vorgesetzten, der Kollegen, der Untergebenen, der organisationsexternen Partner, der Rolleninhaber selbst und sogar durch die Technik (wenn z.B. ein Computer den Benutzer zu einem bestimmten Rollenverhalten nötigen kann).

Es existieren einmal Interrollenkonflikte, wenn z.B. die Sachbearbeiterinnen-Rolle mit der Mutterrolle kollidiert, und es existieren zum anderen Intrarollenkonflikte, wenn z.B. bei Matrixstrukturen mehrere Vorgesetzte gleichzeitig unvereinbare Erwartungen an einen Rollenträger knüpfen.

4.3.2. Interpretative Rollentheorie

Diese Theorie geht davon aus, dass Rollen nicht durch andere Personen definiert sind, sondern jedes Mal neu interpretiert werden müssen (das wollte die strukturelle Rollentheorie gerade verhindern). Das Role-Taking-Prinzip in Verbindung mit dem Role-Making-Prinzip hilft einem Interaktionspartner hierbei: Die Handlungsabsichten werden gegenseitig erkannt und können daher erwartungsgemäss befriedigt werden.

Laut Kieser ist die interpretative Rollentheorie v.a. deshalb besser zur Erklärung des Verhaltens von Mitgliedern geeignet, da sie neben der offiziellen Rolle auch die inoffizielle Rolle jedes Stelleninhabers erfasst.

4.3.3. Zwischenbilanz

Welchen Einfluss haben die formalen Regeln auf das Handeln der Mitglieder? Wir können antworten:

  • formale Regeln schreiben bestimmt Handlungsweisen in bestimmten Situationen in verbindlicher Weise vor. Sie sind Bestandteile des Arbeitsvertrages, und also legitim. Bei Nichteinhaltung erfolgen i.d.R. Sanktionen. Um sie einhalten zu können, müssen sie interpretiert werden, wozu häufig ein spezielles Berufswissen nötig ist. Sie beeinflussen das Verhalten der Mitglieder in prägnanter Weise. Aus diesem Grund sind Teams und Selbstkoordination - dem Situativen Ansatz zur Freude - brauchbare Indikatoren für die Strukturen einer Organisation.
  • Neben den formalen Regeln trägt der Mensch sogenannte Skripte im Kopf mit sich herum, die ihm ein prototypisches Handeln in bestimmten Situationen vorgeben können. Dadurch wird er bei der Lösung von Ad-hoc-Problemen entlastet, was zwar Zeitvorteile bringt, dafür aber nicht innovativ ist. Skripte lassen sich als Bindeglied zwischen den formalen Regeln und dem eigentlichen Handeln sehen.

4.3.4. Selbstorganisation als Gestaltungsprinzip

Der Taylorismus hilft uns beim Auffinden ökonomischer Organisationsstrukturen. Allerdings sind diese - wie der Human Relations-Ansatz zeigte - der Arbeitszufriedenheit und der Motivation der Mitglieder nicht gerade förderlich. Die meisten Menschen wollen ihre Arbeit nicht auf ein paar Handgriffe reduziert sehen (die im Prinzip jeder entsprechend konditionierte Affe auch ausführen könnte). Viel lieber möchte er ohne Vorgaben arbeiten und nach seiner eigenen Methodik etwas Eigenes schaffen - er möchte sich also lieber selbst organisieren.

Nach Hackmann gilt die Unterscheidung, dass Selbstführung Ergebnisverantwortung, Ergebniskontrolle und gegenseitige Abstimmung beinhaltet. Bei der Selbststrukturierung kommt zusätzlich hinzu, dass die Betroffenen selbst die Strukturen bedürfnisgerecht gestalten dürfen. Die Selbstzielsetzung schliesslich ermöglicht eine Selbstorganisation, die gänzlich ohne Fremdeinfluss auskommt - was aber offenbar aus Sicht der Organisationsleitung nur bei Vorständen oder internen Venture Teams erstrebenswert ist, denn Selbstorganisation findet in der Praxis nicht statt.

Auch die Selbstführung hat laut March und Simon Probleme, sich durchzusetzen - selbst wenn das Management sie ausdrücklich billigt. Denn wie das schlechte Geld das gute verdrängt (weil es jeder loswerden will), verdrängt die Fremdführung auch die Selbstführung (weil Fremdführung bequem macht). Und in gleicher Weise verdrängen die Routinen die Innovationen (weil Programme leichter ausführbar sind).

Diese Ansicht stimmt auch mit der Annahme der evolutionären Managementtheorie überein, dass Organisationen nur begrenzt gestaltbar sind, weil eine synoptische Rationalität (z.B. eine Selbstführung als Strukturierungsmassnahme, die von oben verordnet wird) selten der Realität gerecht werden kann. Besser ist es für das Management, nur exogene Rahmenbedingungen zu schaffen, die eine endogene Ordnung hervorbringen können. D.h., eine Selbstführung kann nur dann funktionieren, wenn:

  • klare Ziele vorgegeben sind, die mit den Zielen der Organisation übereinstimmen, die aber auch die Bottom-up-Einflüsse der Mitglieder berücksichtigen.
  • ganzheitliche Aufgabenbereiche geschaffen werden, in denen sich Mitglieder "verwirklichen" können. Das Ganzheitsprinzip lässt sich auch auf beliebige Gruppen ausweiten. Die so gruppierten Mitglieder können sich gegenseitig qualifizieren, der Spielraum zur Selbststrukturierung wächst, die Qualität der erarbeiteten Lösungen erhöht sich und das Motivationspotenzial wird durch die Befriedigung sämtlicher sozialer Bedürfnisse gesteigert.
  • das (Erfolgs-)Feedback nicht nur an das Management, sondern v.a. auch an die Betroffenen weitergeleitet wird.
  • die Vorgesetzten bzw. Experten nicht vorgebend, sondern beratend arbeiten. Führen bedeutet hierbei also, sich selbst entbehrlich zu machen. Das wird aber wohl nur selbstlosen und/oder arbeitnehmerfreundlichen Managern gelingen - und solche Manager wären schon fast ein Widerspruch in sich.