Fragmente der Organisationspsychologie I

Geschwurbel von Daniel Schwamm (28.05.1994)

Inhalt

1. Gruppen

1.1. Bestimmungsmerkmale

Bestimmungsmerkmale von Gruppen sind u.a.:

  1. Rollendifferenzierung: I.d.R. wird in Gruppen eine Arbeitsteilung vorgenommen. Die Rolle, die dabei jeder einnimmt, hängt ab von seinem sozialen oder formalen Status. Typisch ist in diesem Zusammenhang z.B. die Hackordnung, bei der es eine klare Rangordnung zwischen den Mitgliedern der Gruppe gibt.
  2. Überdurchschnittlich viele Kontakte: Die Interaktionshäufigkeit zwischen Gruppenmitglieder ist i.d.R. höher als die Interaktionshäufigkeit zwischen Nicht-Gruppenmitgliedern. Ein soziales Gesetz besagt, dass dadurch Freundschaft und Sympathie laufend gefestigt bzw. verstärkt werden.
  3. Wahrgenommene Ähnlichkeit: Die Gruppenmitglieder befinden sich i.d.R. in der gleichen oder in einer ähnlichen Situation, wodurch relativ leicht ein innerer Zusammenschluss zwischen den einzelnen Individuen erreicht wird.

1.2. Gruppennorm

Gruppennormen legen das erwartete Beitragsniveau zum Erhalt der Gruppe von jedem Mitglied der Gruppe fest. Dadurch findet eine Deindividualisierung der Mitglieder statt. Zur Einhaltung der Normen verfügen Gruppen i.d.R. über Sanktionsmassnahmen, die bis hin zum Ausschluss aus der Gruppe gehen können. Erhoben und gemessen werden Gruppennormen meist über Befragungen bzw. Beobachtungen, jedoch ist bei diesen Methoden zu erwarten, dass von den Umgebungsnormen stark abweichende Gruppennormen von den Mitgliedern der Gruppe bewusst geheim gehalten werden.

1.3. Gruppenkohäsion

Die Gruppenkohäsion gibt das Mass an, wie attraktiv die Mitgliedschaft in der Gruppe für ihre Mitglieder ist. Die Gruppenkohäsion spiegelt also das Anreizniveau wieder, welches bei entsprechender Ausprägung auch Personen zu Gruppen zusammenschweisst, die genauso gut interdependent agieren könnten. Erhoben und gemessen wird die Gruppenkohäsion über Befragungen und Beobachtungen, z.B. bezüglich des Arbeitsklimas. Ein relativ objektives Mass ist z.B. die Relation Binnenkontakte:Aussenkontakte der Gruppenmitglieder. Allerdings geht diesem Mass einiges an Aussagekraft verloren, da die Organisationsstrukturen die Kontakthäufigkeiten u.U. verfremden können, indem sie z.B. Gruppenmitglieder räumlich verteilt platziert.

Es ist wichtig zu bemerken: Eine hohe Gruppenkohäsion korreliert positiv mit einer hohen Arbeitszufriedenheit, korreliert aber nicht unbedingt auch mit einer höheren Gruppenleistung (im Gegensatz zur Annahme des Human-Relation-Ansatzes). Insofern müssen kohäsionssteigernde Massnahmen zur Gestaltung der Arbeit nicht in jedem Fall mit einer Output-Steigerung einhergehen. Aber dafür verbessern sie fast immer die Fluktuationsraten und Krankenstandraten, wodurch dem Unternehmen insgesamt Effizienzvorteile erwachsen.

1.4. Teilautonome Arbeitsgruppen

Eine Erhöhung der Gruppenkohäsion lässt sich beispielsweise durch Einrichtung teilautonomer Arbeitsgruppen realisieren. Hier können die Arbeiter selbst die Mitglieder ihrer Gruppe rekrutieren, hier können sie selbst die Individualziele der Gruppenmitglieder auf die Gruppenziele und die Gruppenziele der Gruppen auf die Unternehmensziele ausrichten. Nötig dazu ist allerdings eine Kommunikationsstruktur, die die intragruppale Interaktionshäufigkeit steigert. Der Partizipationseffekt der teilautonomen Gruppen wirkt sich dann i.d.R. hauptsächlich auf die qualitative Dimension der Leistung positiv aus.

2. Formelle und informelle Strukturen und Prozesse

2.1. Formelle Strukturen

Formelle Strukturen liegen in Organisationen in schriftlich fixierter Form vor, z.B. in Form von Stellenbeschreibungen und Organigrammen.

2.2. Informelle Strukturen

Informelle Strukturen sind nicht schriftlich fixiert. Sie kommen i.d.R. in Form von Gruppennormen vor, wie wir sie weiter oben gesehen haben.

2.3. Abweichungen zwischen formellen und informellen Strukturen

Werden zwischen formalen und informellen Strukturen Abweichungen erkannt, so deutet dies an, dass die formalen Strukturen die Bedürfnisse der Betroffenen nicht hinreichend berücksichtigt haben. Dies erfordert eine organisatorische Korrektur, wobei jedoch Wert darauf zu legen ist, dass auch strukturell-korrigierend und nicht nur personal-korrigierend vorgegangen wird.

2.4. Erhebung informeller Strukturen und deren Analyse

Da die formalen Strukturen schriftlich fixiert vorliegen, müssen sie nicht explizit erhoben werden. Anders sieht dies bei den informellen Strukturen aus, für deren Erhebung sich Fragebögen eignen, die ein Soziogramm (grafische Darstellung der Beziehungen in einer Gruppe) mit Daten versorgen können. Eine mögliche Frage auf solch einem Fragebogen zur Erhebung der informellen Strukturen wäre z.B.: "Mit wem im Unternehmen würden Sie besonders gerne zusammenarbeiten?" Fragentechnisch muss verhindert werden, dass Tüchtigkeitsmerkmale mit Beliebtheitsmerkmalen in einen Topf geworfen werden, denn man möchte ja die informellen Strukturen des Arbeitssystems aufdecken und nicht die informellen Strukturen eines Feierabendstammtisches.

Eine Analyse des Soziogramms zeigt Aussenseiter, Schlüsselpersonen und Sündenböcke auf. Ergänzt werden können diese Ergebnisse durch Beobachtungen; die Sitzordnung in der Kantine, spontane Kooperationen und (konspirative) Treffen sind hier z.B. relevant.

2.5. Verbesserung der formellen Strukturen

Berücksichtigung finden die Ergebnisse der Erhebung der informellen Strukturen in der Änderung der formalen Strukturen. So kann z.B. Job Rotation initiiert werden, es können neue Kommunikationskanäle eingerichtet werden, es können räumliche Änderungen vorgenommen werden, und es können regelmässige Besprechungen zwischen bestimmten Gruppen institutionalisiert werden.

3. Soziale Konflikte

3.1. Organisationspsychologen versus Organisationssoziologen

Die Organisationspsychologen interpretieren soziale Konflikte, z.B. Konflikte zwischen zwei Abteilungen, die beide auf die gleichen knappen Ressourcen zugreifen wollen, i.d.R. als leistungshemmend. Ganz anders sehen dies die Organisationssoziologen: Sie interpretieren soziale Konflikte als etwas durchaus Positives. Warum, werden wir gleich sehen.

3.2. Soziale Konflikte als Rollenkonflikte

Soziale Konflikte sind meist Rollenkonflikte, d.h. Konflikte, die durch bestimmtes Rollendenken entstehen. Unterschieden werden müssen hier:

  • intraindividuelle Rollenkonflikte: Der Träger mehrerer Rollen sieht sich vor das Problem gestellt, dass sich die eine Rolle (z.B. die der Mutter) nicht mit einer anderen Rolle (z.B. die der Geschäftsfrau) verträgt.
  • interindividuelle Rollenkonflikte: Verschiedene Rollenträger sehen sich vor das Problem gestellt, dass die Rolle des Einen (z.B. Putzfrau) sich nicht mit der Rolle eines Anderen (z.B. Nachtarbeiter) verträgt.

Solche sozialen Konflikte können manifest oder latent sein. Sie entstehen v.a. durch die Heterogenität der einzelnen Rollen, die in einem Unternehmen von oben bestimmt werden, die untereinander koordiniert werden müssen, bei denen Machtasymmetrien vorliegen, die im Wettbewerb zueinanderstehen usw. All diese Punkte können deutlich leistungshemmend wirken. Die positiven Aspekte von sozialen Konflikten, wie sie die Organisationssoziologie herausgearbeitet hat, spielen jedoch ebenso eine Rolle für die Leistung: Bei Konflikten steigt der Gruppenzusammenhalt ("Wir gegen die anderen"-Gefühl), die Zielorientierung ist ausgeprägter, und die Bereitschaft, sich Autorität zu unterwerfen, wächst hin bis zum reinen Befehlsempfänger.

3.3. Notwendigkeit von Konflikten in dynamischer Umwelt

Generell können Konflikte als Quelle von Änderungen betrachtet werden. In einer dynamischen Umwelt sind aber laufende Änderungen für das Überleben des Systems evident. Mit anderen Worten: Konflikte innerhalb einer Organisation sind von immanenter Wichtigkeit.

3.4. Konfliktbeseitigung

Konflikte erfüllen nur dann ihre positive Kraft, wenn sie nicht ignoriert werden, sondern Änderungen an den Organisationsstrukturen hervorrufen, die letztlich auf eine Beseitigung der Konflikte hinauslaufen. Und diese Konfliktbeseitigung wird erreicht durch:

  1. Konfliktminderung: Die Zeit löst den Konflikt auf.
  2. Konfliktunterdrückung: Der jeweils Mächtigere verhindert die Eskalation des Konflikts durch Herrschaft.
  3. Konfliktauflösung: Die am Konflikt beteiligten Gruppen bzw. Individuen finden einen Kompromiss oder einen Konsens, der das Problem beseitigt.