Neue Management-Konzepte (Leaning)

Geschwurbel von Daniel Schwamm (24.05.1994)

Inhalt

1. Einleitung

1.1. Lean Production und Lean Management

Neue Managementkonzepte meint in dieser Arbeit die Lean Production und das Lean Management, bei denen es darum geht, die mittlere Managementebene zu minimieren. Neuartig ist dieses Konzept v.a. deshalb, weil hier die Manager selbst unter Rationalisierungsaspekten zu sehen sind. Das wirft in erster Linie mikropolitische Probleme auf, denn Manager verfügen über Macht, die sie natürlich nicht gegen sich selbst einsetzen wollen. Doch bei geeigneten Massnahmen lassen sich ihre Schutzmechanismen unterbinden.

1.2. Beispiel - Leaning bei ABB Ltd

Die Effekte von Lean Production und Lean Management können erheblich sein. Beim Konzern ABB Ltd z.B. waren in der Zentrale 1987 noch über 4.000 Personen beschäftigt, v.a. leitende Manager, die bis 1992 auf 150 Personen dezimiert wurden. Das waren harte Einschnitte beim Personal. Doch diese radikal anmutenden Massnahmen führten auch zur dringend benötigten Gesundschrumpfung des Unternehmens, die sein Fortbestehen überhaupt erst ermöglichte.

2. Akteure beim Leaning

Vom Leaning sind folgende Akteure betroffen:

  • Top-Management: Steuert den Reorganisationsprozess.
  • Mittleres Management: Hauptbetroffene des Leanings. Sie können als Verlierer oder aber auch als Gewinner daraus hervorgehen.
  • Stäbe (Technostruktur): Berater des Top-Managements.
  • Lenkungskreise: Sie koordinieren die Zusammenarbeit der Abteilungen während des Leanings.
  • Sprecherausschuss für leitende Angestellte: Sie bilden u.U. Schutzkoalitionen mit dem mittleren Management.
  • Angestellte: Werden aus Akzeptanzgründen am Leaning beteiligt.

3. Kulturschaffung zum Leaning

Damit ein Leaning nicht von vorneherein auf massive Ablehnung stösst, muss schon im Vorfeld für das neue Konzept geworben werden. Dies gelingt am besten durch Visionen, die von Schlüsselpersonen getragen werden, durch Änderung der Unternehmenswerte ("Leaning ist hip!" und "Visionen statt Eigeninteresse!") und durch Schaffung einer geeigneten Unternehmenskultur, welche die Manager ideologisch einzubinden vermag, um so ihre Kooperationsbereitschaft zu maximieren sowie Gegenmassnahmen zu minimieren.

4. Die Fallstudien

Als Beispiel für die Folgen eines Leaningprozesses betrachten wir sechs Fälle von realen Reorganisationsprozessen in Unternehmen verschiedener Branchen. Jeweils 10 bis 15 Manager wurden hierzu interviewt.

4.1. Die Teilnehmer

Die Branchen und die Reorganisationsmassnahmen im Einzelnen waren:

  1. Verkehr: Dezentralisierung und Bildung von Profitcenter.
  2. Versicherung: Enthierarchisierung, v.a. im Vertrieb.
  3. Kommunikation: Enthierarchisierung, v.a. im Vertrieb.
  4. Chemie: Dezentralisierung.
  5. Pharmaindustrie: Enthierarchisierung und Projektmanagement.
  6. Automobil: Enthierarchisierung, v.a. in Planung und Controlling.

4.2. Ergebnisse des Leanings

4.2.1. Reaktionen auf das Leaning

Folgende Reaktionen wurden in den sechs Organisationen während des Leanings registriert:

  • personalpolitische Vorstrukturierung: In fast allen Fällen (5:1) führten den Reorganisationsprozess neue Manager des Top-Managements durch, die ihren eigenen Gefolgsleute im Unternehmen an strategisch wichtigen Stellen platzierten, um so ihrer Loyalität sicher sein zu können.
  • normative Vorstrukturierung: In allen Fällen wurden durch mehrere Lenkungsausschüsse die Abteilungen bereits im Vorfeld auf den anfallenden Reorganisationsprozess "eingeschworen". Sie schleusten die Vision in das Bewusstsein der Betroffenen.
  • Identifizierung von Verlieren und Gewinnern: Die Manager der Unternehmen - v.a. des mittleren Managements - gruppierten sich in zwei Gruppen. In diejenigen, deren Arbeitsfeld durch das Leaning wuchs, und in diejenigen, die ihren alten Posten verlieren würden. V.a. die älteren Manager wussten um ihre zukünftige Machtbeschneidung.
  • Abwehrkoalitionen: Die Leaning-Verlierer bildeten Koalitionen, mit dem Ziel, den Leaningprozess abzublocken und zu behindern, in der Hoffnung, dass der Status quo erhalten bleibt, oder aber wieder eine Restauration der alten Verhältnisse durchgeführt werden würde.
  • Interessensausgleichsofferten: Um die Kraft der Abwehrkoalitionen zu mildern und überhaupt auch Unsicherheit zu minimieren, machte das Top-Management häufig das Angebot, dass Arbeitsplätze nicht verloren gingen, sondern sich nur ihren Inhalt ändern würden (Ausnahme: Automobilindustrie, die Stellabbau als explizites Ziel enthielt). Ältere Manager wurden verstärkt Frührenten oder Repräsentationsposten angeboten, bei denen sie zwar an formaler Macht verloren, nicht aber ihre Privilegien wie Dienstwagen und Sekretärin. Jüngere Manager wurden dagegen z.B. zu Projektleitern o.ä. gemacht.

4.2.2. Unerwartete Folgen des Leanings

Als Endergebnis ergab sich folgendes Bild: Die Reorganisation dauerte zwischen 18 und 30 Monaten. In einigen Fällen konnte eine Führungsebene eingespart werden, ohne dass die Mitglieder der Organisationen entlassen werden mussten. Doch auch unerwartete Folgen gab es einige:

  • In einem Fall bildete der Betriebsrat eine Koalition mit den leitenden Angestellten und blockierte so mit geeinter Kraft das Leaning.
  • Trotz Dezentralisierung nahmen in einem Fall die zentralen Funktionen eher zu als ab.
  • Der mittleren Ebene gelang in einem Fall eine erhebliche Verzögerung des Leanings.
  • Ein Leaning wurde durch den Unternehmenseigentümer selbst abgebrochen.
  • Das Leaning war zwar erfolgreich, doch die Motivation und Orientierung der Betroffenen war dadurch an einem Tiefpunkt angelangt. Mit anderen Worten: Operation gelungen, Patient tot.
  • In einem Fall wurden die alten Strukturen nachträglich wieder restauriert.

5. Zusammenfassung und Ausblick des Leanings

Lean Production und Lean Management bedeuten ein Arbeiten in einem Spannungsfeld zwischen Konkurrenz, Interessenkonflikten und Machtmobilisierung einerseits, und Kooperationsbereitschaft, Interessenausgleich und Vertrautheit im Management andererseits. V.a. informelle Regelungen, die in erster Linie auf Vertrauensbeziehungen basieren, die anders aber als die Abwehrkoalitionen öffentlich nicht direkt wahrgenommen werden, können beim Leaning für Überraschungen sorgen. Die Organisationstheoretiker müssen diesen Bereich demnach verstärkt ihre Aufmerksamkeit schenken. Neben der allgemeinen Mikropolitik spielen dabei u.U. auch solche Dinge wie gemeinsame Herkunft der Manager, gleiche Ausbildung, gleiches Alter u.ä. eine Rolle, die diesen unsichtbaren Interaktionskanälen unerwartete Stabilität verleihen können.