Rationalisierung im Verwaltungsbereich

Geschwurbel von Daniel Schwamm (27.06.1994)

Inhalt

1. Gemeinschaftskosten-Wertanalyse

1.1. Management als Rationalisierungsakteur

Seit den 70ern wird nicht nur die Ablauforganisation rationalisiert, sondern auch die Produkte selbst. Die Wertanalyse im Produktbereich bringt Produkte mit gleichen Leistungswerten, aber niedrigeren Kosten zuwege, indem z.B. festgestellt wird, dass ein 4 mm-Blech ausreicht, wo bisher 5 mm-Blech eingesetzt wurde. Es geht bei der Wertanalyse also zunächst darum, die Funktion eines Produkts zu ermitteln, um dann gezielt nach alternativen Lösungen suchen zu können, ohne Rücksicht auf bestehende Strukturen nehmen zu müssen. Dieser Gedanken wird nun auch im Verwaltungsbereich verfolgt, wo die Gemeinschaftskosten überproportional angewachsen sind. Gründe dafür gibt es zahlreiche: Die natürliche Dynamik in Organisationen, die verschiedenen Instrumentarien, die jedermann zu Verbesserung seiner Ergebnisse einsetzt, die letztlich aber eher Kosten als Nutzen verursachen, die Rationalisierung der Produktion fördert die Verwaltung, überflüssige Dienstleistungen, Prognosen bis ins Jahr 3000, externe Experten drängen sich auf, schlichter Übereifer (jede neue BWL-Theorie wird gleich ausprobiert), die Machtbedürfnisse einzelner, Parkinsons Gesetze, usw. Dabei gilt: Der Gewinnbeitrag der Verwaltungshilfsmittel lässt sich zwar nicht nachweisen, aber angeschafft werden sie dennoch immer in guten Zeiten, während sie in schlechten Zeiten dann keiner mehr ohne Kampf wieder hergeben will.

Die GK-Wertanalyse ist eine reine Kostensenkungsmethode (im Gegensatz zum Zero-Base-Budgeting, das auf Kostenumverteilung hinzielt; siehe nächstes Kapitel). 50% der Gemeinschaftskosten (GK) eines Unternehmens setzten sich aus Verwaltungskosten zusammen, ca. 85% der Verwaltungsgemeinschaftskosten wiederum gehen auf das Konto des Personals, welches vom mittleren Management beherrscht wird. Statt dass wie bei der konventionellen Ablaufrationalisierung und Wertanalyse nur die Ausführenden die Rationalisierungsmassnahmen zu spüren bekommen, sind bei der GK-Wertanalyse v.a. die mittleren Manager betroffen, was ganz im Einklang mit der derzeitigen Leaning-Absicht ist.

1.2. Die Methode

Die GK-Wertanalyse besteht aus fünf Projektschritte. Die Hauptakteure sind die mittleren Manager selbst, denn sonst wäre kaum ein Erfolg in Aussicht zu stellen. Die Experten der GK-Wertanalyse (z.B. McKinsey, die die GK-Wertanalyse entwickelt haben) halten sich im Hintergrund. Jeder Schritt dauert nach den "eisernen Regeln der GWA" nur exakt eine Woche, alle Beschlüsse sind unveränderbar, und den Leitern der Untersuchungseinheit ist jeweils nur der nächste Schritt bekannt (dadurch können effektiv Blockadeversuche unterbunden werden).

  1. Vorschulung: Bekanntmachung der Generalamnesie, d.h. es kann kein Leiter dafür zur Verantwortung gezogen werden, dass er die zu findenden Sparvorschläge in seiner Organisationseinheit nicht schon früher entdeckt und realisiert hat.
  2. Die Leiter der Untersuchungseinheit bestimmen sämtliche Funktionen, die unter ihrer Obhut ablaufen. Zudem wird aufgeführt, wo die Kosten entstehen und wer Nutzniesser der exportierten Dienstleistungen ist. Dieser Schritt ist sicher der schwierigste, v.a. weil es sich hier um Verwaltungsgemeinschaftskosten handelt, also um geistige Tätigkeiten wie Planung, Programmierung, die nicht von Externen beobachtbar sind. Allerdings verlangt die GWA keinesfalls sonderlich genau IST-Analysen; grobe Schätzungen (Aufwände bis 0.1 Mannjahre Genauigkeit angeben) reichen vollkommen aus.
  3. Die Leiter der Untersuchungseinheit bekommen den Auftrag von den Leitern der Projektgruppe (die sich nach McKinsey aus den Profilierungssüchtigen des Middle Management der Organisation rekrutieren) Vorschläge zu finden, mit denen sich 40% der Kosten reduzieren lassen (die abstrakt in Mannjahren vorliegen, da ja keine Tätigkeiten, sondern nur Funktionen betrachtet werden). Diese utopische Forderung radikalisiert das Denken, und soll schlummernde Ideen wachrütteln, auch wenn sie noch so verrückt klingen. Die Liste mit den Vorschläge, die der Leiter der Untersuchungseinheit mithilfe seiner Mitarbeiter zusammenbringt, muss er anschliessend unterschreiben. Es sind dann SEINE Vorschläge, während die obere Führung ihre Hände für alle folgenden Massnahmen in Unschuld waschen kann. Die Wirkung ist letztlich schwer abschätzbar, denn bei Verwaltungsgemeinschaftskosten kann man nicht so leicht wie bei der Wertanalyse des Produktbereichs mit monetären Grössen rechnen. Oft läuft die Sache auf aus ein Ausprobieren von Alternativen hinaus, deren Erfolg langfristig keinesfalls gesichert ist.
  4. Die Vorschläge werden auf ihre Durchführbarkeit hin untersucht. Der abteilungsfremde Projektleiter hat dafür zu sorgen, dass die Leiter der Untersuchungseinheit möglichst viele A-Vorschläge zusammenbringen, denn nur diese sind sinnvoll zu realisieren; ausserdem ist er es, der die Vorschläge vor dem Lenkungsauschuss (GWA-Experten und Top-Management) verantworten muss. Da der Leiter der Untersuchungseinheit begreift, dass hinter den von ihm gewonnen Mannjahre letztlich Personen stehen, die entlassen werden können/sollen, wird er gerade entgegengesetzt versuchen, möglichst viele C-Vorschläge anzubieten, um keine Mitarbeiter zu verlieren. GK-Wertanalysen bieten offenbar reichlich Konfliktpotenzial.
  5. Die A-Sparvorschläge werden - sofern der Lenkungsausschuss zustimmt - in Aktionsprogramme transferiert und von den Leitern der Untersuchungseinheit realisiert, d.h. sie sind es auch, die wählen müssen, wen von ihren Mitarbeitern sie entlassen müssen.

1.3. Kritik

Die GK-Wertanalyse ist eine Rationalisierungsmethode, die so rasch abgearbeitet wird (wobei explizit jede Verzögerung von vorneherein ausgeschlossen ist), dass die Leiter der Untersuchungseinheit regelrecht überfahren werden. Ehe sie überhaupt begreifen, dass sie mit der GK-Wertanalyse letztlich ihre eigene Abteilung beschneiden, weil sie sich im Rationalisierungsrausch befinden, können sie keine Abwehrmassnahmen treffen. Nach einer Woche hat der Lenkungsausschuss ihre unterschrieben A-Vorschläge in der Hand und sagt zu den Leiter der Untersuchungseinheit: "Nun entlasst einmal schön!" Das Management kann helfen, indem es günstige Pensionsregelungen trifft, jedoch kann es dann passieren, dass den Leitern der Untersuchungseinheit die falschen Leute abhanden kommen. Andererseits kann der Leiter der Untersuchungseinheit die GK-Wertanalyse auch als willkommen Anlass nehmen, (vielleicht funktionswichtige) ungeliebte Mitarbeiter loszuwerden, was auch nicht im Sinne einer Effizienzsteigerung sein kann.

Lerneffekte sind zu erwarten; die Administratoren-Askese gefällt den Administratoren nicht, und daher werden sicher zukünftig A-Vorschläge bei GK-Wertanalysen sicher nie wieder so zahlreich sein, wie sie das bei den ersten durchgeführten GK-Wertanalysen waren. Zudem zeigen A-Vorschläge nicht nur auf überflüssigen Speck, denn der kann auch wichtige Pufferfunktionen besitzen; ausserdem unterstützt er u.U. eine Erweiterung/einen Fortschritt der Organisation und wirkt sich auf die AZ aus. Zuletzt bestimmen auch die Fähigkeiten des Leiters der Untersuchungseinheit, ob und wie weit A-Vorschläge gebildet werden können, d.h. man traut den Leitern der Untersuchungseinheit u.U. zu viel Know-how in Richtung Rationalisierung zu, um über sie das Optimum erreichen zu können.

Die GK-Wertanalyse bekämpft eigentlich nur Symptome, nicht aber die Ursachen. Denn die natürliche Dynamik, das Verhalten der Mitarbeiter ändert sich dadurch ja nicht. Früher oder später kommt es wieder zu einer Aufblähung des mittleren Managements, was eine erneute GK-Wertanalyse erforderlich macht (worüber sich die Unternehmensberatungen sicher freuen werden, nicht aber die Betriebsräte, die z.T. GK-Wertanalysen nur zulassen, sofern keine Entlassungen damit verbunden sind).

2. Zero-Base-Budgeting

2.1. Konzeption

Zero-Base-Budgeting aus den 60ern von Texas Instruments ist eine Analyse- und Planungstechnik zur Umverteilung von Ressourcen und gleichzeitiger Kosteneinsparung. Im Gegensatz zur GK-Wertanalyse dient es nicht nur der reinen Kostensenkung bei Beibehaltung der bisherigen Systemen der Funktionserfüllung (i.d.R. Abteilungen), sondern sieht auch eine Änderung der Funktionserfüllung und der Systeme selbst vor. Dabei wird von einer Nullbasis ausgegangen, d.h. man stellt sich vor, man würde das Unternehmen gerade erst "auf der grünen Wiese" gründen. Dies zwingt zu einer Strategiebildung, d.h. das Unternehmen kann nicht wie sonst oft üblich mit "Volldampf durch den Nebel fahren". Wiederum wird die Ermittlung und Durchführung der Änderungen dem mittleren Management überlassen, denn wie die GK-Wertanalyse zielt auch das Zero-Base-Budgeting hauptsächlich auf Verwaltungsgemeinschaftskosten ab; die Experten des Zero-Base-Budgeting beraten nur. I.d.R. wird sie alle drei bis fünf Jahre durchgeführt und eignet sich v.a. für Projekt-Organisationen, die auf intensive Kooperation zwischen den Abteilungen angewiesen sind. Sie dauert ca. 16 Wochen, was ziemlich kurz ist, angesichts ihrer potenziellen Wirkung.

2.2. Durchführung

  1. Entscheidungseinheiten bilden: Die Funktionsträger (z.B. Abteilungen, Gruppen, Stäbe, ...) werden anhand der bestehenden Organisation zu Entscheidungseinheiten zusammengefasst. Angegliedert ist eine Feststellung der Kosten der Leistungen und die Empfänger der Leistungen. Z.B. lässt sich die Entscheidungseinheit Rechnungswesen aus den Funktionseinheiten Debitoren, Kreditoren, Mahnwesen, Bilanzen, Rechnungsprüfung usw. bilden. Fünf bis acht Wochen Zeit kann dieser - für den laufenden Betrieb aufwendige - Schritt für sich beanspruchen. Jeder Mitarbeiter zählt dabei stets als Mannjahr, egal, welche Leistung er erbringt - es sei denn, er ist Halbtagsarbeiter. Die Daten werden über Standard-Formulare erhoben, die allgemein bekannt sind.
  2. Entscheidungspakete jeder Entscheidungseinheit bilden: Hierbei geht es nicht immer darum, die Funktionen (unabhängig von der derzeitigen Aufbau- und Ablauforganisation) effizienter zu gestalten, sondern sie nur so weit zu fördern, wie sie auch nötig sind. Mehr Menge bzw. Qualität zu bieten, als verlangt wird, ist irrational. Man erhält durch Brainstorming u.ä. Kreativitätstechniken den operationalen Zielen entsprechende Entscheidungspakete (am besten in Form mehrere Alternativen!). Neben nötigen alten Funktionen können auch neue Funktionen gefunden und in die Entscheidungspakete aufgenommen werden. Die Entscheidungspakete werden in drei Zielniveaus formuliert: Minimales Arbeitsergebnis (keine neuen Ressourcen nötig) und mittleres und hohes wünschenswertes Arbeitsergebnis (neue Ressourcen für die Entscheidungseinheit nötig). Welches Zielniveau letztlich berücksichtigt wird, obliegt der Strategie der Führung (siehe nächsten Schritt).
  3. Rangordnung von Entscheidungspaketen: Je nach relativer Bedeutung im Hinblick auf die strategische Stossrichtung der Organisation lassen sich die Entscheidungspakete von den Entscheidungseinheitsleitern in jeder Hierarchiestufe (Führung, Hauptabteilungen, Abteilungen) in unbedingt zu genehmigende Entscheidungspakete und bedingt wünschenswerte Entscheidungspakete gruppieren. Je nach Vorhandensein von benötigten Ressourcen können dann in Abhängigkeit ihrer Priorität die bedingt wünschenswerten Entscheidungspakete erfüllt werden oder auch nicht. Man erhält dadurch z.B. A-, B- und C-Entscheidungspakete pro Gruppe. Die Führung muss den Budgetschnitt ansetzen, der festlegt, welche Zielniveaus künftig die Entscheidungseinheiten verfolgen sollen. Personalwechsel oder sonstige Ressourcenumstrukturierungen bleiben dabei nicht aus, jedoch kann für gewöhnlich von Entlassungen abgesehen werden. Natürlich strebt jede Einheit ein A-Niveau ihres Entscheidungspaket an, woraus ein Grossteil der Motivation resultiert, die unbedingt nötig ist, um das Projekt erfolgreich durchführen zu können.