Familiär-fraktales Organisationsmodell I

Geschwurbel von Daniel Schwamm (02-03/1994)

Inhalt

1. Einführung

Das familiär-fraktale Organisationsmodell berücksichtigt im Kern zwei Ordnungsprinzipien, die sich in der Natur bereits bestens bewährt haben: die Familien und die Naturfraktalität. Im Folgenden werden wir sehen, worauf sich dieser Erfolg begründet und inwieweit es gerechtfertigt ist, diese natürlichen Prinzipien auf das künstliche, also vom Menschen geschaffene Gebilde Organisation zu übertragen.

2. Die Familie

2.1. Warum sind Familienstrukturen so interessant?

Überall auf der Welt lassen sich Familienstrukturen finden, bei den Eskimos genauso wie bei den Beduinen der Sahara und bei den Delfinen genauso wie bei den Affen im Urwald. Die Geschichtsforschung lehrt uns weiter, dass Menschen schon seit etlichen Jahrtausenden in Familienverbänden leben, Primaten und andere Säugetiere sogar schon über Jahrmillionen. Es scheint sich also hier um eine ausserordentlich erfolgreiche Struktur zum Überleben einer Lebensform, also einer komplexen Organisationsform, zu handeln. Zudem lassen sich familiäre Strukturen auch bei denjenigen Lebewesen antreffen, die heute allgemein als die Intelligentesten angesehen werden oder - besser - die im Laufe der Zeit die Intelligentesten unter allen möglichen Lebensformen geworden sind. Denn die Familienstruktur ist eine "Erfindung" der Natur, die lange Zeit vor den grösseren Gehirnen, also der Bevorzugung der Intelligenz gegenüber dem Instinkt, gemacht wurde. Es zeigte sich aber, dass die Familienstruktur die Intelligentwerdung dieser Lebensformen massgeblich unterstützt hat. Wir wollen im folgenden Abschnitt einmal sehen, worauf sich diese Annahme stützen kann.

2.2. Evolutionäre Familienentstehung

  1. Zellteilung: Die Evolutionstheorie lehrt, dass alle heutigen komplexen Lebensformen aus ursprünglich sehr einfachen Organismen hervorgegangen sind. Angefangen hat es mit der einfachen Urzelle, die sich durch Spaltung, also durch einfache Verdopplung ihrer DNA, fortpflanzt. Die Kopierung der DNA gelingt nicht immer vollständig - durch Höhenstrahlung, chemische Stoffe oder natürliche Radioaktivität kommt es zu Kopierfehlern (Mutationen). Erst durch solche Mutationen können jedoch neue Lebensformen entstehen, denn Urzellen mit verschiedener DNA sind nicht mehr identische Lebensformen.
  2. Zellverschmelzung: Eine Mutation gestattete es vor ca. zwei Milliarden Jahren, dass zwei Zellen miteinander verschmelzen können, sodass aus zwei Lebensformen eine neue entstehen kann, ohne dabei auf zufällige Mutationen angewiesen zu sein. Der Zufall wurde durch Auswahl ersetzt. Z.B. besitzen Geisseltierchen diese Fähigkeit.
  3. Genaustausch: Eine Mutation sorgte dafür, dass zwei Zellen genetische Erbsubstanz untereinander austauschen konnten, um sich selbst zu ändern. Diese Form des Genaustauschs entspricht fast einer geschlechtlichen Fortpflanzung, jedoch wird keine neue Lebensform gezeugt, sondern nur eine alte Lebensform geändert. Viele Bakterien verändern sich z.B. auf diese Weise.
  4. Zellhaufen: Mehrere mutierte und genvermischte Zellen fanden sich irgendwann zusammen und begannen sich untereinander zu organisieren, d.h. sie begannen sich zu spezialisieren, zu koordinieren und ihr ganze Existenz hindurch zusammenzubleiben. Auf diese Weise konnten grössere, noch sehr einfach strukturierte Lebensformen wie z.B. Schwämme entstehen. Solche Zellhaufen können nicht sterben, da sie sich ständig reproduzierten, zahlen dafür aber den Preis der Unflexibilität: Sie können nur dort leben, wo sie entstehen, d.h., jede Umweltänderung bedeutete für sie meiste unweigerlich die totale Vernichtung ihrer Existenz.
  5. Zeugung durch Abtrennung: Für einen Zellhaufen ist es sinnvoll, in regelmässigen Abständen Teile von sich abzustossen, die dann woanders weiterleben können. Die Auslöschung ihrer Existenz wird dadurch wesentlich verringert. Der Süsswasserpolyp Hydra repliziert sich z.B. auf diese Art und Weise.
  6. Jungfernzeugung: Die Zeugung durch Abtrennung geht geschlechtslos vor sich, die Jungfernzeugung ebenso; es wird hier also gewissermassen aus sich selbst geschöpft. Bei der Jungfernzeugung können jedoch Nachkommen "geschöpft" werden, die mutativ variabler gestaltbarer sind als reine Abtrennungen, was Selektionsvorteile mit sich bringt. Z.B. sind die Sackspinner-Schmetterlinge in der Lage, sich ohne Männchen alleine durch Jungfernzeugung zu replizieren.
  7. "Zwittergeschlechtliche" Fortpflanzung: Einige Zellhaufen können nicht nur Jungfernzeugung betreiben, also Kopien der eigenen DNA den Nachkommen vererben, sondern eine DNA mit einer anderen DNA vermischen, über die sie in einem anderen Entwicklungsstadium verfügen. Diese Lebensformen sind Zwitter (Hermaphroditen), die durch die DNA-Änderung gewissermassen ihr Geschlecht ändern können. Besonders häufig trifft man diese "zwittergeschlechtliche" Fortpflanzungsart bei Fischen an, z.B. bei Lippfischen, Meerbrassen und Gürtelsandfischen.
  8. Zeitweilige "geschlechtliche" Fortpflanzung: Die zeitweilige Vermengung von DNA einer Lebensform mit der DNA einer ähnlichen Lebensform wiederholt das Prinzip der Zellverschmelzung, jetzt aber auf einer höheren Ebene - es ist also fraktal. Diese "geschlechtliche" Fortpflanzung wird aber gegenüber der Jungfernzeugung meist nur bei Überbevölkerung benutzt, denn dann ist der Bestand gesichert und der Luxus von genetischen Experimenten also nicht mehr bestandsgefährdend. Beispiele hierfür sind etwa Ameisenvölker, bei denen nur aus den befruchteten Eiern Männchen hervorgehen und sonst stets Arbeiterinnen, also Kopien der Königin, entstehen.
  9. Geschlechtliche Fortpflanzung: Damit sich die genetische Vermischung verstärkt, ist es wünschenswert, dass sich die DNA der Partner stark unterscheidet; so entstanden neben den weiblichen Formen auch männliche, die zwar ihre Selbstreproduktionsfähigkeit verloren haben, dafür aber hervorragende Spender für andersartiges Genmaterial sind. Der genetischen Trennung folgte aufgrund des später gezeigten "Naturfraktalismus" auch bald eine soziale Trennung, d.h., es bildeten sich typisch männliche und typisch weibliche Verhaltensschemata heraus. So versucht z.B. das Weibchen, sich meist selektiv mit dem "besten" Männchen zu paaren, während das Männchen versucht, sich wesentlich unselektiver mit möglichst vielen Weibchen zu paaren. Der Erfolg der geschlechtlichen Fortpflanzung ist so offensichtlich, dass viele Leute gar nicht wissen, dass es auch noch andere Methoden der Replikation gibt.
  10. Geschlechtliche Fortpflanzung mit Brutpflege: Die geschlechtliche Fortpflanzung schafft häufiger Variationen von Lebensformen, die der Umwelt angepasst sind, als dies über den Weg der natürlichen Mutation möglich wäre. Je komplexer die Lebensformen jedoch werden, desto länger brauchen sie, um sich zu entwickeln. Es ist also ein wesentlicher Evolutionsvorteil, wenn die Nachkommen eine "Starthilfe" von der Mutter/dem Vater bekommen, bis sie auf eigenen Beinen stehen können. Schlangen z.B. kümmern sich zwar nicht persönlich um ihren Nachwuchs, sorgen aber dafür, dass die Eier in sicherem Gelände abgelegt werden. Dies ist bereits eine Form der Brutpflege. Auch alle hier weiter beschriebenen Entwicklungsstufen bedürfen der Brutpflege.
  11. Mutteraufzucht: Durch die oben beschriebenen Verhaltensschemata von Mann und Frau kommt es häufig vor, dass nur die Mutter die Brutpflege übernimmt, während das Männchen mit der Paarung bereits seinen Teil der Arterhaltung erfüllt hat. Weibliche Spinnen z.B. verspeisen daher nach der Paarung gerne ihren Gatten, bevor sie sich anschliessend selbst von ihren Kindern fressen lassen. Weniger spektakulär, aber ausgeprägter ist die Mutteraufzucht bei den Bären: Auch hier trollt sich der Gatte gleich nach der Paarung, während die Mutter das Junge noch so lange versorgen muss, bis es überlebensfähig geworden ist. In einigen Fällen verdient sich die Mutter den Unterhalt für ihr Kind sogar durch regelrechte Prostitution, z.B. "bezahlt" der männliche Senegal-Sporenkuckuck das Weibchen nach der Paarung mit Nahrungsmitteln für einen Nachkommen, der nicht von ihm stammt.
  12. Herden: Irgendwann im Laufe der Evolutionsgeschichte sind die Männchen dahintergekommen, dass nur der für den Nachwuchs eines Weibchens sorgt, der sich zuerst oder zu einem bestimmten Zeitpunkt mit ihm paart. Da die Weibchen sich i.d.R. gegen Angreifer wehren und manchmal sogar wie die Eichhörnchen durch ihre Schwänze über natürliche Keuschheitsgürtel verfügen, sichern Vergewaltigungen nur selten die Nachkommensfrage für die Männchen, wobei Ausnahmen hier nur die Regel bestätigen: Bei Schildkröten klappt diese Methode nämlich ganz gut und ist sogar notwendig, denn nur wenn das Weibchen den Kopf einzieht, um ihn vor Angriffen des Männchens zu schützen, schiebt sich ihr Hinterteil mit den Geschlechtsorganen aus dem Panzer heraus. Wesentlich sicherer ist es aber für ein männliches Tier, wenn es weibliche Tiere um sich schart, also eine Herde mit ihm als Führer bildet.
  13. Familien: Das Verhältnis der Geschlechter ist i.d.R. ausgeglichen, daher können in Herden nur wenige männliche Tiere ihre Gene an Nachkommen weitergeben. Da dies jedoch die genetische Vielfalt einschränkt, werden die Erbsubstanzen der Herdenspezies mit der Zeit immer homogener. Dies führt häufig dazu, dass bestimmte Merkmale so lange gefördert werden, bis sie groteske Formen annehmen und die Überlebensfähigkeit der Spezies de facto reduzieren (z.B. kann ein männlicher Pfau zur Flucht vor Angreifern nicht mehr fliegen, weil sein "Radschmuck" zu schwer geworden ist). Ausserdem bedeutet genetische Homogenität zumeist auch akute Anfälligkeit gegen Umweltveränderung - u.U. genügt schon ein angepasster Schädling, um die ganze Spezies auszurotten. Herden sind also genetische Sackgassen, die nur in statischen Lebensräumen Erfolgschancen besitzt. Nur einen Ausweg gab es für die Natur, sich aus diesem Dilemma heraus weiter entwickeln zu können: die "Erfindung" der Familie.

2.3. Familiencharakteristika

Familien sind eine Sonderform der Herde. Statt dass ein Männchen viele Weibchen um sich schart, begnügt er sich hier mit einem. Statt dass die Mutter die ganze Brutpflege übernimmt, beteiligt sich das Männchen daran. Familien zeichnen sich also insbesondere dadurch aus, dass Vater und Mutter sich gleichermassen um die Entwicklung ihrer Nachkommen bemühen. Dies ist evolutionstheoretisch durchaus sinnvoll, wiederholt sich doch hier ein ähnlicher und also fraktaler Schritt wie der von der Jungfernzeugung zur geschlechtlichen Fortpflanzung: Statt auf Quantität wird auf Qualität gesetzt. Da die Nachkommen nunmehr von zwei unterschiedlichen Lebewesen umsorgt werden, können sie sich den Luxus leisten, für ihre Entwicklung länger zu brauchen, also erheblich mehr genetischen Spielraum in ihren ersten Lebensjahren zu haben. Und nur so ist es auch zu erklären, dass die Intelligenz, die ja durch die Neuronenvernetzung Zeit zum Reifen braucht, das reine Instinktverhalten zu verdrängen vermochte.

Die Familie ist ein genialer Ausweg aus der drohenden Sackgasse der Herde. Und sie ist zudem Keimzelle für weitere Lebensorganisationsformen geworden, wie z.B. Schulen, Rudel, Horden und Staaten. Schon das alleine zeigt die Innovationskraft, die der Grundform der Familie inne liegt. Und auch ihre Anpassungsfähigkeit gegenüber der Umwelt ist grösser, als die der anderen Lebensorganisationen. Familien gibt es überall auf der Erde - im Meer bei den Delfinen, in der Luft bei den Vögeln und auf dem Land bei den Primaten; sie trotzen jeglichen noch so dynamischen Umweltzuständen.

2.4. Folgerung

Oben wurde gezeigt, wie die Evolution im Laufe der Zeit Strategien entwickelt, die das Überleben einer Art garantieren sollen. Am Ende dieser Entwicklung steht - zumindest für komplexe Lebensformen - die Familie, die aufgrund ihres Innovationspotenzials mit jeder Umwelt fertig wird. Anders sieht es bei sehr einfach strukturierten Lebewesen aus - hier scheinen Quantitätsprinzipien über Qualitätsprinzipien zu dominieren: So ist das Rennen zwischen Viren und Menschen noch längst nicht entschieden. Ausserdem ist es der Menschheit trotz grösster Bemühungen nie gelungen, auch nur eine einzige Insektenart auszurotten. Der Grund dafür ist schnell gefunden: Einfache Lebensformen sind durch Mutationen leicht veränderbar, sie verfügen also wie die Familien über ein sehr hohes Innovationspotenzial.

3. Naturfraktalität

3.1. Was ist Naturfraktalität?

Fraktale sind grössere Einheiten, die sich aus kleineren Einheiten zusammensetzen, die in ihrer Struktur der grösseren Einheit entsprechen. Man denke dabei nur an einen Blumenkohl: Bricht man ein Teil von ihm ab, erhält man einen kleineren Blumenkohl, denn man dann wieder weiter Teilen kann, um einen noch kleineren Blumenkohl zu erhalten usw. Ein Blumenkohl besitzt also eine fraktale - selbstähnliche - Struktur.

Solche fraktalen Strukturen finden sich überall in der Natur, tatsächlich bestimmen sie sogar den Grossteil von allem, was ist, sofern es nur natürlich und nicht vom Menschen geschaffen ist. Grob lässt sich sagen: Der Mensch liebt die Linearität, die Natur aber das Fraktale. Wohl nirgendwo auf Erden wird man einen perfekten Kreis finden, den die Natur erschaffen hat. Denn geht man näher und näher an einen künstlichen Kreis heran, so wird seine Umrandung immer gerader und gerader, d.h., letztlich erkennt man, dass sich ein Kreis aus Linien aufbaut und nicht aus Kreisen. Mit anderen Worten: Ein Kreis ist nicht fraktal. Anders verhält es sich dagegen mit einer beliebigen, natürlichen Küstenlinie: Wir können noch so nahe an sie herangehen, wir sehen doch immer nur eine schroffe, unebene Küstenlinie. Andere Beispiele: Die Oberfläche der menschlichen Haut sieht durch ein Mikroskop genauso aus, wie die Oberfläche des Mars durch ein Teleskop. Kleine Eiskristalle am heimischen Fenster sehen genauso aus wie die riesigen Eisschollen in der Antarktis aus der Vogelperspektive. Und letztlich ähneln Atommodelle sogar dem Aufbau unseres Sonnensystems. Wir sehen also: Das Fraktalitätsprinzip ist universell und lässt sich überall in der Natur finden. Daher reden wir in dieser Arbeit von der natürlichen Fraktalität, kurz: der Naturfraktalität.

3.2. Die Rolle des Naturfraktalismus in der Evolution

Genauso wie es eine Evolution des Lebens gibt, gibt es auch eine der allgemeinen Materie. Wir wollen jetzt einmal sehen, inwieweit die Naturfraktalität hier eine Rolle spielt.

  1. Urknall: Vor 16 Milliarden Jahren fing alles an, da beschloss das Universum, es sei nun an der Zeit sich auszudehnen. Und das tut es bekannterweise noch heute. Alle Materie war plötzlich da und schuf bei seiner Explosion die drei Dimensionen des Raumes und die vierte der Zeit (und vielleicht noch einige mehr, von denen wir bisher aber noch nichts wissen).
  2. Quarks: Am Anfang der Zeit existierte nur eine homogene Form der Materie: Die Quarks. Es gab weder Elektronen, Neutronen, Leptonen oder Protonen, und also auch keine Atome, Moleküle oder Staubkörner. Es gab nur Quarks und Nichts und - Gott. Aber vielleicht wirkt Gott hier ein wenig zu personalistisch gedacht. Sagen wir also besser: Neben dem Nichts und den Quarks existierte noch etwas, was wir den kosmischen Plan nennen können, eine Sammlung von Prinzipien, Gesetzen und Regeln, die die Quarks und das Nichts irgendwie miteinander in Verbindungen setzen konnten. Wie wir sehen werden, ist eines dieser Prinzipien das der Fraktalität.
  3. Elementarteilchen: Offenbar ist es Teil des kosmischen Plans, dass Quarks unter bestimmten Situationen miteinander in Verbindung treten können. Denn nur so ist es zu verstehen, dass sie dieses tun, wenn man sie sehr grosser Hitze und hohem Druck aussetzt: Sie bilden dann diverse Elementarteilchen, also Elektronen, Neuronen, Protonen usw. Hier erkannte die Natur erstmals, dass Gemeinschaft stärker macht, dass also der Verbund von Einzelnen zu einem Grösseren im Sinne des kosmischen Plans korrektes oder besser sinnvolles Handeln darstellt. Das alles klingt reichlich esoterisch und kann hier auch keinesfalls beweisen werden. Aber Tatsache bleibt, dass die Natur die Quarks zu Elementarteilchen umgeformt hat, dass sie sich diesen Vorgang offenbar gemerkt hat und dass sie diesen Vorgang irgendwie als "wünschenswert" erachtet - denn sie wird ihn noch oft, noch sehr oft wiederholen.
  4. Atome: Elementarteilchen waren der Welt nicht genug, sie wollte mehr. Also erinnerte sie sich daran, dass Elementarteilchen interessanter waren als freie Quarks. Warum also nicht viele Elementarteilchen zusammenpacken, und daraus wieder etwas Neues machen? Gesagt, getan - die Natur hatte die Atome erfunden, oder besser: gefunden. Denn die Fähigkeit, Atome zu bilden, muss der Natur ja von vorneherein gegeben worden sein. Wunder gibt es nämlich in dieser Welt nicht; nur eine natürliche oder göttliche Ordnung, der sich alles fügen muss, was ist. Und ein Prinzip dieser göttlichen Ordnung ist die Fraktalität. Denn Atome sind grössere Einheiten, die aus kleineren Einheiten (Elementarteilchen) bestehen, die ähnlich strukturiert sind wie die grössere Einheit, eben weil sie ebenfalls aus noch kleineren Einheiten (Quarks) bestehen.
  5. Moleküle: Wenn viele Elementarteilchen Atome bildeten, dann werden viele Atome sicher wieder etwas Neues bilden. Das ist fraktal-logisch gedacht. Die Natur probierte es also aus, und siehe da - die Atome fanden sich zu grösseren Molekülen zusammen. Und auf wie viel unterschiedliche Arten sich die Atome kombinieren liessen! Waren die Möglichkeiten bei der Quark-Kombination noch recht eingeschränkt, liessen sich Elementarteilchen immerhin schon zu recht unterschiedlichen Atomen zusammenbauen, so war das kein Vergleich zu dem, was nun an verschiedenen Molekülarten möglich geworden war. Die Erscheinung, dass Dinge durch Kombination ihrer selbst neue Dinge schaffen können, nennen wir Evolution. Die Erscheinung, dass Umstände dazu führen, dass die Evolution verbessert oder erleichtert wird, nennen wir ebenfalls Evolution. Neben der Evolution der Materie findet also gleichzeitig auch eine Evolution der Evolution statt, weil sie mit jedem Evolutionssprung immer schneller vonstattengehen kann.
  6. Polymere: Unter bestimmten Bedingungen passen zwei Moleküle - durchaus räumlich zu verstehen - zusammen wie zwei Lego-Bausteine; sie können dadurch lange Ketten oder auch räumliche Gebilde hervorbringen, sie können also zu Polymeren werden. Wieder ging die Evolution der Materie damit fraktal vor und wieder erlebte sie dadurch eine weitere Evolution ihrer selbst. Vermutlich gibt es insgesamt so viele Möglichkeiten, die einzelnen Moleküle untereinander zu kombinieren, dass die Natur noch einige 100 Milliarden Jahre weiter existieren muss, um sie alle einmal ausprobiert zu haben.
  7. Viren: Die einfachsten Viren sind eigentlich keine richtigen Lebewesen. In bestimmten Lösungen sind sie nicht mehr als Polymere, also eine an sich leblose Aneinanderreihung von Molekülen. Befinden sich aber in der Lösung bestimmte Stoffe, nämlich Enzyme, brechen diese Ketten erst auf und lagern dann frei umherschwimmende Moleküle wieder an. Aufgrund einiger räumlicher Gegebenheiten kommt es dazu, dass nur genau solche Moleküle anlegbar sind, wie die, die sich zuvor abgetrennt haben. D.h., aus einem Virus werden zwei Einzelstränge, die sich durch Anlagerung von Molekülen zu zwei identischen Viren zusammensetzen. Die Natur hat es damit geschafft, dass sich von ihr zufällig geschaffene Polymere replizieren können - ein Meilenstein auf dem Weg zum Leben.
  8. Zellen: Viren wurden grösser und komplexer. Einige Molekülteile begannen sich zu spezialisieren und nicht mehr an der Replikation teilzunehmen, während das Erbmaterial, die DNA, zum Schutz ins Innere verlagert wurde. Die Zellen waren geboren. Zunächst noch ohne Zellkern oder sonstige Innereien (Organellen) wurden auch sie zunehmend komplexer, bis sie schliesslich alle Merkmale des Lebens in sich trugen.

3.3. Folgerung

Oben wurde gezeigt, wie das universelle Prinzip des Fraktalismus aus einfachen Bausteinen immer komplexere bilden kann, ohne dass diese komplexen Bausteine dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden würden. Im Gegenteil, wie wir an den Zellen sehen können, die am Ende einer langen Entwicklung stehen, und bei denen wir zum ersten Mal von richtigem Leben sprechen können, ermöglicht erst eine gewisse Komplexität den Überlebenserfolg. Und eben diese Komplexität ist für die Natur nur oder am einfachsten durch den Naturfraktalismus erreichbar. Der Naturfraktalismus ermöglicht es ihr auch, nach oben hin stets entwicklungsfähig und überlebensfähig zu bleiben. Einer der häufigsten Fehler bei den vom Menschen erschaffenen Systemen ist, dass sie nur bis zu einem gewissen Grad wachsen können und dann gewissermassen in der eigenen Komplexität ersticken. Jeder weiss das, der einmal versucht hat, ein über Jahre gewachsenes Computersystem zu analysieren oder gar zu erweitern. Der Grund dafür ist der, dass der Mensch linear, die Natur aber fraktal denkt. Und daran sollte sich der Mensch ein Beispiel nehmen.

4. Familiär-fraktale Strukturen in Organisationen

In den vorherigen Kapiteln wurde einmal gezeigt, dass die Familie die von der Evolution hervorgebrachte Organisationsform ist, die es komplexen Einheiten am ehesten ermöglicht, in dynamischen Umwelten zu überleben. Um überhaupt komplexe und überlebensfähige Einheiten hervorbringen zu können, die zudem noch weiter entwicklungsfähig, also innovativ gestaltbar sind, benutzte die Natur das Prinzip der Fraktalität, d.h. der Selbstähnlichkeit. Die Familie ist demnach also ein natürlich-erfolgreiches Koordinationsprinzip und die Fraktalität ist ein natürlich-erfolgreiches Ordnungsprinzip. Wir wollen nun einmal sehen, inwieweit sich das Familien- und das Fraktalitätsprinzip auf die Strukturen künstlicher Organisationen anwenden lassen.

4.1. Ziele von Organisationsstrukturen

Organisationsstrukturen haben etwas mit Koordination zu tun. Sie bewirken z.B., dass Einheiten, die grössere Einheiten bilden und aufeinander angewiesen sind, miteinander kooperieren können. Aber Organisationsstrukturen sollen auch helfen, die Umwelt fassbarer und gestaltbarer zu machen, in dem sie diese einer bestimmten Ordnung unterwerfen - sie haben also ebenso etwas mit Ordnung zu tun.

Diese beiden Strukturziele - Koordination und Ordnung - werden von den oben herausgearbeiteten Prinzipien der Familie und der Fraktalität bestens abgedeckt. Wir können uns daher überlegen, dass es sinnvoll ist, Strukturen für Organisationen zu schaffen, die sowohl familiäre als auch fraktale Eigenschaften aufweisen, die also familiär-fraktal sind. Aber wie könnten solche Strukturen aussehen? Sehen wir uns dazu zunächst einmal gewöhnliche Familienstrukturen an.

4.2. Familiäres Klima und Motivation

Eine der höchsten Lobpreissungen, die ein Unternehmen durch seine Mitarbeiter erfahren kann, ist die, dass die Mitarbeiter behaupten, in ihrem Betrieb ginge es "fast familiär" zu. Gemeint ist damit, dass ein gutes Arbeitsklima im Betrieb herrscht, dass man sich gegenseitig respektiert und achtet, ja, dass man sich sogar gegenseitig Vertrauen schenkt. Jeder weiss, dass auf den anderen Verlass ist. Einer für alle, alle für einen, heisst die Devise, die kein Zwang, sondern ein gelebtes Prinzip - ein typisches Familienprinzip - darstellt. Liegt in einem Unternehmen ein familiäres Klima vor, so bedeutet dies also, dass es dort vertraut und zwanglos zugeht. Wo es aber vertraut und zwanglos zugeht, da fühlt der Mensch sich wohl. Und wenn sich der Mensch wohlfühlt, dann ist er leicht zu jeder Arbeit zu motivieren.

Motivation, das ist eines der Gebiete, die in letzter Zeit die Bemühungen der Organisationstheoretiker ganz besonders auf sich gezogen haben. Wie kann man Mitglieder einer Organisation motivieren, damit sie ihre Aktivitäten auf die Ziele der Organisation ausrichten? Besonders der Human-Relation-Ansatz hat herausgearbeitet, dass Organisationsstrukturen, die im besten Sinne tayloristisch sind, d.h. genauso rationalistisch wie ökonomisch effektiv, im Endeffekt doch unökonomisch und ineffektiv sein können, einfach weil sie das menschliche Element zu sehr vernachlässigten. So ist es z.B. aus tayloristischen Gesichtspunkten durchaus sinnvoll, den Näherinnen einer Arbeitsgruppe das Tratschen und Klatschen während der Arbeit zu verbieten, damit sie ihre Konzentration alleine auf ihr Handwerk verwenden können. Jedoch ist zu erwarten, dass die Näherinnen daraufhin keinen Spass mehr an ihrer Arbeit haben und infolgedessen häufiger krank sind, zu spät kommen oder ganz ausbleiben, was sicher nicht sehr ökonomisch ist. Befragungen haben ergeben, dass einen Arbeiter Feld durchaus zu seiner Arbeit motivieren kann, dass aber Geld alleine nicht genügt, die Motivation auch dauerhaft aufrechtzuerhalten - sofern die Entlohnung nicht ständig gesteigert wird. D.h., wenn Manager ihren Mitarbeitern nicht irgendwann mehr bezahlen wollen, als sie selbst verdienen, tun sie gut daran, andere Motivatoren als die Entlohnung aufzuspüren.

Sicher, auch heute noch gibt es Manager, die in Sarkasmen ausbrechen, wenn sie hören, dass die Arbeitnehmer Spass an ihrer Arbeit haben wollen. "Ist denn diese Bande verrückt geworden?", werden sie sich kopfschüttelnd fragen, "Was wollen die denn noch alles? Vielleicht eine Zirkustruppe, die ihnen den Arbeitsalltag durch Kunststückchen versüsst?" Warum nicht, ist man hier fast versucht zu antworten. Denn eine Tatsache lässt sich nicht von der Hand weisen, da sie operationell ist: Sind Arbeitnehmer hoch motiviert, dann sind Fluktuation und Krankenstand im Verschwinden begriffen. Und kann es darüber hinaus für einen Manager ein schöneres Kompliment geben, als jenes, dass seine Mitarbeiter sagen, sie gingen gerne zu ihrer Arbeit, obwohl sie woanders vermutlich mehr verdienen könnten? Ja, sie empfänden gar das Unternehmen nicht als Arbeitsstätte, sondern eher als eine Art zweite Familie?

4.3. Familienstrukturen

Was macht die Familienstrukturen aus, dass sie so gut in der Lage sind, auch noch die unterschiedlichsten Charaktere in den unterschiedlichsten Anzahlen über z.T. sehr lange Zeiträume erfolgreich zu koordinieren? Betrachten wir dazu erst einmal die drei Basiselemente, aus denen eine Familie i.d.R. besteht, plus den klischeehaften Funktionen, die ihnen obliegen.

  1. Vater: Er bringt die Ressourcen in die Familie ein und verwaltet sie daher auch. Er gibt der Mutter Haushaltsgeld und den Kindern Taschengeld. Entscheidungen über grössere Ausgaben trifft er selbst. Benötigt die Mutter mehr Geld, bekommt sie es ohne grössere Umschweife. Benötigt sie häufiger mehr Geld, so bekommt sie regelmässig mehr, wofür der Vater eigene Ansprüche zurückschrauben oder mehr verdienen muss, z.B. in Form von Boni. Der Vater ist das Sprachrohr der Familie nach aussen hin, v.a. zu Höher- und Gleichgestellten. Er holt die Arbeit herein und delegiert sie an seine Kinder. Seine Aufgabe ist daher hauptsächlich die eines Verwalters.
  2. Mutter: Sie kümmert sich um die reibungslose Koordination und Kommunikation innerhalb der Familie, wozu sie das Haushaltsgeld nutzt, das ihr der Vater gibt. V.a. die Anliegen der Kinder sind ihr Geschäft. So nimmt sie in erster Linie eine Pufferfunktion zwischen dem Vater und den Kindern ein: Hört sie Klagen der Kinder, wirkt sie auf den Vater ein, hört sie Klagen des Vaters, wirkt sie auf die Kinder ein - dies ist ihr eine heilige Pflicht. Obwohl der Vater die ganze Arbeit delegiert, kann sie auf Antrag der Kinder alle seine Entscheidungen in konstruktiver Weise aufheben. Das macht sie zur mächtigsten Person innerhalb der Familie, sofern die Kinder auf ihrer Seite sind. Allerdings bewirkt ein Eingehen auf die Kinder häufig einen Rückgang ihres eigenen Haushaltsgeldes, das alleine vom Vater vergeben wird, weshalb sie stets versucht, auch die Interessen des Vaters zu vertreten.
  3. Kinder: Sie können ein der Einzahl oder Mehrzahl innerhalb einer Familie auftreten. Ihre Aufgabe ist es, dass zu tun, was die Eltern, v.a. der Vater, ihnen vorschreiben - sie sind damit die eigentlichen Arbeitsträger innerhalb der Familie. Dafür erhalten sie vom Vater ein Taschengeld und in der Mutter eine Ansprechpartnerin für Probleme. Wird ihnen die Arbeit zu viel, können sie die Mutter veranlassen, auf die Entscheidungen des Vaters einzuwirken. Sind sie in den Augen der Mutter fleissig gewesen, dann erhalten sie vom Vater einen zusätzlichen Bonus. Kinder sind wie der Vater ein Sprachrohr der Familie nach aussen hin, jedoch nur zu Gleich- und Untergestellten und nicht zu Höhergestellten.

Bei obigen Basiseinheiten wurde schon angedeutet, in welcher Weise die Kommunikation innerhalb der Familien fliesst. Vater und Mutter sind als gleichberechtigt anzusehen. Wir sprechen im Folgenden also nicht von einer patriarchalischen Familienstruktur, in der der Vater das Oberhaupt stellt, sondern von einer "Gefährten-Familienstruktur", in der anfallende Arbeit auf partnerschaftlicher Basis gelöst wird, es also keine strikte Arbeitsteilung gibt. Deutlich weniger Rechte haben dagegen die Kinder. Sie müssen tun, was ihnen der Vater oder auch die Mutter sagt. Untereinander können sich bei ihnen ebenfalls einseitige Weisungsrechte ergeben, die aber informell gehalten sind und sich in erster Linie auf die Kompetenzverteilung stützt. Die Beziehung der Kinder zur Mutter sind weniger unidirektional. Die Mutter muss sich die Klagen der Kinder anhören und sie muss auch darauf reagieren, in dem sie auf den Vater einwirkt. In schwerwiegenden Fällen kann sie sogar alle Entscheidungen des Vaters diffamieren, sofern nur die Kinder auf ihrer Seite stehen. Dahin gehend hat der Vater die Pflicht, die Mutter anzuhören.

4.4. Familiäre Strukturen in Organisationen

Im vorherigen Abschnitt haben wir dargestellt, dass die Familie aus einem Vater, einer Mutter und einem oder mehreren Kindern besteht, die jeweils verschiedene, aber nicht all zu scharf trennbare Funktionen zu erfüllen haben. Wir wollen nun sehen, inwieweit sich diese grundlegende Konzeption innerhalb von Organisationen zum Einsatz bringen lässt. Betrachten wir dazu einzeln die Dimensionen der Organisationsstrukturen nach A. Kieser (1993):

  1. Spezialisierung: Diese Dimension sagt etwas darüber aus, in welchem Masse Arbeitsteilung im Unternehmen vorgenommen wurde, also inwieweit Stellen geschaffen und Abteilungen formiert wurden. Wir wollen im Rahmen des familiär-fraktalen Organisationsmodells eine Familie in ihrer ersten Stufe (das Stufenkonzept wird später behandelt) als Abteilung betrachten. Gewissermassen entspricht also der Familienname dem der Abteilung. Drei generelle Stellenarten lassen sich damit in jeder Abteilung ausmachen: die Vater-, die Mutter- und die Kinderstellenart. Doch der Begriff "Stelle" impliziert Stellenbeschreibungen, in denen Rechte und Pflichten des Stelleninhabers peinlich genau vorgeschrieben sind. Davon kann aber bei familiären Strukturen keine Rede sein. Statt von Stellen reden wir also besser von Rollen. Der Vater hat dabei die Rolle des Verwalters und Planers, die Mutter (die selbstredend auch von einem Mann besetzt sein kann) hat die Rolle Intersubjektivität herzustellen und die Leistung der Kinder zu beurteilen, und die Kinder haben die Rolle, ihren Kompetenzen gemäss alle anfallenden Arbeiten nach den Planvorgaben des Vaters auszuführen. Abgesehen von dem Rollendenken statt Stellendenkens ist v.a. die Mutterrolle bei herkömmlichen Abteilungskonstellationen untypisch, weil sie nicht tayloristisch, sondern "human-relationenhaft" ist.
  2. Koordination: Die Koordination in einer Organisation lässt sich auf die folgenden vier Instrumente zurückführen:
    1. Persönliche Weisung: Hier gibt der Vorgesetzte seinen Untergebenen in schriftlicher oder mündlicher Weise an, was sie zu tun haben. Sie bedeutet eine sehr grosse Kontrolle und erlaubt den Untergebenen wenig Spielraum, eigene Lösungen für Probleme zu finden. Man muss sie als innovations- und motivationshemmend bezeichnen. Jedoch gibt es offenbar einen erheblichen Anteil von Menschen gibt, die nach dieser Form der starken Führung verlangt (man denke nur an das für Deutschland so katastrophale Charisma eines Adolf Hitlers). Für Familien (also Abteilungen) lässt sich sagen, dass die persönliche Weisung durch den Vater auf die Kinder erfolgt, von den Kindern auf die Mutter und von der Mutter auf den Vater. Der Vater kann dagegen die Mutter nicht persönlich Weisen, die Mutter nicht die Kinder und die Kinder nicht den Vater.
    2. Selbstabstimmung: Die Selbstabstimmung geschieht i.d.R. zwischen gleichgestellten Personen und basiert auf Kompetenzen. Sie ist sehr flexibel und damit innovativ, ein festes Regelwerk gibt es nicht. Bei Familien finden wir sie zwischen Vater und Mutter und zwischen den Kindern, nicht aber zwischen Kindern und Eltern.
    3. Programmierung: Dieses technokratische Koordinationsinstrument gibt Untergebenen schriftlich fixierte Anleitungen vor, in welcher Art und Weise (nicht aber in welchem Umfang) sie ihre Arbeit zu tun haben, ohne dass der Vorgesetzte dabei eingreifen muss. In Familien ist die Ausarbeitung von Programmen eine Domäne des Vaters.
    4. Planung: Auch dieses technokratische Koordinationsinstrument ist eine Domäne des Vaters. Im Gegensatz zur Programmierung wird hier den Untergebenen schriftlich vorgegeben, in welchem Umfang sie ihre Arbeit zu verrichten haben. Wie sie diesen Umfang realisieren, bleibt ihnen selbst überlassen; die Mutter begutachtet nur das Ergebnis, welches sie anschliessend dem Vater mitteilt.

      Aufgrund seiner Wichtigkeit für die Organisation wollen wir noch einmal in aller Kürze wiedergeben, wie sich der organisatorische Koordinationsfluss, also die Instrumentenverteilung, in Familien darstellt:
      Vater  -> Kind   : Persönliche Weisung, Programmierung und Planung.
      Vater  -> Mutter : Selbstabstimmung.
      Mutter -> Vater  : Selbstabstimmung und persönliche Weisung.
      Mutter -> Kind   : -
      Kind   -> Kind   : Selbstabstimmung.
      Kind   -> Vater  : -
      Kind   -> Mutter : Persönliche Weisung.
      
  3. Konfiguration: Diese Koordinationsdimension gibt Auskunft darüber, wie viele Stellen einer Instanz (direkt) untergeordnet sind und wie viele Instanzen einer Stelle (direkt) übergeordnet sind. Im Gegensatz zur herkömmlichen Konfigurationspraxis herrscht in einer Familie kein Einliniensystem, sondern ein Zweiliniensystem vor, da Vater und Mutter pro forma gleichberechtigte Instanzen für die Kinder sind. Auch dadurch, dass sich die Kinder untereinander selbst abstimmen können, unterscheiden sich die Familienstrukturen von herkömmlichen Organisationsstrukturen: Dies erlaubt ihnen häufig die Umgehung von Instanzen, macht damit also auch (formalisierte) Fayolsche Brücken hinfällig.
  4. Entscheidungsdelegation: Wird in einem Unternehmen spezialisiert, dann müssen auch Entscheidungen delegiert werden, da sonst die oberste Instanz schnell den Überblick verlieren würde. Man muss also den Untergebenen entweder einfach Vertrauen entgegenbringen, dass sie Entscheidungen im Sinne der Organisation selbst treffen können (und wollen!) oder man unterstützt die Entscheidungskompetenzen der Untergebenen dadurch, dass man ihnen ein gutes Vorbild ist und ihnen dadurch eine Ausbildung angedeihen lässt. Wie oben bereits herausgestellt wurde, ist Vertrauen eine der wesentlichen Stützen des familiären Koordinationssystems. Eltern haften für ihre Kinder, heisst es per Gesetz, daher versuchen sie, ihren Kindern Vorbilder zu sein und ihnen all das beizubringen, was sie wissen, damit sie sich auf sie verlassen können. In Familien ist die Entscheidungsdelegation um so höher, je kompetenter die Kinder sind. Eine direkte Kontrolle findet auch nicht durch den Delegator statt (also dem Vater), sondern durch die Mutter, die dann den Vater veranlassen kann, Erfolge direkt in Form von Taschengeld-Aufbesserungen transparent zu machen und Misserfolge mit gleichbleibendem oder gar gekürztem Taschengeld zu sanktionieren.
  5. Formalisierung: Diese Dimension umfasst alle schriftlich fixierten Richtlinien in einer Organisation, wie z.B. Stellenbeschreibungen, Unternehmensverfassung und Ablaufpläne. Im Allgemeinen herrscht die Meinung vor, dass ein hoher Formalisierungsgrad mit Starrheit der Organisation einhergeht, dass sie also dadurch unflexibler wird. Doch empirische Untersuchungen widerlegten diese pauschale Vermutung: Tatsächlich ist es so, dass gerade die grossen Organisationen, die allgemein als stark formalisiert empfunden werden, die meisten Innovationen hervorbringen. Der Grund dafür ist darin zu finden, dass die Formalisierung dort so sehr ausgeprägt ist, dass sie neben dem Tagesgeschäft auch noch den Innovationen Entwicklungsmöglichkeiten einräumen kann, in dem sie z.B. ein Verbesserungsvorschlagswesen oder (temporäre) Projektteams vorsieht. In Familien gehen wir aber dennoch von wenig Formalismus aus, einfach deswegen, weil er offenbar nicht unbedingt nötig ist, denn welche reale Familie führt strikt Unterlagen darüber, wer welche Pflichten und Rechten im Haus zu übernehmen hat? In Familien geht es hochgradig zwanglos und informell zu, trotzdem funktionieren sie ausserordentlich gut. Der Grund dafür ist auch schnell gefunden: Familien sind im Vergleich zu Organisationen in ihrer Grösse sehr beschränkt, da benötigt man keinen Formalismus. Wir behaupten schon an dieser Stelle: Auch in grossen Organisationen bedarf es keines Formalismus, wenn man die herausgestellten Koordinationsprinzipien der Familien in höhere Stufen transformiert, wenn man also fraktal vorgeht. Doch dazu später mehr.

Fassen wir zusammen: Die im vorherigen Abschnitt deutlich gemachten Basiselemente der Familie lassen sich auf die Abteilungsebene von Organisationen übertragen. Ebenso sieht es mit den Rechten und Pflichten von jedem Familienmitglied (Abteilungsmitarbeiter) aus, die alleine durch Variation herkömmlicher Organisationsstrukturen durchführbar ist. Einzig die Rolle der Mutter stellt eine wesentliche Neukonzeption dar, die in dieser Form bisher selten in Unternehmensabteilungen zu finden sind. Auf die Wichtigkeit eines Motivators, der nicht-tayloristisch ist, wurde bereits hingewiesen. Und die Mutterrolle geht bei den familiären Strukturen mit eben dieser Motivator-Rolle einher.

4.5. Fraktale Ordnungen organisierter Systeme

Fraktalität heisst Selbstähnlichkeit. Fraktal geordnete Strukturen sind Strukturen, die im Kleinen wie im Grossen gelten, im Teil genauso wie im Ganzen. Man kann die Strukturen aufbrechen und doch immer wieder die gleichen Strukturen finden, ähnlich wie bei einem Magneten, wo sich Süd- und Nordpool nie ändern, egal wie lange man den Magneten auch zerteilen mag. Wie lässt sich so etwas in einem zu organisierenden System realisieren? Und ist es überhaupt sinnvoll?

Sinnvoll ist es ganz sicher; wir haben das bereits zu Beginn dieser Arbeit dargestellt. Jedes noch so komplexe System - sogar ein Mensch, wie wir gleich sehen werden - lässt sich durch das Fraktalitätsprinzip erklären und realisieren. Und das Ganze, das solcherart aus vielen gleichartigen Bausteinen aufgebaut ist, lässt sich zudem noch nach oben hin erweitern, und das (fast) unbeschränkt. Es lassen sich durch diese Erweiterbarkeit jeweils fraktale Ordnungen entdecken, die den Grad der Komplexität einer fraktalen Einheit angeben. Wir stellen dies im Folgendem einmal anhand der fraktalen Grundeinheit der Zellen dar, die bis zu dem fraktal konstruierten Menschen und darüber hinaus führen kann.

  • 1. fraktale Ordnung: die einzelne Zelle, also eine fraktale Einheit alleine. In ihr sind bereits alle wichtigen Koordinationsprinzipien enthalten, die sie bestehen lassen, und die namentlich mit den Funktionen der Organellen zu identifizieren sind.
  • 2. fraktale Ordnung: ein einzelnes Organ. Hier sind mehrere fraktale Einheiten erster Ordnung, also Zellen, zusammengefasst und bilden in gleicher Weise eine neue fraktale Einheit, die genauso aufgebaut ist, wie ihre Bausteine. Die Zellen übernehmen dabei dieselben Funktionen wie die Organellen, aus denen sie bestehen.
  • 3. fraktale Ordnung: ein einzelner Mensch. Mehrere Fraktale zweiter Ordnung, also Organe, bilden diese neue fraktale Einheit. Die Organe übernehmen dabei dieselbe Funktion wie die Zellen, aus denen sie bestehen.
  • 4. fraktale Ordnung: die Menschheit. Alle Menschen bilden diese fraktale Einheit vierter Ordnung. Die Menschen übernehmen dabei die gleichen Funktionen wie die Organe, aus denen sie bestehen.

Wie an diesem Beispiel zu erkennen ist, können mit jeder weiteren fraktalen Ordnung ungeheure Komplexitätssprünge erreicht werden. Natürlich sind auch Zwischenstufen möglich, beispielsweise wäre eine solche zwischen Mensch und Menschheit in Form von Familie, Nation, Rasse usw. möglich gewesen. Der Vorteil bei den fraktalen Ordnungen ist aber nun, dass selbst sehr komplexe Systeme auf weniger komplexen Systemen beruhen, die wiederum auf noch weniger komplexen Systemen basieren. Irgendwann erreicht man eine niedere Ordnung der Fraktalität, die sich mit dem menschlichen Geist fassen lässt. Dann lassen sich die Analyseschritte wieder reanalysieren, also synthetisch rekonstruieren - das grosse Ganze wird erklärbar gemacht. Mit anderen Worten: Wenn wir wissen, wie die Organellen die Zelle am Leben erhalten können, dann können wir auch wissen, wie die Zellen Organe am Leben erhalten können usw. Die Komplexität entpuppt sich damit als eine nur scheinbare oder besser: Relative - relativ zur vorherigen fraktalen Ordnung.

4.6. Familiär und fraktal - Organisationsstrukturen im neuen Gewand

Endlich ist es so weit. Wir haben in den vorherigen Kapiteln und Abschnitten den evolutionären Erfolg des Familien- und des Fraktalitätsprinzips erklärt. Wir haben Koordination und Ordnung als wichtige Ziele von Organisationsstrukturen identifiziert. Wir zeigten, dass familiäre Strukturen motivationsfördernd und innovativ sein können, und dass sie sich in herkömmlichen Organisationen integrieren lassen. Schliesslich wurde dargestellt, wie die Fraktalität hilft, einmal geschaffene Strukturen in höhere fraktale Ordnungen umzusetzen, um so beliebig komplexe Systeme schaffen zu können. Jetzt können wir das potenzielle Endergebnis in Angriff nehmen, dem all diese Arbeit von Anfang an gegolten hat: die familiär-fraktalen Organisationsstrukturen.

Die fraktalen Ordnungen der familiär-fraktalen Organisationsstrukturen:

  1. Die Familie erster Ordnung: Die Familie innerhalb einer Organisation wurde bereits erläutert. Sie entspricht in etwa einer herkömmlichen Abteilung. Anders ist hingegen der geringe Grad an Formalismus, der sich z.B. gegen ein Stellengefüge verwehrt und durch ein Rollengefüge ersetzt wird. Besonders interessant ist die Rolle der Mutter, die durch ihr Vetorecht gegenüber jeder väterlichen Entscheidung zur mächtigsten Instanz des Zweiliniensystems der Familie wird. Dafür ist ihr Kommunikationsgewalt nach aussen auf Gleichgestellte beschränkt, während der Vater in einen externen Kontakt mit Höher- oder Gleichgestellten treten kann. Die Kinder kontaktieren dagegen nach aussen hin nur Gleich- oder Unterstellte, entweder um sich abzustimmen oder Entscheidungen zu delegieren.
  2. Die Familie zweiter Ordnung: Diese Familie entspricht in herkömmlichen Organisationen einer Hauptabteilungen, die mehrere Abteilungen führt. Die Familie zweiter Ordnung besteht aus mindestens drei Familien erster Ordnung, wobei diese die Rollen des Vaters, der Mutter oder der Kinder übernehmen müssen. D.h., organisatorisch gesehen geben Familien zweiter Ordnung das genaue Abbild von Familien erster Ordnung wieder, nur dass ihre Basiseinheiten keine einzelnen Menschen, sondern Familien erster Ordnung sind. Es gibt demnach eine Vaterfamilie, eine Mutterfamilie und eine oder mehrere Kinderfamilie(n). Alle Strukturdimensionen bleiben erhalten, wenn auch vielleicht in verschiedener Ausprägung, je nach dem "Stil" einer Familie zweiter Ordnung. Fazit: Die jeweiligen Eltern der Vaterfamilie und Mutterfamilie können miteinander kommunizieren, genauso, wie es Vater und Mutter einer Familie erster Ordnung können. Anweisung des Vaters einer Familie erster Ordnung werden bekanntlich von den Kindern ausgeführt. Da diese aber den Kontakt zu den Untergebenen halten, können die Kinder der Vaterfamilie ihre Arbeit an die Väter der Kinderfamilien delegieren, also im Prinzip genauso verfahren wie ein Vater gegenüber seinen Kindern in Familien erster Ordnung.

    Das alles hört sich ziemlich kompliziert an, ist es aber überhaupt nicht. Das liegt nur am Fraktalitätsprinzip, das der Linearität des menschlichen Geistes nicht auf Anhieb zugänglich ist. Tatsächlich muss eigentlich bloss verstanden werden, wie die Rechte und Pflichten in einer Familie erster Ordnung zwischen Menschen aufgebaut sind, dann weiss man auch, wie sie in Familien zweiter Ordnung zwischen Abteilungen (Familien erster Ordnung) aufgebaut sind. Wobei man sich am Besten vor Augen hält, dass die Kinder extern stets nach unten delegieren und Väter extern stets von oben oder der Seite her ihre Weisungen erhalten. Sehen wir uns dazu noch einmal den Einsatz der Koordinationsinstrumente an, diesmal aber nicht von Familien erster, sondern zweiter Ordnung. VF, MF und KF steht dabei für Vaterfamilie, Mutterfamilie und Kinderfamilie(n).
    VF(Kinder) -> KF(Vater) : Persönliche Weisung, Programmierung und Planung.
    VF(Eltern) -> MF(Eltern): Selbstabstimmung.
    MF(Eltern) -> VF(Eltern): Selbstabstimmung und persönliche Weisung.
    MF         -> KF        : -
    KF(Eltern) -> KF(Eltern): Selbstabstimmung.
    KF         -> VF        : -
    KF(Vater)  -> MF(Kinder): Persönliche Weisung.
    
  3. Familie dritter Ordnung: Diese Familie entspricht in vielen Fällen bereits der gesamten Organisation. Sie besteht aus einer Vaterfamilie zweiter Ordnung, einer Mutterfamilie zweiter Ordnung und einer oder mehreren Kinderfamilie(n) zweiter Ordnung. Auch hier wiederholt sich alles, was bereits in den Familien erster Ordnung gilt: die Strukturen sind die gleichen.

5. Schlussbetrachtung

Im vorherigen Kapitel haben wir familiär-fraktale Organisationsstrukturen dargestellt, die bis zur dritten Ordnung gingen. Aber natürlich lässt sich dieses Spiel durch das Fraktalitätsprinzip auch noch ewig weiter führen, d.h., eine Organisation kann beliebig wachsen oder auch wieder schrumpfen - an den grundlegenden Organisationsstrukturen muss dadurch nichts geändert werden (!), sie sind also gewissermassen unabhängig von der Situation der Organisationsgrösse geworden. Nicht nur das verleiht ihnen erstaunliche Flexibilität. Denn die liegt auch darin begründet, dass ein ausserordentlich geringer Formalisierungsgrad genügt, um alle in der Organisation vorhandenen Rechte und Pflichten zu klären - dies muss ausschliesslich für die fraktale Grundeinheit geschehen, also die Familie, der Rest ist Umsetzung in höhere Ordnungen, die jedermann sofort leicht nachvollziehen kann. Und apropos Nachvollziehbarkeit: Auch die ist bei familiär-fraktalen Strukturen hinsichtlich der Rollenverteilung gegeben, weil jedes Kind - wortwörtlich zu verstehen - weiss, welche Funktion die Mutter und welche Funktion dagegen der Vater zu erfüllen hat. Möchte man also den bedeutendsten Verwalter aller Ressourcen in einer Organisation finden, so muss man nur nach dem Vater der Vaterfamilie der höchsten Ordnung suchen. Sucht man dagegen die bedeutendste soziale Kraft in der Organisation, die gleichzeitig auch die Verwaltung der Sozialgelder zur Aufgabe hat, dann sucht man einfach nach dem Vater der Mutterfamilie höchster Ordnung. Bei familiär-fraktalen Organisationsstrukturen braucht niemand lange Organigramme zu studieren, um zu erkennen, wer wem was zu sagen hat - familiär-fraktale Organisationen sind hochgradig transparent und das gereicht ihnen bestimmt nicht zum Nachteil.

Es liessen sich sicher noch eine Menge Besonderheiten von familiär-fraktalen Organisationsstrukturen darstellen, doch wollen wir es hiermit erst einmal belassen. Denn wer weiss: Vielleicht ist das Modell irgendwann keine reine Theorie mehr, sondern gängige Praxis - und dann kann man direkt Erfahrungen damit sammeln, ohne sich schon heute in gewagte Spekulationen auszulassen. Nun denn, die Zukunft wird es uns ja zeigen ...